In die Herzen gegrätscht
„Kaum ein Spieler hat den VfL Bochum so geprägt wie Dariusz Wosz. Anfang der 1990er Jahre kam der gebürtige Pole aus der ehemaligen DDR ins Revier und dribbelte und grätschte sich in die Herzen der Bochumer.“
„Kniet nieder vor König Dariusz, ihr Bauern“ heiß es denn auch auf einem Fanplakat, das man während der Begegnung VfL-Arminia Bielefeld am 17. 11. 2001 entrollte.
Diese und andere wahre Worte finden sich in dem Buch „anne Castroper – ein Jahrhundert Fußball mitten in Bochum“. Das starke Stück Stadiongeschichte hat Henry Wahlig verfasst, der, geboren 1980, schon als Kind die 1968er Pokal-Elf des VfL auswendig lernte, als die anderen Jungs draußen bloß lässig kickten. Er ist derzeit wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Sportwissenschaft der Universität Hannover und dem Ruhrgebiet eng verbunden. Wenn er nicht gerade im Stadion hockte, war er ganz bestimmt als Zuschauer im Bochumer Schauspielhaus zu finden. Die Dribbler kannten ihn und die Theater-Fans auch. Woher wir das wissen? Von seinem Vater Tom Wahlig, der ganz schön stolz ist auf seinen Sohn.
In dessen Fußball-Buch, das er zusammen mit David Nienhaus, Christian Schönhals und der Presseabteilung des VfL Bochum 1848 verfasste, steht alles drin, was der Fan wissen muss und was der Indifferente braucht, um zum Fan zu werden. Akribisch recherchiert und prächtig bebildert ist der 180-Seiten-Band.
Seit 1911 tragen der VfL Bochum bzw. seine Vorgängervereine ihre Heimspiele am selben Standort aus, an der Castroper Straße. Es begann mit einem Bretterzaunplatz, der sich in den 1920er Jahren zu einem hochmodernen Neubau und schließlich, 1979, zum Ruhrstadion mauserte, das sich bei den Fans wegen seiner Kompaktheit besonderer Beliebtheit erfreut und auch außerhalb Bochums als „Schmuckkästchen der Liga“ bezeichnet wird. Seit Juli 2006 heißt es „rewirpowerSTADION“.
Henry Wahlig nimmt sich Höhepunkte wie Länder- und Europapokalspiele ebenso zur Brust wie diverse Um- und Anbauten oder Namenswechsel; ein Blick hinter die Kulissen zeigt, wie ein Spieltag im Stadion abläuft. Natürlich findet der geneigte Leser jede Menge Statistiken: Zuschauerzahlen seit 1953/54, Rekordspieler (1. Platz Michael Lameck, 252 Spiele, 22.477 Minuten auf dem Platz) und nicht zuletzt die höchsten Siege: 10:0 bezwangen die Bochumer Westfalia Herne in der Saison 1941/42. Es geht auch umgekehrt: Bayern München schlug den VfL am 12. 12. 2009 mit 5:1. Da waren die Bazis aber auch noch besser drauf.
Von ihrer ganz persönlichen Beziehung zum Stadion erzählen nicht nur Stadion-
sprecher, Nachbarn und Tankstellenpächter, sondern auch Prominente wie Christoph Biermann, Ben Redelings oder die fernsehbekannten Polizisten Toto & Harry. Kultautor Frank Goosen beschreibt die unleugbaren Vorteil der JVA gegenüber dem Stadion: „Gästefans, die sich daneben benehmen, können hier gleich verklappt werden und dürfen sich in ihren Zellen die Jubelgesänge beim nächsten Heimsieg anhören.“ Zur Zeit wohl nicht ganz so oft. Aber das kommt wieder. Die Bochumer gelten als Stehaufmännchen! Sind sie doch „zu Hause wirklich ’ne Heimmannschaft“, wie es „Experte“ Boris Becker einst im DSF formulierte.
Sie finden, ich habe Herbert Grönemeyer vergessen? Habe ich nicht. Lesen Sie die Seiten 100 und 101 („Tief im Westen“) und hören Sie auf zu nörgeln. Bestellen Sie lieber das Buch: Henry Wahlig, „anne Castroper“, Verlag Die Werkstatt, Göttingen. ISBN 978-3-89533-779-6, 24,90 Euro.
Autor:Bernhard W. Pleuser aus Essen-Kettwig |
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