Und noch eine Schulstory: Little Thirteen und der süße Musiklehrer

Anna weiß nicht mehr, wann genau „er“ ihr zum ersten Mal so richtig aufgefallen ist. Es muss im zarten Alter von 13 oder 14 Jahren gewesen sein, als ihre Klassenkameradinnen ihre Zimmer mit Bravo-Postern von a-ha, Duran Duran oder auch Depeche Mode pflasterten und in jeder großen Pause alle davon in Kenntnis setzten, wie süüüß doch Morten Harket sei. Nein, das war damals ganz und gar nicht ihr Ding.

„Er“ war so ganz anders als alle Morten Harkets dieser Welt. Er trug keine abgewetzten Jeans sondern gedeckte Anzüge aus edlem Zwirn. Er hatte keinen braunen Wuschelkopf sondern bändigte seine glatte, hellblonde Mähne mit Unmengen von Haargel, oder wie man zu der Zeit noch sagte, mit Pomade. Wenn er dazu auch noch seinen Geigenkasten unter den Arm klemmte und einen eleganten Hut aufsetzte, sah er aus wie ein Bruder von Rhett Butler, mindestens. Vollends schwach machte Anna jedoch sein charmantes Lächeln. Wenn er sie bei der Pausenaufsicht anlächelte, waren da keine simplen Schmetterlinge in ihrem Bauch - nein, eine kleine Herde Wildpferde galoppierte aufgeregt durch ihr Innenleben.

Es gab nur zwei klitzekleine Haken an der ganzen Sache. Der erste - er war ihr Musiklehrer, aber solch Kleinigkeiten werfen frau ja nicht gleich aus der Bahn oder halten sie von ihren Eroberungsfeldzügen ab. Das zweite Hindernis erwies sich jedoch selbst in Annas Augen als ein wenig problematisch: er war glücklich verheiratet. Aber vielleicht machte das ja auch diesen besonderen Reiz aus! Er war nicht zu haben, konnte also gnadenlos angeschmachtet werden. Wobei sie gestehen muss, dass ihre Fantasien zu der Zeit sowieso nicht über einen feuerwerksfunkensprühenden erdbebengewaltigen und allesverändernden ersten Kuss hinausgingen. Heute unvorstellbar, wo in diesem Alter oft schon „das erste Mal“ angepeilt wird.

Als überaus praktisch erwies sich der Familienhund. Zu keiner Zeit hat Anna sich sooft freiwillig zum Ausführen desselbigen angeboten - ihre Eltern mussten schon denken, dass sie unter akutem Frischluftmangel litt. Aber wenn der Angebetete gar nicht mal weit entfernt seine Musikstunden gab, musste einfach jede Gelegenheit am Schopfe gepackt werden, ihm in den angesagtesten Outfits wie gelben Netzshirts, blauen Patentmusterpullis oder wie die modischen Geschmacksverirrungen damals alle hießen, zufällig über den Weg zu laufen.

Anna kannte das Ende seiner Schulstunden am Gymnasium ebenso wie den Beginn seiner Kurse in der Musikschule. Sie wusste, wann er die wöchentlichen Einkäufe beim kleinen Supermarkt des Ortes erledigte und hatte es perfektioniert, zur selben Zeit dort, mit Einkaufskorb und Hund im Schlepptau, aufzuschlagen. Was war frau damals genügsam - für eins dieser atemberaubenden Lächeln, das noch den ganzen Tag lang auf sie abstrahlen sollte oder einen freundlichen Gruß hätte Anna noch ganz andere Strapazen auf mich genommen.

Sie konnte tagelang von einem Lob im Musikunterricht zehren und deutete natürlich alles mögliche in seine Sätze hinein. Nannte er sie einmal „Annalein“, war es mit ihrer Konzentration für diesen Tag vorbei und sie lief mit einem seligen Lächeln durch die Schulflure. Auch konnte Anna sich seine Stimme in den endlos langen Sommerferien anhören wann immer sie wollte. In der Zeit der noch nicht sichtbaren Telefonnummern muss der Arme sich gefragt haben, welcher Idiot denn nun schon zum dritten Mal hintereinander anruft, nur um gleich wieder aufzulegen.

Im übrigen sollten Männer, die sowieso nicht zu haben sind, doch am besten als kleine hässliche Hutzelmännchen auf die Welt kommen, oder? Wie die Sache ausgegangen ist? Wie solche Sachen halt ausgehen, irgendwann reichen Schwärmereien nicht mehr und frau wendet sich dem wahren Leben zu. Aber eine romantische Jugenderinnerung bleibt - und eine abgegriffene Schülerzeitung, in der damals in den Achtzigern, der neue Lehrer ausführlich vorgestellt worden ist.

Autor:

Christiane Bienemann aus Kleve

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