Emmerich/Kleve/Goch/Niederrhein: Schriftsetzer, ein fast vergessener Lehrberuf!

Nachdem Johannes Gutenberg um 1445 den Buchdruck mit beweglichen Lettern erfunden hatte, gehörte der Beruf des Schriftsetzers über Jahrhunderte hinweg mit zu den angesehensten Berufsbildern. Die Jünger der Schwarzen Kunst genossen wegen ihrer Verbindung zu Wissenschaft und Kunst sowie ihrer Mittlerfunktion zwischen den Gelehrten und der gebildeten Schicht hohes soziales Ansehen sowie in früheren Jahrhunderten sogar gesetzlich verankerte Privilegien. Umgangssprachlich waren auch die Bezeichnungen „Setzer“ oder – aufgrund des Umgangs mit Bleischriften - „Bleisetzer“ üblich. Ferner wurde zwischen „Handsetzern“ - die manuell durch eine spezielle Technik nach jahrhundertelanger Tradition Bleibuchstaben an Bleibuchstaben reihten – und nach der Erfindung der Mergenthaler Zeilensetz- und Gießmaschine im Jahr 1883 „Maschinensetzern“ differenziert.
Zwischen Spätmittelalter und einsetzender Industrialisierung war es auch für die Gesellen des Schriftsetzer-Handwerks Usus, auf Walz zu gehen und während der Wanderjahre in fremden Ländern und Betrieben das eigene Können zu vervollkommnen, um anschließend ein Meister des eigenen Fachs zu werden.
Das Handwerk des Schriftsetzers gehört seit den 70er Jahren bis zum Ende des vergangenen Jahrhunderts bedingt durch die Digitalisierung der Druckvorstufe zu den aussterbenden Berufen und wurde im Rahmen der Neuordnung im grafischen Gewerbe durch den „Mediengestalter für Digital- und Printmedien“ 1998 abgelöst. In diesem neuen Berufsbild gingen als weitere Berufe der Druckvorstufe der des Reprohersteller, Reprografen, Fotogravurzeichners und des Medienvorlagenherstellers auf.
Die Ausbildung betrug in der Regel drei bis dreieinhalb Jahre.
Der Schriftsetzer beherrschte nach der Ausbildung sämtliche Einzelschritte im Rahmen der jeweiligen Satzverfahren, um aus einem angelieferten Manuskript mit Satzanweisungen eine Druckform zu erstellen. Zu seinen Aufgabenbereichen gehörten auch Korrekturen, die typographische Gestaltung, für die bestmögliche Lesbarkeit der Drucksachen zu sorgen und nach erfolgtem Druck das Zerlegen der Druckform und das Ablegen der Bleilettern (zurück sortieren) in die Schrift- und Satzkästen.
Für die Ausübung des Berufes musste der Setzer das typographische Maßsystem sowie den sicheren Umgang mit berufstypischen Werkzeugen wie Ahle, Pinzette, Winkelhaken, Zeilenhacker, Klischeehöhenmessgerät, Setzschiffen etc. beherrschen. Außerdem musste er die Satzgassen des eigenen Betriebes sowie die strengen Regeln unterliegende Einteilung der Setz- und Schriftkästen kennen. Während ihrer Ausbildung wurde den Lehrlingen in vielen Betrieben kostenlos ein halber Liter Milch oder wahlweise auch Kakao zur Verfügung gestellt. Damit sollte präventiv der gefürchteten Bleikrankheit begegnet werden.
Den Abschluss der Ausbildung bildete die sogenannte Gesellenprüfung, die sich aus einem praktischen und einem theoretischen Teil (Fertigkeits- und Kenntnisteil) zusammen setzte. Im Fertigkeitsteil wurden Fähigkeiten im Setzen von Mengentext und Tabellen, im Korrekturlesen und im Bearbeiten eines Umbruchs abgefragt. Bewertet wurde die Geschwindigkeit. Der Durchschnitt nach einer Stunde Satz lag bei 30 bis 35 Zeilen auf eine Breite von 20 Cicero (1 Cicero = 12 Punkt = 4,513 mm). Bevor bei der Prüfung mit dem Mengentext begonnen wurde, setzte man in einer Zeile das Alphabet so oft ab, bis die Zeilenbreite gefüllt war. Die Anzahl der Buchstaben wurde als Berechnungsgrundlage für die geschaffte Textmenge genommen. Hinzu kamen das Setzen einer Tabelle mit unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden sowie das Entwerfen und Setzen einer so genannten „Akzidenz“, also einer Familien- oder Kleindrucksache (Familienanzeigen, Prospekt, Plakat, Briefbögen) . Nach Ablauf der praktischen Prüfung wurde die Druckform mit einer Nudel oder Andruckpresse abgezogen und auf Fehler durchgesehen. Der theoretische Teil bestand aus einem Diktat, Fragen zur beruflichen Fachkunde sowie zu Wirtschafts- und Sozialkunde.
Neben dem Umgang mit Satzmaterial erlernten Schriftsetzer während ihrer Ausbildung außerdem die Kunst des Schriftmalens, mit der sie eine Schrift exakt nachzeichnen konnten, um sie zum Beispiel mit Farbe oder Gold auf Leder oder Pergament aufzutragen, um Urkunden anzufertigen oder Kunden Vorschläge in Form einer „Reinzeichnung“ zu unterbreiten.
Nach bestandener Abschlussprüfung wurden die frischgebackenen Gehilfen durch die Gautsch-Zeremonie in der Kreis der Jünger Gutenbergs aufgenommen. Das Wort Gautschen stammt ursprünglich aus der Fachsprache der Papiermacher . Dort werden bei der Herstellung von Papier die Bahnen nach dem Schöpfen im Rahmen des ersten Entwässerungsschrittes vom Sieb auf Filz abgelegt. Das sogenannte Gautschen ist ein alter, bis in das 16. Jahrhundert zurück zu verfolgender Brauch, bei dem der Lehrling nach bestandener Abschlussprüfung im Rahmen einer Freisprechungszeremonie in einem Trog untergetaucht oder auf einen nassen Schwamm gesetzt wurde. Nach der Gautschzeremonie erhielt der ,,neue Jünger Gutenbergs" einen Gautschbrief als Zeugnis dafür, dass er in die Gemeinde der Zunftgenossen nach altem Brauch aufgenommen worden war und dadurch sämtlicher ,,Rechte und Privilegien" teilhaftig wurde, die die ehrsame Buchdruckerzunft zu vergeben hatte.

Und hier gibt es noch etwas zu sehen:
http://www.youtube.com/watch?v=SsiFg07dtt0

Autor:

Christian Tiemeßen aus Emmerich am Rhein

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