Wie geht die Schulstory weiter? (2)
Harry trat nach draußen auf die Straße und sofort umhüllte ihn Großstadtkulisse pur - das Gebimmel der Straßenbahn, wabernde Autoabgase und vorbeihastende Passanten. Von der nachdenklichen, ja beinahe fatalistischen Stimmung, der er sich in der alten Eckkneipe hingegeben hatte, war nichts mehr zu spüren. „Du Idiot!“, schimpfte er mit sich selbst. "Vor einem derart wichtigen Termin soviel zu saufen. Du hast ja nicht mehr alle Latten am Zaun...“ Die alte Dame, die ihr Einkaufswägelchen hinter sich her zog, schaute ihn kurz an, schüttelte den Kopf und brummelte etwas unverständliches vor sich hin, bevor sie langsam ihres Weges ging.
Je näher er dem alten Gymnasium kam, desto aufgeregter wurde er. Konnte es... wirklich gelingen, wenn er alles auf eine Karte setzte? Würde er das Ruder noch einmal herumreißen? Oder würde sein Versuch den Todesstoß für das kleine Pflänzchen Hoffnung bedeuten, das er seit einigen Tagen hegte und pflegte? Nicht nur für sich, den smarten Anfangsfünfziger auf der Karrierespur schon ganz weit vorn, nein, gerade auch für seinen Sohn mitten in der Pubertät, der sich im letzten Jahr so sehr verändert hatte, dass Harry manchmal das Gefühl beschlich, mit einem völlig Fremden unter einem Dach zu leben.
Zu seinem eigenen Erstaunen bemerkte er, der berufliche Entscheidungen meist in einem Wimpernschlag traf, dass seine Hände zitterten, als er das Schulgebäude betrat. Der typisch muffige Geruch von Pausenbrotaroma, mit Kreide geschriebenen und wieder ausgeputzten Matheformeln und vor sich hin gammelnden Turnbeuteln schlug ihm entgegen. Sein Herz machte einen kleinen Satz, ja, hier war auch er vor über dreißig Jahren Schüler gewesen. Das Lernen war ihm, ganz im Gegensatz zu Tom, seinem Sohn, immer leicht gefallen und die guten Noten nur so zugeflogen.
Er drohte sich in angenehmen Tagträumen zu verlieren, doch halt, stopp, er war hier um eine Mission zu erfüllen. Die Auswirkungen auf sein ganzes Leben und auf das seines Sohnes haben würde. Eine eisige Hand griff nach seinem Herzen, hatte er auch alles in seine Tasche gepackt, bevor er auf die verflixte Idee gekommen war, sich Mut anzutrinken? Kopfschmerzen zogen auf und begannen, hinter seinen Schläfen zu vibrieren. Endlich atmete er erleichtert auf - alles war da, wo es sein sollte. Vor der Klassenzimmertür ein paar verwaiste Stühle, leises Stimmengemurmel hinter der Tür. Er begann damit, auf dem dämmerigen Flur auf und ab zu tigern.
Es kam Harry endlos vor, bis die Tür sich endlich öffnete. „Alles Gute“, wünschte die Lehrerin dem Elternpaar, das vor ihm dran war, Hände wurden geschüttelt. Die strahlend blauen Augen in dem herzförmigen Gesicht umwölkten sich, als ihr Blick auf Harry fiel. „Ach der Herr Groß“, sagte sie gedehnt, „das ist aber eine Überraschung.“ Sein Puls schnellte augenblicklich in die Höhe, Gedanken purzelten in seinem Kopf durcheinander, und als er seinen Mund öffnete, keuchte er wie nach einem Hundertmetersprint. „Hoffentlich eine angenehme“, stammelte er hilflos, während seine Augen „Verzeih mir!“ baten. Er schloss die Tür hinter ihnen und schaute die Frau an, die er liebte. Die er durch seinen Sohn kennengelernt und die ihn gleich fasziniert hatte. Ein knappes halbes Jahr waren sie nun zusammen, bis es zu diesem einen furchtbaren Streit kam.
Langsam griff er in seine Tasche, zog die kleine viereckige Schachtel hervor und sank auf die Knie.
„Willst Du mich heiraten?“
Wer schreibt weiter? :-)
Ebenfalls außer Konkurrenz, da ich schon 3 Beiträge Schulstory eingestellt habe.
Autor:Christiane Bienemann aus Kleve |
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