Reise mit Hindernissen

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Um mich nicht unnötig mit Handgepäck etc. zu belasten, packte ich komplett alles in den Koffer: mein Brautmutterkleid samt Hut, Pumps und Handtasche ebenso wie die handgenähten Stolen für die Brautjungfern, Geldgeschenke, meinen Schmuck, die zweisprachige Hochzeitsrede, Fotoapparat, Kurpackungen für die Schönheit und und und…
Ein paar normale Klamotten natürlich auch.

....Der Flug war gecancelt worden. Gestrichen. Aus.

....Also schloss sich der Kreis, und ich stand wieder vor dem Chaos-Schalter, bei dem wir alle nach dem Rausschmiss schon einmal gestanden und geheult hatten. Ich erkannte sogar die gestressten Angestellten sofort wieder. Und das will bei mir schon etwas heißen.
Anstandslos schrieben sie mein Ticket um. Aber als ich sie nach meinem verschwundenen Koffer fragte, zuckten auch sie nur die Schultern.
Langsam wurde ich wirklich sauer. Wo zum Teufel war mein Koffer? Irgendjemand musste doch wissen, wo das Ding abgeblieben war.
Warum nur, warum hatte ich meinen Koffer mit all den wichtigen Sachen vollgestopft? Warum? Das hätte ich normalerweise nie getan!
Warum? Warum? Warum? Mist, verdammter! Ich Idiot!
Ich? - Travel!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! Du Idiot!
Hab ich vorhin doch richtig gesehen! Was hab ich dir eigentlich getan?

„Wo ist mein Koffer? Ich muss meinen Koffer wiederhaben!“ Verunsichert ob der Furie mit den irren Augen, die da vor ihnen tobte, wiesen sie nach rechts: „Sperrgutschalter…“
„Nein“, ich bemühte mich um Contenance und zischte mit zusammengepressten Zähnen: „Die wissen noch nicht einmal, dass der Flug überhaupt nicht raus gegangen ist. Da ist keinerlei Gepäck aus der Maschine hingekommen. Meins - auch - nicht!“
Daraufhin verfielen sie wieder in Hektik und fingen an zu telefonieren. Schließlich kam die frohe Botschaft, dass das ganze Gepäck mit nach Manchester gegangen sei. Aber aufgrund der Codierung würde es umgehend nach Birmingham weiter geleitet.
Wenn das mal stimmte! Ich hatte ein mehr als mulmiges Gefühl. Aber sie tätschelten und beruhigten mich. Irre soll man bekanntlich nicht aufregen.

Ich suchte mir einen Münzfernsprecher und rief meine Tochter und meinen Mann an. Bille dachte, ich sei schon in England und gleich da, mein Mann war entsetzt: „Du immer mit deinen Stand-by-Flügen. Hast du die Nase immer noch nicht voll? Da siehst du es mal wieder!“ Er machte sich Sorgen und regte sich auf. Ich wurde wieder ruhig.
Das war so gegen eins.
Während ich die Stunden abarbeitete, überlegte ich ausführlich pro und kontra, was ich zur Hochzeit anziehen könnte. Alternativ.
Alles neu kaufen in England? Bin ich Rockefeller? Oder von meinem Mann irgendetwas aus dem heimatlichen Schrank suchen lassen? Nur was? Nee, lieber nicht, keine gute Idee.
Und die Hochzeitsrede? OK, die war ja zuhause im PC gespeichert. Musste mein Mann nur noch einmal ausdrucken. Aber mein Schmuck? Und überhaupt alles? Toll. Wirklich.
Die ganzen Geldgeschenke… Mist, Mist, Mist! Blöde Kuh! Wie kann man nur so dämlich sein?
Und die Brautjungfern ohne Stolen…………..
Kein Fotoapparat. Keine Kamera. Nichts, nichts, nichts!

Chaos, ich bring dich um! Diesmal aber echt! Diesmal hast du es zu weit getrieben. Entschieden zu weit!.

Ich pendelte mit stampfenden Schritten fluchend und zischend zwischen Flughafen Anfang und Flughafen Ende hin und her mit regelmäßigem Stopp beim Sperrgutschalter. Ich hatte ja Zeit ohne Ende.

Ab und zu, ganz unverhofft, wenn mein Blick vom Boden nach oben an die Decke schweifte, schoben sich immer wieder Bilder von 1996 zwischen meine Sorgen um den verschwundenen Koffer und die Hochzeit mit der Brautmutter im durchsifften T-Shirt und Jeans.
Bilder, die mir noch heute die Haut zu dicker Gänsehaut aufrollen. Bilder vom brennenden Flughafen. Vor ein paar Jahren. Als wir zuhause noch völlig ahnungslos mit der Katastrophen-Nachricht überfallen wurden und nicht wussten, ob unsere Tochter Dienst hatte und vielleicht mitten in diesem Inferno steckte.
Bilder von flüchtenden Menschen vor den alles fressenden Feuern im Flughafen und selbst in den Fingern zu den Maschinen. Ich konnte Birte damals nicht erreichen. Immer dieses Freizeichen, das mich fast wahnsinnig machte. Wo steckte sie? Lebte sie? War sie in Düsseldorf auf dem Weg zum Dienst gewesen? Irgendwo hier?
Damals?

All diese alten Ängste, diese Vorstellungen, blitzten immer wieder in meinen Gedanken auf. Gottlob war unser Kind damals nicht selber betroffen, auch keine engen Kollegen, aber allein die sehr wahrscheinliche Möglichkeit…

Meine Klamotten waren durchgeweicht bis auf die Haut.

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Auszug aus meinem Buch Emmerich in Übersee- unterwegs mit dem Travel-Chaos

Autor:

Christel Wismans aus Emmerich am Rhein

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