Verliebt in Sütterlin
„Können Sie mir nicht ein schönes Gedicht schreiben für meine Sitzecke?“ Solch einen Wunsch erfüllt Joachim Trenn gerne – in wunderbar ausgewogener und wohlproportionierter Sütterlin-Schrift.
Genauer gesagt: in Kurrent, bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts die gebräuchliche Verkehrsschrift in Deutschland. „Diese Schriftform fällt leicht nach rechts, während Sütterlin-Buchstaben lotrecht stehen. Kurrent ist gefälliger und liest sich leichter“, stellt der 84-jährige frühere Bau-techniker fest.
Vor fünf Jahren hat Trenn die alte Schrift, die er während seiner Schulzeit drei Jahre lang benutzte und die Adolf Hitler 1941 verbot, während einer Mineralienausstellung wiederentdeckt und aus dem Stand lieben gelernt. „Einige der gezeigten Objekte waren auf diese Art gekennzeichnet.“
Schon morgens um sechs setzt er sich mitunter ans selbstgebaute Pult und überträgt Gedichte von Busch, Ringelnatz, Eugen Roth, aber auch von Heine und Goethe in Kurrent-Schrift. „Die Gedicht verschenke und verschicke ich an Empfänger in ganze Deutschland, in Österreich, Großbritannien und sogar in Venezuela. Teilweise packe ich zehn Stück in die Umschläge und löse damit große Freude aus. Die Menschen wollen vor allem die alte Schrift wieder lesen, die in ihnen viele Erinnerungen wachruft.“ Als Gegenleistung nimmt er kein Geld, sondern vielleicht ein Fläschchen Wein oder selbstgemachte Marmelade.
Hauszeitschriften von Altenheimen in Recklinghausen, Bochum, Wattenscheid und Hattingen sind ebenso dankbare Abnehmer wie die Besucher der Flora Marzina: „Dort hänge ich jeden Tag ein neues Gedicht aus.“
Auch junge Menschen zählen zu Joachim Trenns „Kunden“: „Ihnen lese ich gerne Testamente, Briefe und Feldpost ihrer Altvorderen vor, denn mit Sütterlin und Co. können sie wenig anfangen.“
Zuweilen schreibt Trenn auch anrührende Liebesgedichte, zum Beispiel im Auftrag einer empfindsamen Lehrerin, die das Werk rahmte und es ihrem Schatz schenkte. Ob sie dauerhaften Erfolg erzielte, ist nicht bekannt.
Neben Gedichten bannt der Schreiber Aphorismen aufs Papier. 350.000 der knappen, geistreichen Gedanken hat er vorrätig. „Ich habe rund 20 Bücher, mehr gibt es wohl nicht.“
Dass Sütterlin und verwandte Schriften offenbar im Trend liegen, beweist ein entsprechendes Computerprogramm, mit dem ein Mönch seine Briefe an Joachim Trenn verfasst, bevor er sie ausdruckt. Als Mail verschicken kann er sie nicht, denn der Empfänger hat keinen Rechner und will auch keinen. Er schreibt lieber mit Kalligraphen-Füllern. Die kos-ten pro Stück etwa acht Euro. 30 bis 40 stehen inzwischen zur Auswahl. Nur ganz selten benutzt Joachim Trenn Federkiele. „Ganz schwierig, wenn der Tintenfluss gleichmäßig sein soll.“
Und auf gutes Aussehen legt der 84-Jährige größten Wert. „Meine Buchstaben stehen exakt auf einer Höhe und behalten ihre einmal gewählten Größen den ganzen Text hindurch.“ Dabei pflegt der Mann einen „schwungvollen Strich“, und geschludert wird auf keinen Fall. Seine Gedichte, aber auch seine selbst gemachten Glückwunsch-, Oster- und Weihnachtskarten kann man ohne zu zögern rahmen und aufhängen. Sie sind kleine Kunstwerke.
Eine Bekannte, Goldschmiedin von Beruf, hat er schon so inspiriert, dass sie Sütterlin mit Hingabe auf Decken und Handtücher stickt.
Eines hat sich durch die Liebe zu den altdeutschen Buchstaben peu à peu verändert: „Ich kann jetzt nur noch die lateinische Druckschrift. Die Schreibschrift beherrsche ich nicht mehr.“ Und schon sitzt er wieder am Pult: „Spuren im Sand verwehen, Spuren im Herzen bleiben.“ Wie wahr!
Autor:Bernhard W. Pleuser aus Essen-Kettwig |
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