Der Hype um „Shades of Grey - Geheimes Verlangen“ von E.L. James
Sind die Deutschen sexuell unterfordert? Der Versuch einer Rezension
Manchmal lasse ich mich hinreißen. Und mich von Cover, Klappentext und Platz 1 der Spiegel-Bestsellerliste blenden. So auch am Vorabend meines freien Tages, wo ich schnell noch bei der Buchhandlung meines Vertrauens reinschaue und mir dieses Buch kaufe. Sagen Sie selbst - klingt doch super: Der größte Aufreger seit Romanen wie „Sakrileg“ oder „Drachenläufer“. Allein durch Weitersagen zum Top-Titel mutiert. Ja das reizt mich - und Tausende anderer Deutschen anscheinend auch. Allerdings würde mich die Reaktion dieser Tausenden auf den harten Tobak, der einem da aufgetischt wird, wirklich interessieren!
Es beginnt, wie so viele Love-Stories ihren Anfang nehmen: Brave unsichere Studentin trifft beim Interview für die Studentenzeitung auf charismatischen stinkreichen Sexgott. Und zwischen Weltmann Christian mit den grauen Augen und Tolpatsch Anastasia knistert ad hoc eine gewaltige erotische Anziehungskraft. Obwohl sie sich bald näher kommen, merkt Ana, dass er etwas vor ihr verbirgt und will seine Warnungen doch nicht ernst nehmen. Von der anfänglichen Rosamunde Pilcher - Wohlfühlidylle, in die wir Mädels von Zeit zu Zeit gern mal abtauchen, bleibt schon bald nicht viel übrig.
E.L. James nimmt ihre Leser mit auf eine Reise in die Welt des Sadomaso. Mit einer „Kammer der Qualen“ und einem Vertrag über die Beziehung zwischen dem dominanten Christian und der devoten Anastasia. Die Geschichte über die beiden Hochschulabsolventinnen Ana und Kate muss bald immer ausgefeilteren beklemmenden Sexszenen weichen. Und Anas Gefühlen zwischen der Faszination einer ihr völlig unbekannten Welt und dem Versuch, das Objekt ihrer Liebe umkrempeln zu wollen. Ein psychoerotischer Seiltanz zwischen Kontrolle, Unterbewusstsein und innerer Göttin.
Die Autorin zeichnet dabei ihre Charaktere nicht mal unsympathisch oder verfällt in Schwarzweiß-Denken. Trotzdem werde ich mir die nächsten beiden bereits angedrohten Bände der Trilogie und die Hollywood-Verfilmung ganz sicher nicht antun. Jetzt also auch endgültig auf dem Büchermarkt angekommen: Die „Höher, schneller, weiter“ - Mentalität die mich oft gewaltig abstößt. Ein einfacher Krimi alleine reicht nicht mehr aus, ein großes Lesepublikum zu fesseln, die Opfer werden auf immer ausgefeiltere und grausamere Art und Weise um die Ecke gebracht. Und nun Bondage statt Liebesschnulzen?
Wer interessiert sich denn noch für die kleinen Freuden und amüsanten Begebenheiten des Alltags, wenn Mann und Frau in fast 600 Seiten Sadomaso und anderen Feuchtgebieten schwelgen können? Und dieser Roman in einem Atemzug mit Khaled Hosseinis Drachenläufer genannt wird? Was sagt dies über unsere Gesellschaft aus? Sind die Deutschen gar sexuell unterfordert? *Provokationsmodus aus*
Nichts gegen saftige Sexszenen in Wort oder Bild, aber bitteschön garniert mit Intellekt und Herz.
Buchcover, von mir abfotografiert
Autor:Christiane Bienemann aus Kleve |
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