Besucherrückgang, Techniker-Mangel, Energiekrise
Kultur in der Krise

Chris Wawrzyniak leitet das Kulturbüro der Stadt Herne und kämpft gegen Besucherverluste, Techniker-Mangel und die Energiekrise. | Foto: Anna-Lisa Konrad
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  • Chris Wawrzyniak leitet das Kulturbüro der Stadt Herne und kämpft gegen Besucherverluste, Techniker-Mangel und die Energiekrise.
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Die Kultur in NRW krankt. Im Interview berichtet der Leiter des Kulturbüros der Stadt Herne, Chris Wawrzyniak*, von dramatischen Besucherrückgängen, einem kaum öffentlich bekannten Mangel an Technikern und düsteren Aussichten für den Winter der Energiekrise. 

Die Kulturbranche hat stark unter Corona gelitten. Bis heute bleibt viel Publikum fern. Wie genau sieht die Situation in Herne aus? 
Wir haben ein gemischtes Bild. Bei Indoor-Veranstaltungen sind die Besucherzahlen circa um 50 Prozent zurückgegangen. Wir hatten 2019 im Schnitt 700 Gäste bei Indoor-Veranstaltungen, 2022 sind es durchschnittlich nur noch 310. Anders ist die Lage bei Outdoor-Veranstaltungen wie dem Herner Nightlight-Dinner. Da waren wir sehr positiv überrascht, wie viele Menschen in die Innenstadt kamen. Mir zeigt das, dass die Menschen grundsätzlich Interesse an unserem Angebot haben und Orte der Begegnung suchen.

Woran liegt Ihrer Meinung nach der starke Besucherrückgang bei Theater, Konzerten und Co.? 
Zunächst ist mir wichtig zu sagen, dass das nicht nur uns in Herne betrifft, sondern den gesamten Kulturbetrieb. Bei Tagungen und Branchenveranstaltungen ist das Thema 'Publikumsrückgewinnung' das derzeit am meisten diskutierte - neben den Auswirkungen der Krisen auf unsere Arbeit.
Meiner Meinung nach spielt Corona noch eine Rolle, also die Sorge um die Gesundheit. Die Lockdowns und Einschränkungen während der Pandemie haben die Menschen sensibler gemacht. Während der Schließung haben sich die Gewohnheiten der Menschen verändert, sie suchten sich neue Hobbys im kleinen Kreis und fanden neue Perspektiven. 

Wie steuern Sie gegen?
Wir versuchen, für das Thema zu sensibilisieren und zu zeigen: Wir sind noch da! Selbst stellen wir uns die Frage, wie unser Angebot ausgestaltet werden muss, damit es die Menschen interessiert. Dazu müssen wir mit den Menschen ins Gespräch kommen. Die Kulturbetriebe in NRW haben mit der Uni Paderborn eine Umfrage initiiert, in der sie herauszufinden versuchen, was das Publikum bewegt und was es sich wünscht. Die Teilnahme ist bis 30. Oktober möglich. 
Vor Corona hatten wir als erfahrene Kulturschaffende ein gutes Gefühl dafür, was beim Publikum ankommt und was nicht. Aber dieser Kompass ist aus dem Gleichgewicht geraten. Deshalb müssen wir auch in vielen Bereichen wieder ausprobieren, hinterfragen und evaluieren.

Ob Tanzveranstaltungen, Theater oder Konzerte: Bei Indoor-Veranstaltungen ist ein deutlicher Publikumsrückgang zu verzeichnen.  | Foto: Evgen Rom auf Pixabay
  • Ob Tanzveranstaltungen, Theater oder Konzerte: Bei Indoor-Veranstaltungen ist ein deutlicher Publikumsrückgang zu verzeichnen.
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Was sind aktuell besondere Herausforderungen? 

Wie viele andere Branchen hat auch der Kulturbetrieb ein Fachkräfte-Problem. Viele Techniker haben in Coronazeiten die Branche gewechselt und fehlen nun. Die Verknappung der Arbeitskraft führt unweigerlich zu einer starken Erhöhung der Tagessätze, teilweise um das bis zu Dreifache. 

Mussten schon Veranstaltungen aufgrund fehlender Techniker abgesagt werden?
Hier im Kulturbüro der Stadt Herne nicht. Das liegt an dem sehr großen Engagement der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen im Kulturbüro. Sie schuften zu Spitzenzeiten überdurchschnittlich viel und tragen so maßgeblich dazu bei, dass der Betrieb weiterlaufen kann.

Gibt es weitere Sorgenfalten in Ihrem Gesicht?
Da sind zunächst die Sorgen, die uns alle betreffen: Inflation, Energiekrise, Ukraine-Krieg. Die Auswirkungen der Krisen auf den Kulturbetrieb beschäftigen mich natürlich auch sehr. Hartmut Dedy, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, hat kürzlich in einem Interview mit dem DLF angedeutet, dass Sporthallen und Kultureinrichtungen als erstes von Einschränkungen durch die Energiekrise betroffen sein könnten. Das wäre schon ein herber Rückschlag für uns.

Wie blicken Sie in die Zukunft? 
Es ist eine herausfordernde Zeit, aber das kann auch Gutes bewirken. Wir lernen aus Krisen und verändern uns, finden neue Zugänge zueinander und durchbrechen unsere Echokammern. Ich bin optimistisch, dass wir gestärkt daraus hervorgehen werden. 

Kann Kultur bei Bewältigung von Krisen helfen?
Kultur kann einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, man darf das nicht unterschätzen. Sie kann bei der inhaltlichen Bewältigung der Krise helfen, indem sie auf der einen Seite geistige Zerstreuung schafft, auf der anderen Seite Antworten und Deutungsansätze liefert, die dabei helfen, nicht den Überblick zu verlieren.

Was ist Ihr Wunsch für die Kulturarbeit der nächsten Jahre?
Meine Wünsche sind bescheiden: Ich möchte, dass der Kulturbetrieb erhalten wird und gute Inhalte vorhalten kann. Dass Kultur ein Ort der Begegnung bleibt, ein Weg raus aus der eigenen Blase. 

*ZUR PERSON:
Chris Wawrzyniak leitet seit eineinhalb Jahren das Kulturbüro der STadt Herne sowie die Flottmann-Hallen. Der 44-Jährige war vorher Freier Kulturschaffender und betrieb eine Agentur, die Poetry Slams im Ruhrgebiet veranstaltet. Der gebürtige Herner kehrte 2021 zurück zu den Wurzeln, denn bereits 2001 hatte er bei den Flottmann-Hallen ein Praktikum absolviert.

Chris Wawrzyniak leitet das Kulturbüro der Stadt Herne und kämpft gegen Besucherverluste, Techniker-Mangel und die Energiekrise. | Foto: Anna-Lisa Konrad
Ob Tanzveranstaltungen, Theater oder Konzerte: Bei Indoor-Veranstaltungen ist ein deutlicher Publikumsrückgang zu verzeichnen.  | Foto: Evgen Rom auf Pixabay
Autor:

Miriam Dabitsch (Redakteurin) aus Velbert

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