Der Frauenflüsterer - oder: eine Seefahrt, die ist lustig...

...er sah derangiert aus. Er sah aus, als ob...

Zwei Frauen im fortgeschrittenen Mittelalter saßen sich gegenüber an ihrem angestammten Bistrotisch, der fest verschraubt auf dem Deck des Traumschiffs MS Feudalia montiert war.

Maria war klein und rund, während Johanna eher einer abgeernteten Bohnenstange glich. Beide hatten sich fein gemacht, wie immer. An Marias rosigen Flauschhändchen prangten dicke Goldringe, und die obligatorische Altdamen-Perlenkette umrundete dreimal ihren Hals, was ihn nicht unbedingt schöner machte. Johanna stand mehr auf Tücher und bunten Flitter. Vom feinsten natürlich, nur Markenware. Für junge Mädchen.

Beide schwiegen.
Beide starrten auf das türkisfarbene Wasser, das wie ein sprühender Schweif aus Millionen winziger Perlchen hinter dem weißen Traumschiff wirbelte.
Bald würde es dunkel sein, aber es war noch karibisch warm. Die Luft war erfüllt von den rhythmischen Klängen der Steelband, die nur wenige Meter von ihrem Tischchen entfernt auf einem kleinen Podest einen fetzigen Mambo spielte.

„Viel zu laut!“ Marias Mundwinkel kräuselten sich, wobei sich ihre Oberlippenfalten bedrohlich in die Quere kamen. „Immer sind die so laut. Unmöglich.“
„Ja genau, wir müssen uns wirklich mal wieder bei der Reiseleitung beschweren. Das ist eine Zumutung.“ Johannas Fuß unterm Tisch schien anderer Meinung zu sein. Er wippte munter im Takt.
„Wie spät ist es eigentlich schon?“

Maria wusste genau, was Johanna mit dieser Frage meinte.
„Ja, genau, wo steckt er eigentlich? Was fällt ihm ein, uns so alleine hier sitzen zu lassen? Wie bestellt und nicht abgeholt. – Wir sollten jetzt tanzen…“

„Ja“! Johanna nickte heftig, „er tanzt einfach göttlich. Man fühlt sich, als ob man schwebt. Und diese Rhythmen heute Abend…das ist irgendwie, wie soll ich sagen…“ Johannas eingefallene Wangen färbten sich zartrot, „also, irgendwie, na ja, erotisch. Nicht?“

Maria schien erst jetzt die braunen, fast nackten Leiber der jungen Jamaikaner wahrzunehmen, die diese fremdartigen Klänge produzierten und dabei ihre Hüften schwangen und die Füße wirbeln ließen, dass Maria vom bloßen Zusehen allein schon schwindlig wurde. „ Na, ja“, sagte sie gnädig.

„Wo ist eigentlich die Felicitas heute Abend? Die gnädige Frau hat es wohl nicht nötig, hier bei uns zu sitzen. Was die sich einbildet! Eine von und zu! Mit Sicherheit geliftet, phh! -
Als ob sie was Besseres wäre. Die reist auch nur allein. Wie wir. Hat auch keinen Mann! Ist auch auf Wolfgang angewiesen, damit er mit ihr tanzt. Aber das sag ich dir, immer schön der Reihe nach. Keine Extrawürste für die Dame!

- Nein!" Marias Augen quollen bedrohlich über den Rand ihrer Brilli-Brille. „Nein!“

„Was?“

„Nein! – Überleg doch mal, Hanni…“

„Nenn mich gefälligst nicht Hanni. Ich heiße Johanna! Jo-han-na!“

„Gott ja, stell dich doch nicht so an, wir sind doch nur unter uns. Also: die Felicitas ist nicht hier und wer ist auch nicht hier? Na? Na?“

Johanna riss den Mund auf und die Hand vor die schneeweißen Kronen: „Nein! - Du meinst?- Aber das darf der doch gar nicht! Oder? Der ist doch angestellt hier zur Betreuung a l l e r alleinreisender Damen. Der darf doch nicht…? Oder?“

„Nein, darf er nicht. Das hat er mir selber gesagt.“

„Wann?“

„Na, vorgestern Abend…“

„Vorgestern Abend! Ist ja interessant.“ Johanna schnaubte grimmig, und die pinkfarbenen Federchen ihrer Boa tanzten Samba. „ Interessant, meine Liebe, interessant. Vorgestern Abend hast du dich an ihn rangeschmissen, dass es peinlich war. Beim Tanzen. Hier auf diesem Deck. Ich habe es genau gesehen. -
Also da war es. Da hast du es versucht. Als du wie eine Wäscheklammer an ihm hingst, da also.“
Ihre Stimme troff vor süffisantem Neid. „aber du hast dir eine Abfuhr geholt!“
Keine Frage. Eine Feststellung.
Johannas Nasenflügel zuckten vor Schadenfreude.

„Ja, und?“ Maria gab sich gleichgültig, „versuchen kann man es doch mal. Oder?“ Dabei huschten ihre Augen immer wieder zur Türe hinter dem Pool.

„Na gut. Bist ja eh abgeblitzt! – Aber wirklich, es ist ein Ding, dass er nicht kommt und uns unterhält. Und dieses Weibsbild! Denkt wirklich, mit ihren schönen Augen könnte sie ihn uns ausspannen. – Er wird doch nicht wirklich?- Was meinst du?“

Johanna packte Marias funkelndes Handgelenk: „Der kann was erleben! Wir beschweren uns über ihn. Der hat mit uns zu tanzen! Nicht zu glauben! Tagelang macht er uns Komplimente, tut so, als ob…
Ach! Er tanzt so göttlich! Und weißt du noch? Der Ausflug oben auf diesen Berg auf Kuba? Als ich Probleme hatte mit den vielen Stufen?
Er war so süß!“

„Aber mich hat er zweimal fotografiert!“

„Ja, mit deinem Apparat. Weil du ihn gefragt hast.“

„Aber du…“

„Ladies! Wunderschöne Ladies“, eine dunkle Stimme wehte wie ein warmer Tropenwind an ihre Ohren, „ich bitte tausendmal um Entschuldigung. Ich habe mich verspätet. Werdet ihr mir verzeihen?- Bitte!“

Zwei Herzen schmolzen ihm entgegen.

Zwei Augenpaare kniffen sich zusammen.

Er sah derangiert aus.
Er sah aus, als ob…?
Zwei Augenpaare sahen sich an.
Vier Augenbrauen hoben sich in perfekter Synchronisation.
Zwei Frauen, bereit zu morden.

„Ladies, Ladies! Was ist denn? Habt ihr mich vermisst? Mea Culpa.
Ich bestelle uns jetzt erst mal eine Cuba libre und dann wird getanzt. Ich habe die Band bis drüben gehört und mir gewünscht“, --

„Wo - drüben?- Bei Felicitas, oder? Der tollen, schlanken, ach-so-jungen, wunderschönen- Felicitas? Hmm?“
Marias Unterlippe dräute, und Johannas Kopf wackelte nah am Schleudertrauma.

Wolfgang fuhr sich glättend mit der Hand durch seine dunkle Mähne und lachte schallend:
„Ladies, Ladies, die Felicitas sitzt dort hinten, dort an der Reling. Sie hat heute in Kingston einen Mann kennen gelernt. Er ist heute Abend hier an Bord. Ich habe mit ihnen zusammen gesessen und den Dolmetscher gemacht. War toll, echt. Ich glaube, da bahnt sich was an. Und, na ja, es ist doch meine Aufgabe, mich um a l l e allein reisenden Damen zu kümmern.“
Und um alle ihre Belange." Er zwinkerte, "alle, ok?"

Er strahlte die beiden an, hypnotisierte sie mit seinen Augen, und Maria und Johanna schmolzen dahin. Sie zogen den Bauch ein, die Unterlippe hoch, atmeten tief durch und legten ihm bereitwillig ihr Herz zu Füßen.

Ihrem Frauenflüsterer

Autor:

Christel Wismans aus Emmerich am Rhein

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