Ein Bild, seine Namen, viele Fragen

Auf dem Synagogenplatz in Kleve wurde der Opfer des Holocaust gedacht. | Foto: Tim Tripp
  • Auf dem Synagogenplatz in Kleve wurde der Opfer des Holocaust gedacht.
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Kleve. Jene Nacht - ein einziger Alptraum. Für Deutsche jüdischen Glaubens. Geplünderte Wohnungen, ermordete und verschleppte Menschen - Bürger der Stadt. Reiche wie Arme, Angesehene und soziale Benachteiligte. An jene alptraumhafte Nacht, an die Pogromnacht, wurde am Montag auf dem Platz der ehemaligen Synagoge erinnert.

Der Ort: Das Gelände, auf dem früher die Synagoge und direkt nebenan die jüdische Schule stand. Der Ort, der auch in Kleve an jenem 11. November des Jahres 1938 zum Ort des Schreckens wurde. Dort kamen Montag viele Bürger der Stadt Kleve zusammen, um an das Unglaubliche zu erinnern.

Moderation: Gerhard van Ackeren

Die Moderation hatte in diesem Jahr erstmals Gerhard van Ackeren, Verein Buren zonder grensen, Nachbarn ohne Grenzen, übernommen. „Wir persönlich haben zwar keine Schuld an dem, was damals geschah, aber wir sind in ihrem Erbe verantwortlich. Auch dafür, dass die Namen der jüdischen Mitbürger nicht in Vergessenheit geraten.“ Geschehnisse wie die im Nazireich, als plötzlich Grenzen aufgebaut wurden, dürften sich nicht wiederholen. „Wir dürfen unsere Mitbürger nicht ausgrenzen“, appellierte van Ackeren an die Zuhörer.

Wohnungen geplündert, Menschen verschleppt und ermordet

Ein Gedanke, dem sich auch Bürgermeisterin Sonja Northing mit den Worten anschloss: „Es ist unsere Aufgabe, diesen Witzen, diesen Vorurteilen Widerspruch entgegen zu setzen.“ Schweigen könnte bedeuten, „wir würden zustimmen.“
Zuvor war auch Northing auf die Geschehnisse des 11. November 1938 eingegeangen. Sie rief ins Gedächtnis, dass auch in Kleve die Feuerwehr nicht ausrückte, um die brennende Synagoge zu löschen, sondern nur, um die angrenzenden Wohnungen vom Feuer zu verschonen. Wohnungen seien geplündert, Menschen ermordet und verschleppt worden - „auch in Kleve waren jüdische Mitbürger ungehemmter Gewalt ausgesetzt.“ All das werfe quälende Fragen auf: Wie hätten wir uns verhalten? Nur wenige Menschen hätten den Bedrängten beigestanden. „Wir, die Kinder der Täter, der Mitläufer, der Wenigen, die Widerstand leisteten, wir nehmen die Verantwortung an.“ Sonja Northing forderte das klare Eintreten für eine freie und humane Gesellschaft.

Selbstverständlich für die Flüchtlinge Platz machen

Ben van Hees, Beirat der Stadt Nimwegen, griff die aktuelle Flüchtlingsthematik auf, erinnerte aber zunächst an die Pogromnacht: „Reichspogromnacht - das klang eher wie ein Zwischenfall - auch in den Niederlanden. Wir müssen unsere Lehre daraus ziehen - vor allem für die Herausforderungen in Europa.“ Er forderte auf, selbstverständlich für die Flüchtlinge Platz zu machen.

Eine Minute des Schweigens für den verstorbenen Fritz Leinung

Frits Gies, Nimweger, Nazi-Opfer, berührte die Menschen auf dem Synagogenplatz. Er erinnerte an seinen Freund, Fritz Leinung, der im Juli verstorben war. Fritz Leinung sei „dies hier“ zu verdanken. Er habe Wege zueinander beschritten. Frits Gies sprach für den verstorbenen Pfarrer der Unterstadtkirche ein Friedensgebet - und bat um eine Gedenkminute.

Das Kaddisch, das jüdische Totengebet, wurde gesprochen, bevor Eva Weyl, Überlebende, Tochter eines angesehen Klever Kaufmanns, der das Kaufhaus Weyl, den heutigen Kaufhof, betrieben hatte, zum Mikrofon schritt. Sie forderte, Gedenken nicht nur in historischer Richtung zu betreiben, sondern auch „unsere Werteordnung zu verteidigen.“

Sechs Millionen ermordet - auch Klever Schüler unter den Opfern

Am 11. November 1938, an dem Tag, als die Synagogen in ganz Deutschland in Flammen aufgingen, scheint sich in Kleve ein Drama hinter den Kulissen abgespielt zu haben: Ein jüdischer Bürger der Stadt öffnete die Türen der Synagoge an eben jenem Abend. Wenig später ging das Bethaus in Flammen auf. Das erzählten zumindest Schülerinnen und Schüler derRealschule an der Hoffmannallee, die am Montag in die Gestaltung der Gedenkfeier auf dem Platz der ehemaligen Synagoge einbezogen waren. Die Jugendlichen hatten sich im Vorfeld mit einem alten schwarzweiß Foto beschäftigt. Es zeigt eine Schulklasse aus jenen Jahren, als jüdische Kinder dem Unterricht in einer „normalen“ Schule nicht mehr uneingeschränkt folgen durften. 1936 - da hatten die Nationalsozialisten schon die Macht übernommen, konnten seit drei Jahren ihr Unwesen treiben. Und das oft unwidersprochen. Das Bild, das die Klever Realschüler ausgegraben hatten, zeigt eine jüdische Schulklasse mit ihrem Lehrer. „Wer sind diese Kinder, was kann uns das Bild heute noch erzählen?“, hatten sich die Realschüler gefragt. Die Namen der Kinder auf dem Foto waren eine Spur, der die heutigen Schüler folgten. Alice und Gustav waren zwei der 16 Kinder. Gustav, in Theresienstadt gestorben, Alice in Auschwitz in der Gaskammer ermordet. Zwei Schicksale von 16, zwei von sechs Millionen.

Autor:

Annette Henseler aus Kleve

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