ein Reisebericht der besonderen Art
Travel Chaos lebt noch immer
Nach fünf langen Jahren waren wir endlich mal wieder in England bei „Kind“.
Brexit, Corona und Arthrose hatten uns fern gehalten. Aber jetzt wurde unser Schwiegersohn fünfzig, und das war ein unschlagbarer Grund. Wir wollten ihm persönlich gratulieren. Unsere älteste Tochter und ihre Jüngste wollten ebenfalls. Es sollte ein kleines Familienfest werden.
Unseren alten Travel Chaos, der uns früher, als wir noch gerne und viel verreisten, immer üble Streiche gespielt hat, hatten wir überhaupt nicht mehr auf dem Schirm. Wir hatten ihn total vergessen. Daher wussten wir auch nicht, dass wir ihm inzwischen zu langweilig geworden waren, und er sich von unserer Tochter mehr versprach. Uns piekste er nur noch aus alter Gewohnheit.
Wir hatten für Dienstags Eurowings Basic von Düsseldorf nach Birmingham gebucht. Dazu Sitze mit Beinfreiheit ziemlich weit vorne im Flieger. Natürlich mussten wir die auch bezahlen. Aber das waren sie uns wert.
Dann kam eine Mail von Eurowings: Ihr Flug ist gecancelt. Sie können aber gerne morgens um sieben fliegen. Vorm Aufstehen? Wann sollen wir denn dann hier los? Mitten in der Nacht? Und wie? Nee, dankeschön.
Ich suchte nach neuen Flügen. Es gab fast nur noch Früh- und Spätflüge. Bis auf Montag. Da gab es einen Flug am frühen Nachmittag. Vor Corona konnte man sich die Flüge aussuchen, da ging ständig einer. Aber das ist definitiv vorbei. Also buchte ich um. Und damit verschwanden unsere gebuchten und bezahlten Plätze. Weg. Ich suchte neue Plätze aus.
Um weiteren Überraschungen vorzubeugen, begann ich die neuen Gepäckbestimmungen durch zu lesen. Wir wollten wie immer auf Kurzreisen unserem kaputten Rücken zuliebe nur jeder einen kleinen Trolley mitnehmen. Reicht ja für ein paar Tage im Frühsommer. Aber auch das war neu. Beim Basic Tarif ist nur noch eine Handtasche oder Laptoptasche erlaubt. Alles Weitere ist „Gepäck“. Ich schluckte den Frosch und machte ein Upgrade auf Smart. Für die zusätzlichen 111,00 Euro durften wir sogar einen richtig vollen Koffer mitnehmen und hatten Prioritry beim CheckIn.
Beim Online-Einchecken wurde ich freundlich gebeten, erst mal Plätze auszusuchen. Ich schrie den Laptop an: ICH HABE SCHON ZWEIMAL PLÄTZE AUSGESUCHT!
Aber sie waren wieder weg. Und freie Plätze waren kaum noch in der Maschine. Also buchte ich zähneknirschend wieder zwei neue Plätze in verschiedenen Reihen. Mit-tel-plät-ze! Dünn machen, Arme schön eng vor dem Bauch …
Dann konnte ich einchecken.
Travel Chaos lächelte nur milde.
Unsere Tochter hatte ursprünglich einen LH Flug über Opodo gebucht mit der Option, umbuchen zu können.
Corona zwang sie tatsächlich dazu. Aber plötzlich sprach Opodo kaum noch Deutsch und hatte massenhaft zu tun. Umbuchen? Hm, wenn's denn sein muss. Das kostet aber! Zähneknirschend umgebucht und bezahlt ...
Travel rieb sich die Hände und kicherte wie in früheren Zeiten bei uns.
Das Ende vom Lied war eine neue Buchung bei LH direkt für sich und ihre Jüngste am Mittwoch ab Frankfurt. Aber, nächstes Problem, die Schule gab das Mädel nicht frei für die drei Tage. Obwohl in der Zeit so gut wie kein Unterricht stattfand. Vorschrift ist Vorschrift. Glücklicherweise ist der Vater der Kleinen als LH Pilot in der Lage, seiner Tochter kurzfristig ein Standby-Ticket zu besorgen.
Fazit: Wir flogen am Montag, unsere Tochter am Mittwoch, Emma, knapp 16, am Freitag. Allerdings mit zwei Stunden Verspätung, weil dieser schreckliche Sturm über Deutschland wütete.
Wir hatten einen sehr schönen Geburtstag. Travel hatte sich schlafen gelegt. Kommt wohl auch langsam in die Jahre.
Dann kam der Check-in für den Rückflug am Sonntag für uns alle Vier.
Unser Check- in natürlich wieder mit neuer Platzbuchung. Wir hatten die Wahl zwischen ein paar Restplätzen ganz hinten in der Maschine.
Unsere Tochter konnte nur sich selber einchecken. Ihre Tochter nicht. Die war von der Buchung (und mehrfacher Bezahlung) entfernt worden. Man sollte doch annehmen, dass Hin-und Rückflug separate Buchungen sind. Aber anscheinend ging der LH Computer davon aus, dass ein Passagier, der nicht mit diesem Ticket hingeflogen ist, auch nicht zurück fliegen will. Also streichen wir die junge Dame doch einfach.
Jetzt war guter Rat teuer.
Die Hotline anrufen? Die Angelegenheit musste ja irgendwie geklärt werden. Wir konnten unsere Emma ja schlecht in England lassen. Travel hockte sich auf die Leitungen und rieb sich die Hände. Hach, war das schön! Wie in alten Zeiten.
Aber unsere Emma ließ sich nicht von ihm beeindrucken. Sie rief ihren Vater an. Der war zum Glück nicht in der Luft auf Langstreckenflug, sondern in Tokyo Und so konnte er seiner Tochter ein neues Standby-Ticket besorgen und ihr aufs Handy schicken. Problem gelöst dank Internet.
Jetzt war das Einchecken von Tochter und Enkelin kein Problem mehr, und wir konnten uns gemeinsam unbesorgt von unserer englischen Tochter zum Flughafen bringen lassen.
Im Flieger quetschten wir uns in unsere engen Plätze.
Ein paar Reihen vor uns saß eine junge Asiatin mit ihrer kleinen Tochter. Die hatten wir alle schon seit einer Stunde im Gehör. Schon in der Abflughalle hatte die Kleine in diesem unerträglich schrillen Ton gekreischt, der Glas zerspringen lässt. Und das Schlimme war, sie schien das aus purer Freude am Kreischen zu machen. Sie guckte den Leuten ins Gesicht, grinste leicht und kreischte. Kam man in ihre Nähe, flog einem das Trommelfell weg. Das Kind war merkwürdig, absolut unkindlich. Dabei wurde es noch auf dem Arm getragen. Es beschallte den ganzen Flieger während des ganzen Fluges. In Düsseldorf angekommen, wurde die stoisch ruhige Mama mit dem Kreischkind sofort durchgelassen, brauchte sich nirgendwo in der Schlange anzustellen. Sie hatte absoluten Vortritt.
Mit hängender Zunge erreichten wir gerade noch so eben den RE 19 von Düsseldorf nach Arnheim.
Den vorletzten abends. Wir waren glücklich. Endlich im Zug, die letzte Etappe. Nur noch 1 ½ Stunden bis zuhause.
Der Zug war ziemlich voll. Mein Rücken brach fast zusammen, ich wollte nur noch sitzen. Ein Mann mit Basecap schaute mich an und nahm sofort seinen Rucksack vom Sitz. Dankbar für diese nette Geste, die heute absolut nicht mehr selbstverständlich ist, ließ ich mich ihm gegenüber auf den Sitz plumpsen. Mein Mann verstaute noch eben die Koffer. Auch sein Rücken jaulte. Wir sind beide ziemlich behindert.
Von meinem notwendigen Besuch auf einer Toilette will ich nicht ausführlich reden. Das war ein Anblick, den man am liebsten ganz schnell vergessen möchte, aber leider nicht kann.
In einem lockeren Gespräch erfuhren wir, dass unser Gegenüber auch nach Emmerich musste.
In Wesel dann der Schock. Eine Durchsage: Schluss, aus, alle Mann raus. Der Zug fährt nicht weiter. Irgendetwas am Bahnhof Emmerich ist nicht in Ordnung. Und – nein, kein Bus, kein Schienenersatzverkehr. Nix. Raus. Junge, Alte, Kranke, Behinderte. Mitten in der Nacht ohne Angebot auf den gebuchten, bezahlten Weitertransport.
Es war 23.15 Uhr.
Da standen wir nun auf dem Bahnsteig. Fassungslos, diskutierend, fragend. Was nun? Wie kommen wir weiter? Der Zugführer wusste auch nicht mehr als wir. Tja...
Erst mal runter vom Bahnsteig. Wir nahmen unsere Koffer, Tasche, Jacken. Endlose Treppen. Runter, rauf. Der nette Mann vom Sitz gegenüber nahm mir den Koffer ab. Ich war ihm sehr dankbar dafür. Der Bahnhof Wesel bei Nacht ist auch eine Erfahrung, die kein Mensch braucht.
Ein einsames Taxi fuhr eben ab. Ein Typ mit sprachlicher Schlagseite quatschte uns gleich an: „Un dat ihrt wisst, dat nächste Taxi is meins, ich wart schon ne Stunde, nä?“
Wir waren mindestens zwanzig Reisende, die irgendwie weiter mussten. Nach Arnheim, Kleve, Emmerich, Amsterdam, Haldern. Manche wurden immer stiller, andere immer lauter.
Wir hörten, in Wesel fährt nur ein Taxiunternehmen, und nachts offensichtlich nur mit einem Wagen. Der nahm die Kurzstrecken auf.
Bei meinem Mann fingen seine Herzrhythmusstörungen an, sich bemerkbar zu machen. Ich hatte zwar die Pillen in der Tasche, aber wir hatten nichts zu trinken. Er versuchte, sie trocken zu schlucken. Da kam ein Arm von hinten über seine Schulter mit einer kleinen Flasche Wasser. Wieder unser nettes Gegenüber. Er hatte für sich und uns was zu trinken gezogen.
Ein weiterer Mann, der auch nach Emmerich wollte, gesellte sich zu uns Dreien. Wir berieten uns. Wesel schien uns nicht weiter zu bringen. Also Emmerich. Er telefonierte mit der Taxizentrale und bestellte zwei Wagen nach Wesel. Die halbe Stunde Warten würde uns schwer fallen, es ging uns nicht gut, aber die Rettung war ja unterwegs.
Sie kam auch ziemlich schnell. Wir Vier quetschten uns eilends in das erste Taxi, ich durfte vorne sitzen, und dann ging es ab durch die Nacht nach Hause.
Kurz vor ein Uhr hatten wir es endlich geschafft.
It's been a hard days night ...
Autor:Christel Wismans aus Emmerich am Rhein |
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