Anna überkommt immer öfter diese Angst. Angst gepaart mit Macht- und Hilflosigkeit. Sie kann sich nicht mehr auf die Schule konzentrieren, da ihre Nächte von fast vollkommener Schlaflosigkeit geprägt sind. Nach außen hin lässt sie sich nichts anmerken, gibt sich fröhlich und aktiv wie eh und je. 2 Wochen nach der Beerdigung ihres geliebten Pas nimmt sie ihr Leben wieder auf, flüchtet in allerlei Aktivitäten. Stundenlang tanzt sie in der Disco. Doch die Bilder verfolgen sie. Der Vater, schwerst pflegebedürftig nach einer schlimmen Krankheit.
Die letzten Tage im Krankenhaus. Ein hilfloses Bündel Mensch, das nichts mehr gemein hat mit dem Mann, von dem sie so vieles gelernt hat. Den sie anhimmelte. Der Gang in die Leichenhalle, zu dem sie mehr oder weniger gezwungen wurde. Nach einiger Zeit werden ihre Noten schlechter und sie trennt sich scheinbar aus heiterem Himmel von ihrem Freund. Eines Tages bricht sie todmüde und weinend zusammen. Sie sieht keinen Ausweg mehr. Erst der gemeinsam mit ihrer Mutter konsultierte Arzt verschafft ihr die so dringend benötigte Atempause.
Die Familientrauerbegleiterin Mechthild Schroeter-Rupieper im Lokalkompass-Interview
Liebe Mechthild, wie schätzt du diese Geschichte ein, was hätte mit einer Trauerbegleitung anders, besser laufen können?
Hätte Anna Trauerbegleitung vor dem Tod des Vaters erhalten, dann hätte man ihr erklären können, was da durch die Krankheit und durch das Sterben geschieht. Sie hätte nicht HILFLOS mit ansehen müssen, was da passiert, sondern hätte „eingreifen“ können. Durch bewusstes Erkennen kann ich begreifen und meine Gefühle zulassen. Die der Traurigkeit, der Zärtlichkeit, vielleicht auch der Wut.
Ein Jugendlicher brachte seinem Vater Fotos mit ins Hospiz, der Vater war nicht in der Lage, die Bilder anzuschauen, aber der Sohn tat es. Er lachte, erinnerte, sprach den Vater darauf an, obwohl dieser regungslos war.
Später erinnert man sich dann an die Zeit, die schlimm war und dennoch eine so intensive Nähe schaffte. Nicht tatenlos sein, nicht Opfer, sondern handlungsfähig zu bleiben, tut in schweren Situationen gut. Einen verstorbenen Menschen noch einmal zu sehen, zu verabschieden, ist so wertvoll. Aber mir als Trauernden muss immer bewusst sein, WARUM es wertvoll ist. Es ist wertvoll, weil ich Abschied nehme, weil ich das letzte Mal die Chance habe, bei ihm zu sein. Weil er auch tot mein Vater ist und nicht einfach nur eine Leiche. Weil ich es mir auch wünsche, dass man sich vor mir nicht fürchtet, wenn ich gestorben bin. Fürchten und trauern - dazwischen liegen Welten. Gezwungen zu werden, ohne dass man den Sinn versteht, ist ungut.
Trauerbegleitung, machst du das hauptberuflich und wie bist du dazu gekommen?
Vor über 20 Jahren bin ich zu diesem Thema gekommen, weil ich zu „Trauer bei Kindergartenkindern“ Fortbildungen gegeben habe. Als Erzieherinnen mich in ihre Kitas oder zu jungen Familien nach Hause baten, weil dort ein Elternteil verstarb, erlebte ich, dass junge Familien in Trauerzeiten übersehen werden. Sie erhalten keine Hilfe von außen. Da Krankenkassen nicht und Jugendämter nur selten Trauerbegleitung bezahlen, gab es keinen Träger in der Familien- oder Hospizarbeit, der eine Arbeitsstelle dazu finanzierte.
Mir war aber durch die Einsätze in der Praxis und mein Wissen als Erzieherin deutlich, dass es diese Arbeit und auch ein neues Bewusstsein in der Gesellschaft braucht. Also machte ich mich selbstständig und setzte den Begriff „Familientrauerbegleitung“. Damals musste ich mich noch für meine Arbeit erklären - ich würde es nicht rechtfertigen nennen, da ich das aus meiner Sicht steuern kann.
Die Veranstaltung am 28.04.2017 in der Wasserburg in Kleve- wieso ist es so wichtig, Kindergärten und Schulen mit ins Boot zu holen?
Neben dem Elternhaus sind Kitas und Schulen Bildungseinrichtungen, die pädagogisch und lehrend für das Familiensystem unterstützend tätig sind. Kinder und Jugendliche verbringen häufig mehr Zeit in Kita und Schule als im eigenen Elternhaus. Wenn ein Elternteil, Geschwister oder auch andere nahe Verwandte oder Freunde sterben, hat das Auswirkungen auf die trauernde Person und damit auf das soziale Umfeld. Auch Kinder, die unauffällig trauern, tragen ihre Trauer mit sich, werden dadurch vielleicht verletzlicher, angreifbarer, unkonzentrierter, angepasster oder müder. Andere drücken ihre Gefühle durch Unruhe oder Wut aus, stören die Gruppe - jedoch erkennt die Erzieherin oder Lehrerin durch eigenes Unwissen keine Trauerreaktion in diesem Verhalten.
Schulen und Kitas haben jedoch die Chance, emotionale Bildung mitzugestalten und unsere Gesellschaft zu einer besseren Mitmenschlichkeit zu wandeln. Erzieher und Lehrer, die verstehen, wie Trauer entsteht und welchen Sinn sie macht, werden das auch auf andere Verlustsituationen übertragen können. Fast 50% unserer Kinder sind durch den Verlust aufgrund von Scheidung betroffen, es sind meist trauernde Kinder, die nicht wahrgenommen werden. Das ist ein großes Problem unserer Gesellschaft, weil dadurch Reaktionen entstehen, die in der Schule z.B. durch Mobbing und in Partnerschaften durch Beziehungsstörungen wie klammern, sich nicht binden wollen oder Schuldübertragungen deutlich werden können.
Dein beglückendstes oder berührendstes Erlebnis in deinem Beruf?
Dass insbesondere Kinder und Jugendliche ein gutes Selbstbewusstsein und Selbstständigkeit dadurch entwickeln, indem sie sich auf den Trauerprozess bewusst einlassen und auch bewusst abgrenzen können und dadurch krisenbeständiger werden können. Dass dadurch die Stärken, die jeder Mensch in sich trägt, zu Bewusstsein kommen und Werte in sich und für andere positiv verändern.
Und ich erlebe im Beruf meine Mitmenschen und mich als befreite Menschen, die, weil sie von Herzen traurig sein können, auch ebenso herzlich lachen können.
Dein Beruf verlangt dir manches ab. Wie gehst du mit der Traurigkeit um, wie sorgst du für Ausgleich?
Meine Familie, meine Freunde, mein Hund und mein Garten, gerne am Wochenende mit einem Lagerfeuer, tun mir gut. Ich schreibe gerne Geschichten oder Gedanken zu meinen Alltagserlebnissen. Das wird für mich auch gleichzeitig als entlastend empfunden, insbesondere weil ich meist über Geschehnisse aus der Trauerarbeit schreibe, in der ich Dankbarkeit erleben durfte. Manchmal doppelt sich so die Dankbarkeit durch erleben und reflektieren. Und zwischendurch verreise ich mit meine Mann mal eben zu einer Städtetour, nach Umbrien aufs Land oder an die See. Wer sich viel mit traurigen Momenten beschäftigt, braucht lebendigen und frohen Ausgleich.
Die Veranstaltung findet am 28. April 2017 auf der Wasserburg in Rindern statt. Für die Teilnehmer entstehen keine Unkosten, es ist aber eine verbindliche Anmeldung unter Tel. 02821 73210 erforderlich. Um 15.30 Uhr gibt es zunächst eine kleine Stärkung. Ab 16 Uhr bis ungefähr 19.30 Uhr findet die Veranstaltung in Raum 6 statt. Reinhold Kohls, Macher von Herzenswunsch Niederrhein: "Mein Wunsch wäre es, wenn u.a. von jeder Schule, jedem Kindergarten und jeder Kita zumindest eine Person kommen könnte, um das neu erworbene Wissen an das übrige Kollegium weiterzugeben." Natürlich sind auch Eltern und weitere Interessierte ganz herzlich willkommen.
Weitere Literatur zu diesem Thema: "Geschichten, die das Leben erzählt, weil der Tod sie geschrieben hat" von Mechthild Schroeter-Rupieper
Autor:Christiane Bienemann aus Kleve |
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