Ein Kapitel der Geschichte des Lebens
So fremd und doch so vertraut

Es gibt Geschichten, die das Leben schreibt - solche, die man eigentlich meist nur in gut gemachten Fernsehfilmen sieht. Und plötzlich, ehe ich mich versah, steckte ich selbst darin und bekleidete eine der Hauptrollen.

Unsere Körper haben sich in all den vielen Jahren verändert. Wir sind älter geworden, jeder für sich hat seinen eigenen Weg des Lebens beschritten, Erfahrungen gesammelt, Freundschaften geschlossen oder beendet.

Und genau anlässlich des Endes eines Lebens trafen wir uns wieder. Sie als trauernde Schwiegertochter, ich in meiner beruflichen Rolle als Bestatter. Mir wurde es erst auf dem zweiten Blick bewusst, dass sie es war, die zum Kreise der Familie zählte, die nun meine Beratung und meine Dienste beanspruchte.

Wir waren beide junge Erwachsene, knapp 20, etwas drunter oder drüber, ich weiss es gar nicht mehr genau. Wir lernten uns kennen, so wie sich junge Menschen so kennenlernen. Und wir lernten uns lieben. Es war die Zeit, in der Liebe bereits mit dem Anspruch verbunden wurde, sie so ernst zu nehmen, als wäre sie so gehaltvoll, dass sie für ein ganzes restliches Leben reichen sollte. Es war mehr als nur eine Liebelei. Wir hatten viel Spaß miteinander, erlebten viel und ich erinnere mich, dass ich es war, der ihr das erste Meeresrauschen ihres Lebens ermöglichte. Viele Erinnerungen sind heute noch vertraut, einige verblasst. Ihr kleines rotes Auto, es war ein Audi 50, beeindruckte mich, weil es schon damals fast eine Rarität war. Ich kann mich sogar heute noch an das Nummernschild erinnern. Verrückt.

Was gefühlt ein Leben lang halten sollte, endete schon nach mehreren Monaten. Tränenreich und mit gebrochenen Herzen, denn ich beendete es aufgewühlt durch ein Chaos der Gefühle, die der weiteren Liebe irgendwie im Weg zu stehen schien. Und doch gehört sie dazu, zu dem, was ich meine Lebensgeschichte nenne. Sie ist ein eigenes ganzes Kapitel. Sie zeigte mir Dinge, zu denen ich aufgrund meiner damals recht konservativen Einstellung, die mir meine Eltern vermittelten, wenig Zugang hatte. Sie gab mir das Gefühl der Leichtigkeit des Lebens ohne unsere Pflichten aus den Augen zu verlieren. Mit ihr saß ich im Gras der Wiesen, die zum landwirtschaftlichen Hof ihrer Eltern gehörten und direkt am Rheinufer endeten. Und so saßen und lagen wir im Gras, schauten den Schiffen zu, während die Abendsonne allmählich verschwand und genossen einfach und unbeschwert unsere Zweisamkeit. Wir waren jung. Uns lag nicht nur der Rhein zu Füßen, es war irgendwie die ganze Welt.

Es war ihre Schwiegermutter, die starb und dessen Beerdigung es nun vorzubereiten galt. Für mich inzwischen kein Problem, denn diese Aufgabe gehört zu meiner nicht ganz freiwillig aber dennoch mit einem hohen Maß an Leidenschaft und Empathie gewählten beruflichen Vita. Und doch schwingt in diesem Fall die Erinnerung an damals mit. Sie macht es so anders. Denn der Anspruch, seriös zu sein ohne die Vergangenheit zu verleugnen, ist schon besonders. Es liegt in meiner Natur, die Wertschätzung zu behalten. Eigentlich nichts Schlimmes, denn die Vergangenheit ist nunmal gewesen und das Kapitel der Lebensgeschichte geschrieben und doch ist es etwas aufreibend. So fremd und doch so vertraut. Keine Tränen, keine Gefühle, die verletzt sind, sondern schlichtweg Wertschätzung und Demut.

Das Leben schreibt nunmal seine Geschichten und einige davon schaffen es in die Drehbücher einiger Fernsehfilme. Aufbereitet, um Menschen zu unterhalten und zu berühren. Diese, meine, unsere Geschichte hatte zumindest das Potenzial, mich zu berühren. Und ihr Ende ist auch schon geschrieben. Sie endet mit der Übergabe der sterblichen Überreste ihrer Schwiegermutter zur Erde.

Und ich werde weiter leben an der Seite meiner weltbesten Partnerin, die mir heute immer wieder den Zauber der Leichtigkeit des Lebens zeigt zusammen mit dieser Art von Liebe, die so gehaltvoll ist, dass sie für ein ganzes restliches Leben reichen sollte...

Autor:

Helmuth Plecker aus Kleve

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