Nachgedacht: Wir sind alle gleich!
Gedanken nach der Besichtigung eines Krematoriums
Es ist schon etwas Spezielles, ein Krematorium zu besichtigen und dabei ganz nah an den Dingen heranzukommen, über die wohl keiner, und wenn doch, jemand nur sehr ungern nachdenkt. Vielleicht lesen einige diesen Artikel auch erst gar nicht oder nicht bis zum Ende. Hier geht es um den Tod. Gestern bin ich der Einladung des Rhein-Taunus-Krematorium in Braubach-Dachsenhausen in der Nähe von Koblenz zum Tag der offenen Tür gefolgt.
Für mich ist das Thema Tod kein fremdes, denn ich arbeite im Klever Bestattungsunternehmen Winters, dessen Inhaberin seit über 20 Jahren Tanja Winters ist. Sie ist zudem meine Lebenspartnerin. Und so gehört es zu unseren Aufgaben, Verstorbene auch für Ihren Weg ins Krematorium vorzubereiten. Ich durfte schon viele Menschen begleiten - alte, hochbetagte, gleichaltrige und auch Kinder. Und so wurde mir schnell klar, wie unterschiedlich nicht nur die Verstorbenen sind, sondern auch die Hinterbliebenen, die uns ihr Vertrauen schenken, das wir mit Wertschätzung, Fachwissen, Emphatie und mit einer Prise Mutterwitz behandeln.
Vor Gott, so lautet der christliche Glaube, sind wir alle gleich. Christen glauben daran, dass mit dem Tod nicht alles zu Ende ist. Nach dem irdischen Leben folgt das Leben bei Gott, dort, wo er den Verstorbenen seine Wohnung bereit hält. Dieser Glaube, erklären die Zelebranten in den Kirchenhäusern den Trauernden, kann wissenschaftlich nicht bewiesen werden, aber der Glaube daran lässt uns glauben und all das erwarten. Vor Gott sind wir alle gleich.
Da steht man dann kurz nach Beginn der Führung durch das Krematorium vor einem Ofentor, das sich in der gefliesten Wand eines Raums befindet, in dem die Särge warten, die Öffnung zu passieren. Auf dem Boden steht grade einer der Särge, bereit für die allerletzte Fahrt. Gleich daneben "parkt" schon der nächste. Gegenüber in der Wand eine grosse Scheibe, durch die die Mitarbeitenden im Kontrollraum alle Schritte der Einäscherungen überwachen. Nichts lässt in diesen Momenten solche Gedanken aufkommen über die Wohnung des Herren.
Die Führung geht weiter. Durch eine Türe in der Wand gleich neben dem Ofentor oder genauer gesagt, zwischen zwei solcher Tore, betreten wir den nächsten Raum. Hier befindet sich moderne Anlagentechnik: Öfen, Rohre - blaue, gelbe, welche aus Edelstahl, dicke, dünne, jede Menge Kabel und Schläuche. Hinter den Öfen modernste Ablufttechnik. Ein merkwürdiges Gefühl beschleicht einem - auch als Bestatter. Denn gleich neben mir werden just in dem Moment, an dem ich den Erklärungen des Mitarbeiters vom Krematorium zuhöre, Menschen eingeäschert.
Mit etwa 35.000 Einäscherungen im Jahr in mittlerweile acht Öfen gehört das Rhein-Taunus-Krematorium zu den modernsten und größten in Europa. Beeindruckend. Verschwindend klein wirkt da die Zahl der Verstorbenen, die unser Bestattungsgaus im Jahr zu diesem Krematorium überführt.
Der Vorgang der Einäscherung eines Leichnams ist komplex, der sich über zwei Stockwerke des Hauses vollzieht. Deshalb geht es nun eine Stahltreppe hinunter ins Untergeschoss des Krematoriums. Während für Bestatter der Anblick von Totenasche wenig überraschend ist, dürfte er für die branchenfremden Besucher der Führung befremdlich sein: In einer Lade, etwa so gross wie drei aneinander gereihte Schuhkartons befindet sich das, was von einem Menschen übrig bleibt. Dabei spielt es gar keine Rolle, ob der Mensch männlich, weiblich oder divers ist, ob er zu Lebzeiten berühmt oder unbekannt, erfolgreich oder gescheitert ist, oder oder oder.
In der Lade befanden sich die Aschereste von Knochen und einige chirurgische Stahlteile, die später entnommen werden. Die Knochenreste werden später gemahlen, in Aschenbehältnisse gefüllt und den Bestattern übergeben.
Wie auch immer jeder die Führung erlebt hat, welche Gedanken entstanden sind, welche Fragen aufgekommen und beantwortet wurden - ganz gleich, der Anblick der sterblichen Überreste macht uns allen deutlich: Hinter dem Tor zum Ofen sind wir alle gleich.
Wir sind doch alle gleich!
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