Eine spontane Kurzgeschichte
Der Weg

Als ich eines Tags meinen Lebensweg entlang lief, klopfte mir plötzlich jemand von hinten auf die linke Schulter. Es muss sich wohl ganz leise angeschlichen haben. Ich erschrak ein wenig, drehte mich um, konnte aber niemanden sehen. Erst als ich meinen Blick senkte, sah ich es da stehen, während es mich mit fragenden Augen anschaute. Seine Augen ließen erkennen, dass sie den Tränen nah waren, sie glänzten und funkelten. War es traurig oder waren es Freudentränen?
Es fragte mich: "Kennst du mich noch? Weißt du noch, wer ich bin?"

Ich zögerte keinen Moment, während sich meine Mundwinkel zu einem freundlichen Lächeln veränderten. "Na klar erkenne ich dich. Natürlich weiß ich, wer du bist", antwortete ich.
"Weisst du noch damals, wir haben viel miteinander unternommen und jede Menge tolle Erlebnisse miteinander gehabt. Fast jeden Tag ein neues, ein anderes...", erinnerte es sich. Ich hatte das Gefühl, dass es gerade loslegen wollte, alle Geschichten von früher zu erzählen.

Ich wurde ganz still und zahlreiche Augenblicke, die schon viele Dekaden zurückliegen, zogen vor meinem geistigen Auge in rascher Folge vorbei. Ohne das es begann, mir all diese Ereignisse zu erzählen.

Ich hatte Tränen in den Augen, als es mich irgendwann fragte, warum sich unsere Wege getrennt haben, irgendwann.
"Ich habe dich doch immer begeistern können, dich mitreißen, wenn du zu feige oder zu ängstlich warst und auch all deine Freunde fanden mich klasse.", rekapitulierte es und ergänzte: "Auf einmal warst du nicht mehr da."

Ich versuchte mich zu erinnern. "Ich bin immer weiter gegangen, Seite an Seite mit dir...", versuchte ich zu beschwichtigen, "...irgendwann bist du vermutlich stehen geblieben oder anders abgebogen und ich glaubte, du wolltest es so."

"Nein", sagte es, "ich habe damals erlebt, wie du mit jemandem anders mitgelaufen warst. Ich hatte keinen Platz mehr an deiner Seite. Ich war so traurig. Und du hast es nicht einmal bemerkt."
Nachdenklich versuchte ich in meiner Erinnerung zu ergründen, wer es wohl war, dem ich mich irgendwann zugewandt hatte. Ich kam allerdings nicht drauf. Ich war mir hier nichts bewusst.
Wir standen uns immer noch fragend gegenüber. Ich beugte mich zum ihm runter und stützte mich mit den Händen auf den Oberschenkeln ab. Es wirkte etwas bedrohlich für ihn, aber es war mehr der Ausdruck des Interesses an einer Antwort.

In dem Moment zeigte es mit seinem ausgestreckten Arm an mir vorbei: "Da ist er, derjenige, der dich seit dem begleitet und dem du deine Aufmerksamkeit schenkst! Da steht er und wartet auf dich, da am Rand deines Lebenswegs, etwa drei Schritte voraus."
Ich drehte mich um und sah ihn da tatsächlich stehen. Er schien auf mich zu warten. Es war der Plan.
Kaum dass ich ihn dort bemerkte, wiegte ich mich in einem Gefühl der Sicherheit. Denn der Plan, der mich seit vielen Jahren begleitete, gab mir immer ein Gefühl von Sicherheit. Nichts schien seit dem mehr ohne ihn zu funktionieren. Wir sprachen viel miteinander. Nicht immer waren wir uns einig. So endete manches Gespräch auch mal in einer Diskussion, aber schließlich immer mit einem Ergebnis, das mir Sicherheit gab.

Jetzt stand ich da zwischen den beiden. Der Plan stand bewegungslos da und starrte mich erwartungsvoll an. "Wie und wann geht es weiter?", rief es mir zu. "Wir haben doch noch so einiges vor. Das haben wir doch besprochen.", sagte der Plan.
Ich drehte mich um und blickte wortlos auf meinen wiedergefundenen Begleiter aus der Vergangenheit.

Es zuckte mit den Schultern als wolle es mir sagen, dass die Entscheidung ganz alleine bei mir liege und es mir deshalb nicht helfen könne.
"Wir beide haben damals viel erlebt...", sprach es. "Es war eine schöne Zeit, auch ohne einen Plan. Oft ganz spontan und so wertvoll. Wir lernten tolle Leute kennen und spannende Regionen, machten verrückte Sachen, weisst du noch?"

Und dann wurde es plötzlich ganz ernst. Es schaute mich an, so, als würde es flehen wollen. "Egal, wie du dich entscheidest. Geh ruhig weiter mit dem Plan, wenn es dir Sicherheit gibt. Aber bitte nehmt mich mit."

Ich schien für einen kurzen Moment überfordert zu sein. "Wie soll das gehen, mit beiden an meiner Seite?", fragte ich mich. Das kann nicht gut gehen. Ich muss mich wohl entscheiden, mit wem ich meinen Rest des Lebensweg gehen würde.
Und während dessen ich da so stand und überlegte, pfiff der Plan vom Wegesrand laut und winkte es zu sich.
Ich weiss nicht, was die beiden schließlich da flüsterten, aber die Stimmung schien gut zu sein. Es sah nach einem neuen Plan aus. Beide lachten.

Plötzlich kletterte es, das Abenteuer, auf die Schultern des Plans. Dort saß es sicher. Beide ruderten mit den Armen und meinten, ich solle kommen. "Wir gehen gemeinsam. Wir gehen zusammen", sagten beide im Gleichklang: Der Plan, das Abenteuer und ich.

Wir erlebten seit dem so viel Aufregendes, Spannendes und Inspirierendes. Einiges war geplant und vieles war ganz spontan.

Und so bin ich heute glücklich und dankbar, dass wir zueinander gefunden haben.

Autor:

Helmuth Plecker aus Kleve

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