Die Seele der niederrheinischen Landschaft

„Die Lore unter den Pappeln“, Novelle von Michael Becker | Foto: GvM, Jörg S. „Der Buchentwurf stammt vom Bildhauer Josef Brüx in Cleve“
  • „Die Lore unter den Pappeln“, Novelle von Michael Becker
  • Foto: GvM, Jörg S. „Der Buchentwurf stammt vom Bildhauer Josef Brüx in Cleve“
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Einem glücklichen Umstand habe ich es zu verdanken, im Zusammenhang mit der Brüx-Ausstellung im Forum Arenacum Rindern, dass ich das Büchlein „Die Lore unter den Pappeln“, eine Novelle von Michael Becker (Verlag Franz Knippenberg Rees a/Rh. 1925) in die Hände bekam. Der Zusammenhang mit dem Künstler (Josef) Jupp Brüx besteht darin, dass Brüx den Buchdeckel, vermerkt auf der Titelseite 3 „Der Buchentwurf stammt vom Bildhauer Josef Brüx in Cleve“ geschaffen hat.
Auf der Titelseite, unter „Die Lore unter den Pappeln“ ein Vermerk, „Außerdem drei Skizzen“. Die letzte Skizze lautet: „Die Seele der niederrheinischen Landschaft“. Puh, da muss man sich beim Lesen ganz schön anstrengen, dennoch möchte ich sie hier wiedergeben. Vergessen darf man dabei nicht, dass die "Skizze" während der Besatzung des Rheinlandes nach dem ersten Weltkrieg verfasst wurde. Besonders deutlich wird dies durch den vorletzten Satz, der da lautet: „So wurde die Kultur des Niederrheins, das spricht aus jedem Denkmal der Vergangenheit, das gibt der Not des Heute tiefe Hoffnung auf das Morgen und lenkt Deutschlands Blick auf dieses Gebiet.“
Von Becker sind zahlreiche Werke bekannt, s. unten: Interesse habe ich an den fettgedruckten Werken. Vielleicht schlummern sie irgendwo.

Die Seele der niederrheinischen Landschaft
In diesem Land die Seele suchen ist Schatzgräberarbeit, ist ein köstlich Tun, das lohnt, will einem Menschen, der die Kraft hat, unter den Spiegel der Oberfläche zu tauchen, und dort sich ausschließt, der nur sich hingibt dem Ziel:   Erkenntnis. Da ist eine harte Schale um den herben Kern, den nur liebt, wer das wirkliche Leben – das Wissen um die Not von heute – bejahrt mit der Verpflichtung zur Verhaltenheit, mit dem eisernen Gesetz der Form, mit dem Trieb zum Du, mit dem Schweigen-müssen und all dem Sich-bescheiden. Die Sehnsucht zur schaukelnden Fahrt auf dem Boot des eigenen Ich, das Träumen um die heiliger Ekstase entquillenden Taten eines geläuterten Schöpfertriebes, der Wille zum Sprung von der Plattform persönlichsten Seins weg über das Gesunde und Kranke unseres Tags in Erfüllung jenseits der Zeit, all das muß hier zurückstehen, weil es nicht das Allgemeine ist, das Allgemeine, das aus der ruhigen, offenliegenden Hand niederrheinischen Landes wie eine Offenbarung an unsere Zeit spricht. Einordnung …
Dieses Landes Seele hat Kräfte, die nicht geliebt werden von seinem ästhetischen Schwächlingen, denen Seele zum Schlagwort wurde, denen Seele ein Begriff ist, in dessen kleinen Bogen man jedes gleichwie gerichtete Fühlen spannen kann, die allem eine Seele verleihen wollen und sich vermessen auf Franziskus berufen, ohne aber stark genug zu sein, wie er die Seele der Menschen und Dinge über die Brücke ihres Gottverhältnisses mittelbar, objektiv zu schauen. Sie wollen und haben nie eine Seele, sondern sind ihre Mörder, da ihnen ihre „Seele“ die Rechtfertigung ihrer Kleinheiten und Fehler bedeutet. Mitten in der Landschaft des Niederrheins werden diese Erkenntnisse wach drängen sich in dieser Weite und ernsten Schwere dem Schauenden einfach auf, künden also vom Wesen der Landschaft. Hier liegt eine ungeheure, gesunde Lebenskraft, die starke Basis ist, nottuende Grundlage dem deutschen Ganzen. Hier liegen breitgelagerte Fundamente, auf denen mit allem Streben der Gotik und mit der ganzen Vielheit des Barock, mit dem Willen zur Renaissance das große Haus Deutschland ruhen kann. Dieser Hausgrund ist breit und stark wie ein zukunftbergender Schoß, einfach und nur gewillt, zu sein und zu zeugen. Ist es nicht so, daß erst einmal der gesund, einfache, ursprüngliche Mensch wieder kommen muß? Dann wird das Wachsen in die Tiefe ein organisches werden Werden statt eines nervösen Gehastes und Getues. So sollen wir eine Landschaft erforschen, daß sie als ursprüngliche Kraft in ihren ganzen Möglichkeiten sich enthüllt. Der moderne mensch hat ein Verhältnis, wenn auch nicht letztes und tiefstes Verhältnis zum aufsteilenden Hochgebirge, das in das Ewige scheinbar greift, zum brausenden Meer, dem Gleichnis seiner gewollten Bewegtheit, zur romantischen Landschaft am meisten, weil sie die kleinste Aufgabe stellt. Schwer, fast unmöglich aber ist ihm die Deutung des breiten, in und mit der Stille sprechenden Flachlandes. Nur wenig gestaltet wird heute die Gewalt der Ruhe und ihr Leben. Es gibt manche subjektive, seine Stimmungs-Impression, der starke Ausdruck nicht kommen will. Hier in dieser Landschaft fühlt man sich zuweilen seine Notwendigkeit und hört die Quellen, aus denen er aufsteigen muß, schon rauschen.
Wenn im Sommermittag oben im Zenith das Auge der Sonne schwebt und nicht aufsaugt, nicht sucht wie das Auge der Vielen, sondern ausstrahlt, sein Wesen: Licht verschleudert wie das Auge der Seltenen, wenn Wiesen, Straßen, Wege und Dörfer einfach vom Licht verschlungen werden, sich willig auflösen in der letzten Möglichkeit der Hingebung, wenn der Raum nicht mehr breit hingelagert wie das Vieh auf den fetten Weiden liegt, sondern schwebt, dann ist dieses Landes starke, mittägliche Stunde, dann der Augenblick seines Seins, der wegen seiner Gesteigertheit und innersten Gewalt im Leben immer nur selten möglich ist, dann ist das Land über sich hinausgewachsen, fast ichlos, dann trägt es sich selbst, so breit wie es ist, dem Lichte entgegen, nach dem es mehr sehnsüchtig ist, als daß es dasselbe besitzt. Hier strebt und erfüllt sich ein Ganzes und wird angenommen vom Höheren, hier ist das Sichtbare sprechendes Gleichnis, Kündung. Vielleicht, daß der niederrheinische Mensch – ohne es zu wissen, und vielleicht noch von den Vätern, die zur Natur unmittelbar ein Verhältnis hatten – hierher seine selbstbewußte Verschlossenheit holte. Zur letzten Lichtbejahrung fehlt ihm die Stetigkeit des Lichten, das in seiner sommermittäglichen Absolutheit so selten ist und dessen Fehlen den so ganz erdgebundenen Menschen werden ließ. Die flammenden Abende zuweilen, die von Westen breit daherfließen, den späten Strom und das Land um ihn, das Bruch um Geldern, den Wald und den Fuß der Schwanenburg in Licht tauchen, tragen schon zuviel die Ahnungen der kauernden Nebel, die niederhalten und in die Enge zwingen, den Wipfel abschneiden und die Kirchen nicht höher werden lassen als die Bauernhäuser. Weiße und rote Glut sind diesem Land seltenes Kleid. Sollten wir alle nicht einmal versuchen, eine Zeit so zu werden? Wir müssen irgend einer Gewalt und beugen, die in die Breite treibt, dann werden wir Grund gewinnen, der uns stark trägt, wenn wir höhedurstig sind. Kündet das nicht der Dom zu Xanten, sprechen das nicht die Altäre zu Calcar, Meisterwerke und zugleich Offenbarungen einer Volksgesamtheit, die – sich hingebend an den Stoff – Möglichkeit zu solcher Gestaltung gewann? Ist es nicht die Kündung ragender Türme der mächtigen Kirche zu Cleve? Die Seele niederrheinischen Landes kauert sich wie ein Beter um Gnade den meisten Teil ihrer Zeit demütig hin, wartet auf sie wie ein gotthungriger Mensch und ist zufrieden, wenn selten, aber dann stark sich die Lichtsegnung naht. So wurde die Kultur des Niederrheins, das spricht aus jedem Denkmal der Vergangenheit, das gibt der Not des Heute tiefe Hoffnung auf das Morgen und lenkt Deutschlands Blick auf dieses Gebiet. Hier ist eine Landschaftsseele, deren Weben zu lauschen köstlichen Gewinn bringt.

Von Michael Becker sind folgende Werke bekannt:
Aufschrei. Köln 1919.
Lösung. Cleve (Niederrhein) 1921.
Vor Morgen. Essen 1921.
Der Prolet. Frankfurt am M. 1923.
Reinhard Johannes Sorge. Würzburg 1924.
Jan van Werth. Berlin 1925.
Die Lore unter den Pappeln. Rees a. Rh. 1925.
Die neue Stadt. Breslau 1926.
Das namenlose Spiel. Köln 1927.
Drei kleine Sprechchöre. Mönchen-Gladbach 1930.
Die Leute aus der Krötengasse. Köln 1930.
Klingende Stunde. Habelschwerdt 1931.
Die Magd Maria. Berlin 1931.
Mariens Schwestern in der Zeit. Düsseldorf 1931.
Neuland der Tat. Köln 1931.
Der Psalm der Zeit. München 1931.
Litanei der Zeit. München 1932.
Der Prophet. München 1932.
Volk. München 1932.
Ein Weg. Bonn 1932.
Weihnachtsopfer. München 1932.
Die kommende Zunft. München 1933.
Lohendes Feuer. München 1933.
Mägde und Mütter. München 1933.
Der neue Dom. München 1933.
Wallfahrt zum Kreuz. München 1933.
Aussaat Gottes. Köln 1934.
Der Schmied von Zons. Nievenheim 1934.
Das Spiel des Volkes. München 1934.
Sterne und Gassen. Paderborn 1934.
Der Trommler Gottes. Paderborn 1934.
Heiliger Advent. Düsseldorf 1935.
Hein Wiesing. Innsbruck [u. a.] 1935.
Junges Geschlecht. Frankfurt a. M. 1935.
Das Mädchen Elisabeth. Paderborn 1935.
Das Spiel vom reichen Bettler Franz. Frankfurt a. M. 1935.
Der Wächter von Zons. Nievenheim 1935.
Carl Mosterts zum Gedächtnis. Düsseldorf 1936 (zusammen mit Ludwig Wolker und Franz Johannes Weinrich).
Der Freiheitsbaum von Zons. Nievenheim 1936.
Unsere liebe Fraue im Advent. Frankfurt am Main 1937.
Der Weg einer Frau. Paderborn 1937.
Der ewige Dom. Trier 1938.
Das Herrgottstal. Trier 1938.
Yolanda. Paderborn 1938.
Kleine Symphonie. Paderborn 1939.
Regin und Christopher. Paderborn 1939.
Tage einer Greisin. Paderborn 1940.
Die neue Zunft. Tettnang/Württ. 1945.
Die Heilige in unserer Zeit. Bonn 1946.
Lied im Herbst. Tettnang 1946.
Heerfahrt der Neuen. München 1947.
Der Tor des Herrn. München 1947.
Der Knecht Mariens. Steinfeld-Eifel 1949.
Orgel des Herzens. Trier 1949.

Autor:

Günter van Meegen aus Bedburg-Hau

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