Ein Denkmal für die Solidarität
Der einsame Abschied

Die folgende Geschichte ist eine wahre. Lediglich einige Details habe ich aus Gründen der Diskretion verändert. Es geht um sie und sie.

Sie ist tot. Gestorben einsam. Covid-19, jenes Virus, das inzwischen zwei Jahre die ganze Welt auf den Kopf stellt, sei die Ursache, so sagen es die Ärzte. Dabei spielt es in dieser Geschichte überhaupt keine Rolle, ob sie mit, an oder durch Corona gestorben ist. Sie wurde mit Symptomen einer Covid-Erkrankung ins Krankenhaus eingeliefert, dort behandelt und schließlich im desinfizierten Bodypack vom Bestatter aus der Prosektur des Krankenhauses abgeholt. Ihr Leichnam ist inzwischen eingeäschert und wartet nun darauf, ihre letzte Ruhe an einem bestimmten Platz zu finden.

Sie hingegen ist zuhause. Ihr Alter – etwas über 80. Keine Kinder. Keine Angehörigen. Kaum Sozialkontakte. Quarantäne. 14 Tage verordnet - zunächst! Der Grund: Corona positiv. Traurig sein und trauern über ihren Tod - alleine. Zuhause. Dort, wo die Gemeinsamkeit in Zukunft nicht mehr stattfinden wird. Fast sechs Dekaden lang führten sie eine gleichgeschlechtliche Beziehung. Gingen gemeinsam – durch Dick und durch Dünn. Ihr Reisepass gibt Auskunft über die vielen Reisen ins entfernte Ausland. Urlaub. Erinnerungen - schöne Erinnerungen. Hin und wieder liefert der Bringservice des örtlichen Supermarktes die bestellten Waren bis vor die Haustüre. Ab und zu mal einem Nachbarn zuwinken auf der Auffahrt. Mehr nicht. Die Organisation ihrer Beerdigung zusammen mit dem Bestatter – eher improvisiert. Mehr geht nicht, mehr darf nicht. Bis zur Einäscherung ihres Leichnams haben sie es geschafft. Wann die Beerdigung sein wird, steht noch nicht fest. Die Quarantäne verhindert alle Planung. Der letzte gemeinsame Weg, das letzte Geleit, zur Ruhestätte muss noch warten.

Diese Geschichte hat mich bewegt und bewegt mich immer noch. Sie wühlt mich auf. Sie macht deutlich, wie einsam diese Pandemie die Menschen macht. Nicht immer und überall, aber in diesem besonderen Maße und in dieser besonderen Situation. In einer Zeit, in denen Menschen Menschen brauchen. Ganz natürlich: für ein Gespräch, für eine Umarmung, für tröstende Worte oder einfach nur, um einander da zu sein – in diesen schweren Stunden.

Es gab schon einmal eine solche Zeit, in der viele Menschen ihr Leben verloren haben, weit weg von ihren Lieben. „Er ist im Krieg geblieben.“, so nannte man jene Verstorbenen, die irgendwo an den Fronten im Bomben- oder Kugelhagel der (Welt)-Kriege fielen. Ihre sterblichen Überreste eingesammelt und auf einen der zahlreichen Friedhöfe für Soldaten ehrenhaft beigesetzt. Denkmäler, die all das unvergessen machen. Furchtbar und für mich stets bedrückend, wenn ich diese Orte besuche und mich der Demut hingebe.

Ist sie in der Pandemie geblieben? Kann und darf man das so fragen? Und ist sie als Hinterbliebene nicht auch ein Opfer dieser Lage? Ein Opfer im Besonderen? Ist sie nicht eine von vielen Menschen, die einsam Abschied von einem lieben Menschen nehmen müssen bzw. schon mussten, weil es die Regeln so abverlangten? Gehört sie nicht zu den Menschen, denen man heute demütig und ehrenhaft Denkmäler bauen sollte? Denen unser solidarisches Mitgefühl gelten soll. Immerhin – Solidarität ist der Grund für dieses Schicksal. Für ihr Schicksal. Denn sie hat sie verloren – einsam und ohne Solidarität. Sie ist in der Pandemie geblieben und sie ist der Pandemie geblieben.

Diesen Artikel schreibe ich völlig unpolitisch, völlig unaufgeregt aller wissenschaftlichen Erkenntnis gegenüber und nur mit einem Appell:

Die Pandemie schaffen wir nur, wenn wir Solidarität zeigen. Bauen wir der Solidarität und dem Mitgefühl ein Denkmal!

Autor:

Helmuth Plecker aus Kleve

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