Die Straße braucht einen Namen
Wie wäre es mit "Holunderflosse"?
Wer schon einmal Monopoly gespielt hat, weiß: Parkstraße und Schlossallee versprechen ihrem Besitzer das große Geld, als Eigentümer der Badstraße ist man eigentlich schon fast bankrott. Straßennamen sind Programm, Spiegelbild des Zeitgeschehens, der Politik, vor allem aber notwendig. Überall. Jedoch gibt es bei der Benennung einiges zu beachten:
Wird eine Straße gebaut, braucht das Kind einen Namen - und die Möglichkeiten sind schier unbegrenzt. Von geografischen Besonderheiten über Historie, Pflanzen, Tiere, Landstriche, Persönlichkeiten (diese eher posthum und Schiller kommt tatsächlich in der Häufigkeit vor Goethe) - fast alles ist möglich und wenn nichts mehr einfällt, gibt es immer noch den Massencharakter á la Haupt-, Dorf- oder Bahnhofsstraße. Wobei: Skurril gibt es natürlich auch: Struller- Promille- oder Spannerweg, Tangabucht, Knochenmühle oder, mein persönlicher Favorit, Holunderflosse – da fragt man sich, welche lokalen Besonderheiten hier eine Rolle gespielt haben…
Früher war es einfacher
Im Mittelalter war das noch etwas einfacher. Da wurden die vielen kleinen Gassen nach Handwerkszunft oder Bevölkerungsschicht benannt. Brote gab es in der Bäckerstraße, die Schuhe wurden in der Schustergasse neu besohlt und wenn man sich nicht auskannte, dann wurde gefragt, denn Straßenschilder gab es nicht oder kaum, die Fähigkeit zum Lesen und Schreiben gehörte nicht zum Standard. Gehen wir in der Geschichte weiter, muss auch die Zeit nach 1945 erwähnt werden, denn da gab es viel zu korrigieren, nationalsozialistische Verherrlichung musste ersetzt werden.
Blicken wir in diesem Zusammenhang nach Kleve, denkt man sofort an das Verfahren zur Umbenennung des Adolfsweges – erfolgreich, wie man weiß, obwohl sich der „Adolf“ wohl eher auf einen Müller bezog, so richtig geklärt wird das wohl nie.
Wir bleiben im Kleverland:
Wenn Experten kritisieren, dass zu viele Straßen nichts mit lokalen Besonderheiten zu tun haben und das Image eines Viertels seinen Charme auch über die Namen seiner Straßen erhält, dann bewegen wir uns in Kleve und Umgebung in der goldenen Mitte. Das Kleverland spiegelt sich auch in seinen Straßen und Gassen - hier findet man eine Menge spannende Historie.
Auf der Kavarinerstraße beispielsweise führt uns die Geschichte zurück in die Zeit zwischen dem 13. und 16. Jahrhundert, als romanische Händler aus der französischen Stadt Cahors, sogenannte Kawersiner/Kaweriner, ihre Geldgeschäfte hier tätigten. Hierauf komme ich später nochmal zurück – da muss leicht nachkorrigiert werden. Doch Kleve ist auch enorm gewachsen und es gilt immer wieder neue Straßen zu benennen: Wie funktioniert das?
Wenn es um Neubenennung und historische Besonderheiten rund um die „Klever Gassen“ geht, holt man sich am besten Expertenwissen. Wer könnte hier besser helfen, als Wiltrud Schnütgen mit ihrem geballten Wissen zur Stadtgeschichte und Kleves Historie?
Die Benennung von Straßennamen war früher Sache des Kulturausschusses. Heute ist der Bau- und Planungsausschuss zuständig. Vorschläge kommen aus der Politik, der Verwaltung, auch von der Stadt, aber auch die Klever Bürger dürfen hier „ein Wörtchen mitreden“ und Vorschläge machen. Die Benennung selbst erfolgt dann durch den Rat der Stadt Kleve.
Die Deutschen mögen's eher konservativ
Wie stellt man sich das nun vor? Darf und sollte man alles vorschlagen, was einem gerade in den Sinn kommt? In den Niederlanden geht das: Tolkien-Fans sollten mal Zwischenstopp in Geldrop einlegen - im südlichen Teil Hoog sind die Straßen nach Orten und Personen aus „Der Herr der Ringe“ benannt - Frodo freut’s!
Wir in Deutschland sind da schon eher konservativ. Tatsächlich haben wir in Kleve auch eine Winkelgasse. Läden mit den neusten Rennbesen oder faltbaren Zauberkesseln gibt es hier jedoch nicht, aber wer möchte, darf sich ruhig ein bisschen an Harry Potter erinnert fühlen.
Massencharakter versucht man aber auch bei uns grundsätzlich zu vermeiden, der Rat macht sich hier viele Gedanken. Wiltrud Schnütgen selbst sitzt beispielsweise mit Vorliebe über topographischen Karten und empfiehlt danach einen Straßennamen. Entstanden ist daraus zum Beispiel „An den vier Winden“ oder die Johann-Manger-Straße (Generaldirektor der van den Bergh’schen Margarinefabriken). Auf alten Karten findet sich – wir kehren zur Historie zurück – auch der Bezug zu individuellen Namen wie der Welbershöhe. Zu verdanken dem Bauern Welbers, dessen Hof auf der Höhe lag („Höcht“) – einleuchtend!
Manchmal ist auch Vorsicht geboten
Nicht immer muss man sich auf die Suche nach versteckter Geschichte machen. Es gibt auch das Augenscheinliche. Begibt man sich in Richtung Reichswalde, findet man den Köhler- oder Meilerweg. Hier ist der Bezug nicht schwer zu erraten, findet doch einmal im Jahr ein Riesenfest auf der Wiese statt, der Meiler raucht eine Woche und die Holzkohle für die Saison wird gelagert – die Wiederbelebung eines alten Handwerks.
Geht es um die Wertschätzung von berühmten Persönlichkeiten (posthum), wird die Sache schon komplizierter, denn wir wissen heute, dass der ein oder andere berühmte Mensch zwar bekannt, aber in seiner Gesinnung wenig rühmlich war. Der Vorschlag eines Bürgers, einen Kurfürstenplatz einzurichten, wurde dann auch einstimmig vom Rat abgelehnt, unter anderem weil Johann Moritz von Nassau Sklavenhandel betrieb unter Billigung des Kurfürsten. Auch die Benennung nach Bischöfen ist nach den jüngsten Ereignissen keine gute Idee – man weiß ja nicht…
Vom Prinzenhof und der "Notdurft"
Skurrile Straßennamen findet man in Kleve eher selten, aber bevor ich zum Abschluss noch auf ein paar besondere Namen eingehe, muss noch schnell die Geschichte hinter dem Namen Prinzenhof erzählt werden. Wussten Sie, dass diese bis zum Krieg ganz anders hieß, nämlich „Ossack“? Ich auch nicht – aber Wiltrud Schnütgen natürlich, sie verweist hier auch auf das 1992 erschienene Buch von Friedrich Gorissen „Historische Topographie der Stadt Kleve: „Über den Ossack hatte das Landvolk Zutritt zur Pfarrkirche (…)“ – um es kurz zu fassen: Kirchgänger verrichteten hier vor oder nach dem Kirchbesuch ihre Notdurft in den Büschen (niederländisch „noodzaken“). „Das fanden die Leute dann nach dem Krieg doch nicht so fein – ‚Am Prinzenhof' hört sich viel besser an“, schmunzelt Wiltrud Schnütgen.
Mit Geschichten wie diesen könnte man jetzt noch ewig weitermachen – allein, der Platz ist in diesem Beitrag nicht ausreichend. Wer mehr erfahren möchte, liest die dazu bereits verfasste Literatur oder begibt sich auf eine Führung mit Wiltrud Schnütgen – hier bekommt man Expertise auf die humorvolle Art vermittelt.
"Wussten Sie eigentlich, dass...?"
Zum Ende noch ein bisschen Wissenswertes rund um Kleves Straßen unter dem Motto „Wussten Sie eigentlich, dass…?“
- Das Schollenrondell zwischen Heideberger Mauer und Großer Heideberg nichts mit Fischen zu tun hat, sondern seinen Namen der Familie Scoellen verdankt?
- Die Schwanenstraße nach dem Haus „Zum Schwan“ benannt wurde?
- Die Gerber früher auf dem „Gerwin“ gewohnt haben?
- Die „Hagsche Straße“ nach dem kultivierten Wald „Hag“ benannt ist, der sich an das Stadttor anschloss?
- Die Kavariner Straße nach den Kauversinen, den Leuten aus der Stadt Cahors benannt wurde, diese de facto aber nie in Kleve waren, sondern das Geldwechslergeschäft von Leuten aus der Lombardei (das Kavariner Tor hieß "Porta Lombadorum") und jüdischen Händlern betrieben wurde?
An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an Wiltrud Schnütgen für die vielen Informationen rund um die Geschichte der Klever Straßennamen.
Haben Sie eine Geschichte zur Straße?
Haben Sie auch eine Geschichte zu Ihrer Straße oder kennen Sie eine in Ihrer Umgebung? Dann schreiben Sie uns unter redaktion@kleverwochenblatt.de
Autor:Petra Zellhofer-Trausch aus Kleve |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.