mit der MS AMADEA unterwegs - Odessa bis Tag vier

einer der beiden Schlepper, die uns im Hafen komplett drehen müssen
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Irgendwie hatten wir es ja befürchtet, aber die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.
Wenn wir jetzt im Eilschritt nach einem frühen, schnellen Frühstück mit der Kamera bewaffnet aufs Deck rennen könnten, dann - würde die MS AMADEA auch auslaufen.
Oder? -
- NEIN!

Die Stimme des Kapitäns dröhnte unüberhörbar durchs Schiff:Is nicht, geht nich, darf nich!
Wir bremsten unseren Run zum Außendeck und guckten uns an: Nee, ne? Noch ein Tag? Und wenn das Wetter sich nicht ändert? Was dann? Wir können doch nicht ewig hier in diesem kleinen Hafenbecken warten, bis das Wetter sich bequemt, besser zu werden? Nachher müssen wir noch ausgeflogen werden?

Auf die Außendecks durften wir auch nicht mehr. Und auf das eisige Odessa hatten wir keinen Bock. Also machten wir uns einen bequemen Tag im Inneren des Schiffes. Von meinem Bett aus guckte ich ganz in Ruhe den Film:Mamma Mia. Die ABBA Songs, Merryl Streep, sonniges Griechenland, Friede, Freude, Eierkuchen...ein kleines Schläfchen....
Der Tag verging wie im Flug. Waren wir tatsächlich noch in Odessa? Hätte genauso gut ein stürmischer Seetag sein können. Später drehten wir eine Runde durchs Schiff. Wenigstens ein paar Meter laufen. Wenigstens so tun, als ob. Draußen am Horizont tauchten immer mehr Frachter auf. Im Halbrund lagen sie weit draußen vor Anker, einer neben dem anderen. Sie alle warteten darauf, in den Hafen einlaufen zu können. Aber sie durften nicht. Ebenso wenig, wie wir auslaufen durften.

Abends sollte das Gala-Diner stattfinden, das abends vorher abgeblasen worden war, im wahrsten Sinne des Wortes. Ich überlegte: soll ich vielleicht mal das schwarze Kleid anziehen? Normalerweise ziehe ich lieber lange Hose und Top an, seit ich in flachen Gesundheitslatschen laufen muss. Und die kommen nicht so gut mit Kleid. Aber ich baute darauf, dass das Dekolleté oben das Minus unten vielleicht wett machen würde.
Abends gab es eine tolle Musical-Show mit dem AMADEA Show- Ensemble. Mann, waren die gut! Ausgebildete Musicalsänger und Tänzer. Absolute Profis. Dazu die fantastischen Kostüme! Das hatte aber vor zwei Jahren anders ausgesehen. Ganz anders.

In der Nacht zuvor hatte unsere Tischnachbarin zuhause ihren Vater verloren. Wir konnten nichts sagen, solange sie von sich aus nichts sagte. Denn noch waren wir Fremde, Zufallsbekannte, lediglich Tischnachbarn. Bis sie abends selber erzählte. Und wir zusammen wuchsen.

Es waren gefühlte minus 8 Grad. Der Wind blies direkt aus Sibirien. Warum nur haben wir keine Winterklamotten eingepackt? Stiefel, Rollkragenpullover, Mützen...? Warum haben wir das nicht geahnt? Der Kälte oder Not gehorchend zwiebelten wir uns ein. Shirt über Shirt über Shirt und zur Garnierung noch ein Sommerpulli obendrauf. Und ein Jäckchen. Ich kam mir vor wie ein Michelin-Männchen.
Wir hofften auf den nächsten Tag. Wir wollten endlich raus. Weiter. Obwohl, mit diesem Zeitverlust mussten wir auf direktem Weg zurück zum Bosporus. Kein Sotschi mehr, kein Sinop. Das Schwarze Meer nur kurz angeschnuppert.
Wütende Stimmen wurden laut: Das machen die doch extra, die wollen sich nur die Liegegebühren in Sotschi und Sinop sparen...
Die sind an die Kette gelegt worden, weil sie die Liegegebühr in Odessa nicht bezahlt haben.....
Das Wetter ist doch nicht so schlimm, der Kapitän könnte doch locker auslaufen....
Schweinerei......
Erst wird die Krim gestrichen... das Auswärtige Amt, sagen die.....
Dann noch der ganze Rest vom Schwarzen Meer............

Es gibt immer neben all den sehr netten Leuten an Bord eine Handvoll, die alles besser wissen, besser als der Kapitän, der Hafenmeister, der Kreuzfahrtdirektor, besser als jeder Nautiker sowieso.
Der Kapitän erklärte später in seiner Abschiedsrede ausführlich, dass der Grund ausschließlich das Wetter war. Er hatte schlicht keine Erlaubnis, den Hafen zu verlassen. Und auf eigene Faust trotzdem auszulaufen, wie es vor ihm ein anderer Kapitän in derselben Situation mal versucht hatte und kläglich dabei gescheitert war, - das wollte er sich und uns nicht antun.
Einzig und alleine das Wetter war Schuld an der ganzen Misere, und dafür kann niemand etwas. Das ist höhere Gewalt. Trotzdem zeigte sich Phoenix sehr kulant und schenkte jedem zwei Tage bei Buchung der nächsten Kreuzfahrt. Bei Buchung einer neuen Kreuzfahrt. Ein Schlingel, wer sich Böses dabei denkt. Für mich natürlich ein schlagkräftiges Argument für meinen Finanzminister!

Acht Uhr am nächsten Morgen, der vierte Morgen in Odessa.

Gespannt warteten wir auf die Durchsage des Käptens. Was sagt er? Können wir endlich raus?
Ja, wir dürfen! Halleluja!
Wir rannten an Deck. Die Sonne strahlte, aber es war noch immer schneidend kalt. Zwei Schlepper manövrierten sich in Position, um die MS AMADEA im Hafenbecken zu drehen. Wie ein Kind im Mutterleib, bevor es heraus kann. Das Heck musste komplett herum gezogen werden. Ganz dicht an der Hafeneinfahrt vorbei. Es war natürlich gesperrt für die Passagiere. Spannung pur. Trauben von Menschen hingen mit ihren Kameras über der Bordwand und verfolgten die Millimeterarbeit der zwei Schlepper. Die Ausfahrt ist wirklich wahnsinnig eng! Draußen auf dem Meer zählten wir inzwischen zwanzig Frachter in Warteposition. Wie lange musste es wohl dauern, bis die alle nacheinander in den Hafen rein, abgefertigt und wieder raus sind? Schiff für Schiff?

Wir jedenfalls hatten es geschafft! Die Abschiedsmelodie schwebte übers Schiff wie Engelsgesang. Noch nie hatten wir sie so gerne gehört! Endlich raus aus dem Hafen, rein ins offene Meer. Auch, wenn es schweinekalt war und ordentlich stürmte. Vorne am Bug konnte man sich kaum auf den Füßen halten. Trotzdem verharrten noch eine Weile an Deck und atmeten die frische Brise. Das Leben in meinen Händen verabschiedete sich, sie verfärbten sich in reinweiß, und ich war dankbar, dass sie nicht einfach so abfielen. Aber egal, wir nahmen Kurs auf Mykonos und dort sollten himmlische 20° sein!

Autor:

Christel Wismans aus Emmerich am Rhein

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