Zu dick, um aufzustehen
Die meisten Menschen in Nordrhein-Westfalen sind übergewichtig. Fast 56 Prozent der Bevölkerung bringen zu viele Pfunde auf die Waage, teilte das Landesamt für Statistik in Düsseldorf kürzlich mit. 15 Prozent gelten sogar als fettleibig (adipös). Die meisten Dicken ermittelten die Statistiker mit 65 Prozent in Herne (wir berichteten). Dagegen möchte Ingrid Fischbach etwas tun.
Die CDU-Bundestagsabgeordnete suchte in Herne gemeinsam mit Fachleuten nach Möglichkeiten, dem Trend zur Fettleibigkeit Einhalt zu gebieten und gesunde Ernährung in Köpfen und Mägen zu etablieren.
„Die Eltern achten in vielen Fällen einfach nicht darauf, was ihre Kinder essen“, hat Ingrid Fischbach in zahlreichen Gesprächen erfahren müssen.
Katrin Zylka von der AOK weiß als Ökotrophologin nur zu gut, wo der Schuh drückt: „In unserem Projekt ‚Tigerkids‘ lernen Jungen und Mädchen zum Beispiel Brot-
sorten kennen. Wir zeigen, wie ein Vollkornbrot beschaffen sein muss und setzen auf Brötchen mit Gemüsebelag statt Schoko-Croissants, Spielerische Bewegung gehört natürlich auch zum Programm.“
An der Regenbogenschule läuft noch bis zum Sommer 2011 ein Schulobstprogramm (wir berichteten). Lehrerin Christa Brockers: „Obstmütter und Kinder schneiden Äpfel, Birnen, Gurken und Kohlrabi in kleine Stückchen, von denen die Kinder auch während des Unterrichts naschen dürfen.“ Die Schule bemüht sich zudem, bei den Kindern den Konsum von Süßigkeiten zu reduzieren. Ob das Obst-Projekt auch nach dem Sommer fortgeführt werden kann, ist derzeit noch unklar.
Dörte Rüstmann, Ökotrophologin beim Treffpunkt Ernährung und Gesundheit Herne, verweist auf intensive Ernährungsberatung, die zu seinem gesünderen Leben führen soll: „Wir betreuen adipöse (stark übergewichtige) Kinder und ihre Eltern. Sport und Ernährung gehören bei uns zusammen. Ein kleiner Erfolg ist zum Beispiel, wenn Kinder beginnen, für die Schulverpflegung eine tägliche Möhre einzufordern oder anderes Obst und Gemüse.“ Aber zuvor gelte es, Möhre und adäquate Schältechnik überhaupt erst im Bewusstsein verankern.
Das Wohnprojekt „Modul“ für dicke Kinder bietet das Herner ev. Kinderheim an. „Wir hatten einen elfjährigen Jungen, der mit 150 Kilo zu uns kam; er konnte zuerst nur im Sitzen kegeln. Aufzustehen war ihm unmöglich“, berichten Heimleiter Ulrich Klaß und Kornelia Firley. „Jetzt wiegt er noch 65 Kilo.“ Im Kinderheim stapeln sich Anfragen aus vielen Regionen Deutschlands zum „Modul“-Projekt. Das Thema brennt auf den Nägeln. Im kommenden Jahr steht unter anderem eine „Einkaufsrallye“ mit Eltern übergewichtiger Kinder auf dem Programm und eine Einführung ins „gesunde Grillen“.
Ulrich Klaß hält es für „Misshandlung“, wenn Eltern nichts dagegen unternehmen, dass sich ihr Kind dick und rund frisst.
Ingrid Fischbachs Resümee: „Wir brauchen Ernährung als Schulfach.“ Dafür will sie sich im Bundestag einsetzen. Kritik an den Herstellern – zum Beispiel von süßem Zeug – hält sie für wenig hilfreich. „Ich setzte mehr auf Lob und Verstärkung, wenn sie gesunde Produkte anbieten.“ So könne sie sich die Vergabe von Umweltpunkten und Auszeichnungen vorstellen.
Siehe Kommentar Seite 1
Autor:Bernhard W. Pleuser aus Essen-Kettwig |
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