Eine Motorradreise durch Osteuropa
Im Osten viel Neues

152Bilder

Unter dieser Überschrift lassen sich unsere jüngsten Erfahrungen bei unserer Motorradreise durch Osteuropa treffend zusammenfassen.
In diesem Jahr sollte der weiße Fleck im Osten Europas auf unserer Reisekarte deutlich verkleinert werden. Und obwohl sich manche Staaten wie Weißrussland und die Ukraine von selbst ausgeschlossen haben, gelang dieser Plan vortrefflich.
Mit einem groben Plan in der (Motorrad-)Tasche machten wir uns Mitte Juli auf den Weg, zunächst Richtung Thüringer Wald. Schnell konnten wir die langweilige Autobahnetappe beenden und durch den wunderschönen Thüringer Wald kurven.

Böhmische Dörfer

Nach dem obligatorischen Stopp am Sachsenring ging es auch schon über die tschechische Grenze. Nun, hier waren wir nicht ganz fremd, und so durchquerten wir Böhmen und Mähren auf geradem Weg. Die Slowakei war unser erstes bis dato unbekanntes Ziel im „ehemaligen Ostblock“. Mit den Bildern hässlicher Plattenbauten und grauer Betonwände im Kopf tauchten wir ein in die Ausläufer der Karpaten. Die ersten Sonnenblumen lachten uns an und frisch ausgebaute, wunderbar glatte und breite Verbindungsstrassen ließen uns die Berge erstürmen und überraschend gut vorankommen.

In der Puszta

In der Hoffnung auch im nächsten Land unsere überholten Vorurteile von ausgefahrenen Wegen über Bord werfen zu können überquerten wir einen kleinen Grenzübergang zu Ungarn – zusammen mit einer Vielzahl an LKW´s, die wie wir über die ausgefahrenen, wie ein Sieb durchlöcherten Straßen rumpelten. Hier muss es gewesen sein, dass Birgit zum ersten Mal wehmütig ihrer betagten Transalp hinterhertrauerte, während sie angestrengt Slalom um Löcher und Furchen zirkelte. Ignatz hatte unterdessen Spaß auf seiner Tenere. Die Übernachtung in Eger war traditionell und passte ins Bild. Die ungarische Gulaschsuppe hielt, was sie verspricht. Besonders auffallend waren die besonders gut sanierten und restaurierten sakralen und öffentlichen Bauten. Erschreckend geradezu der Gegensatz zu den völlig verkommenen und sehr ärmlichen Behausungen auf dem Land. Hier war die Not der Menschen selbst unter dem Motorradhelm spürbar. Umso beeindruckender waren die bunt geschmückten, meist in weißem Stein gehaltenen Friedhöfe, die eine – für uns Westler seltsam anmutende – Fröhlichkeit ausstrahlten.
Manche Kirchen beherbergten die Urnen sichtbar im Inneren. Hier fehlte nirgendwo ein Blumenstrauß – wenn auch aus unverwüstlichem Plastik – und ein Licht, samt Foto des Verstorbenen.
Tja, andere Länder – andere Sitten. Nur die Kraftstoffpreise, die unterschieden sich nicht!

Durch die Karpaten

Auch nicht in Rumänien, unserem nächsten Land, obwohl hier die Wohnverhältnisse auf dem Land noch schlimmer anmuteten. Alles sah sehr heruntergekommen und verwahrlost aus. Die Menschen haben nichts und tauschen, wie wir live erleben durften. Und sie waren sehr freundlich, helfen wo sie können, wenn auch sehr zurückhaltend. Wir mußten erst mal zurecht kommen mit diesem krassen Gegensatz zwischen Armut und den Folgen einerseits und einer schier atemberaubenden Landschaft andererseits. Hohe Berge wechselten sich ab mit riesigen Sonnenblumenfeldern, sehr gut ausgebaute Straßen gingen nahtlos und plötzlich über in eine fast unbefahrbare Rumpelstrecke. An ihrer Kleidung zu erkennende arme Landbevölkerung, unterwegs mit Pferd und Wagen traf auf moderne, top ausgestattete SUVs. Motorräder sah man kaum, abgesehen von einigen gleichgesinnten hochbepackten Touristen. Halb fertige oder schon wieder vermoderte Häuser fristeten ihr Dasein neben bombastischen Kirchen und herausgeputzten Denkmälern. Die wenigen Hotels waren umso besser ausgestattet, Frühstück war mehr als exklusiv bei – für unsere Maßstäbe - sehr moderaten Preisen.
Interessant war auch ein unvermeidlicher Besuch in der Ostversion von Aldi, Penny und Co. Zunächst einmal gab’s ein Wiedersehen mit den alten rostigen Einkaufswagen von vor 20 Jahren. Münzen brauchten wir zum Glück nicht, denn nicht bei jedem Grenzübergang gibt es eine Wechselstube. Plastikgeld wurde auch hier überall gerne genommen. Und das nicht erst seit Corona – was wir übrigens seit Tschechien nicht mehr angetroffen haben. Zurück zum Supermarkt, wo gerade neue Ware mit deutschen LKW angeliefert wurde, steht zumindest drauf. Hierhin wird offensichtlich alles ausgesourct, was der Westen nicht mehr braucht.

In der Walachei

Für unser Picknick war gesorgt, sehr wichtig, denn es gab kaum Einkehrmöglichkeiten. Tja, man ist hier in der Walachei. Von hier aus ging es nach Serbien. Die rumänisch-serbische Grenze ist eine Markierung. Zwei Nachbarländer, wie sie unterschiedlicher kaum sein können. Serbien war deutlich weiterentwickelt, zumindest hier an der Donau – eine touristisch beliebte Region. Das wunderte uns nicht bei den tollen Ausblicken auf die Berge. Wir mussten die Donau queren, was mit einer kleinen Holzfähre bewerkstelligt wurde. Wir beruhigten uns mit dem Wissen, dass Holz schwimmt und staunten, wie breit der Fluss hier ist. Die Motorräder parkten entspannt an der Reling und wir genossen die Überfahrt bei bestem Kaiserwetter– Kreuzfahrtfeeling pur!
Der nächste Tag bescherte uns eine wunderschöne Tour entlang der Donau bis nach Bulgarien. An das im Schengenraum längst vergessene Grenzprozedere hatten wir uns bereits wieder gewöhnt. Heute sollte es ins Gebirge gehen. Waren in Serbien noch Baustellen ein ungeliebtes Hindernis, sehnten wir diese in Bulgarien bald herbei, um den fast unbefahrbaren Pisten etwas Hoffnung zu verleihen. Wehmütige Gedanken an unsere alten Transalps halfen uns da nicht weiter. Hätten wir vielleicht doch besser die unbefestigten Straßen auf unserem Navi ausgewählt? Birgits Tracy was not amused! Selbst die Tenere ächzte und stöhnte angesichts der tiefen Schlaglöcher, ausgewaschenen Furten und losen Geröllschichten. In einem kleinen Bergdorf legten wir eine Erholungspause für Mensch und Maschine ein. Nach weiteren 40-50 km verließen wir den Weg und fanden unser Hotel – totschick, in Deutschland nicht zu bezahlen, mitten im nirgendwo. EU sei Dank!

Über den Balkan

Von Bulgarien aus ging es weiter Richtung Nordmazedonien. Hier gab es wieder Baustellen – das ließ hoffen. Bombastische Ausblicke, tolle Bergstraßen mit endlosen Kurven waren der Lohn für die Strapazen der vergangenen Tage. Quer durch das Osogovo-Gebirge führte unser Weg zum heutigen Ziel, dem mittelalterlichen Kloster Joachim von Osogovo. Die Übernachtung war einfach, aber mit Stil!
Am nächsten Tag machten wir eine neue Erfahrung, nämlich das Durchfahren einer osteuropäischen Hauptstadt – Skopje. Ein Alptraum für jeden Motorradfahrer, den man nur schnell hinter sich bringen will. Die Sehenswürdigkeiten der Stadt werden uns weiterhin verborgen bleiben, wir retteten uns in den nahen Kosovo. Hier hielt das Grenzprozedere mal wieder etwas Neues für uns bereit: Reichte bislang die grüne Versicherungskarte aus, benötigt man für den Kosovo eine Extra-Versicherung, die direkt an der Grenze abgeschlossen wird und mit 10,- Euro/Motorrad moderat zu Buche schlägt. Den Kosovo verbanden wir bisher im Kopf mit Kriegsbildern von zerschossenen Dörfern und Häusern. In Wirklichkeit trafen wir kaum noch auf Relikte aus dem Jugoslawien-Krieg. Im Gegenteil schien uns das Nebeneinander von orthodoxen, moslemischen und christlichen Religionen sehr friedvoll. Lediglich der überall anzutreffende Abfall und Müll trübte den ausgesprochen positiven Eindruck beim Durchfahren der imposanten Bergwelt. Hinter jeder Kurve gab es neue Ahs und Ohs, bis wir unser exklusives Hotel mitten in einem Skigebiet erreichten. Dennoch sahen wir kaum Touristen und trotz super-modernen Hotelanlagen war das gastronomische Angebot ansonsten eher spärlich. Nun, wir waren ja Supermarkt-erprobt, s.o.

Albanische Alpen

Und so düsten wir am nächsten Tag Richtung Albanien. Von diesem Land hatten wir im Vorfeld überhaupt keine Bilder im Kopf. Aber dass dieses Land so schön ist, hatten wir nicht erwartet. Die albanischen Alpen warten mit hohen Gipfeln auf, die Straßen sind gut, für Motorradfahrer eröffnet sich ein Paradies. Ja, Albanien hat es bei dieser Reise auf einen Platz ganz vorne in der Rangliste der schönsten Länder geschafft. Und dabei wirkte auch hier alles sehr, sehr einfach und ärmlich. Wie die Menschen diese Defizite mit Kreativität und Cleverness bewältigen, erlebten wir, als wir Öl benötigten. Dank Google-Übersetzer war es kein Problem, an einer klitzekleinen Tanke nachzufragen. Natürlich hatten wir allerhöchstens eine Auskunft erwartet und nicht etwa, dass der Tankwart, der offensichtlich in einem kleinen Kabuff hier übernachtete, von irgendwo her eine Flasche des richtigen Motorradöls hervorzauberte. Doch so geschehen. Allerdings benötigten wir trotzdem einen richtigen Ölwechsel. Also auf zu einer so kleinen Motorradwerkstatt, dass wir sie ohne Google niemals gefunden hätten. Der Besitzer – ein Meister seines Fachs – zeigte sich begeistert von der Tenere, besuchen ihn normalerweise doch höchstens Zweiräder von der Größe eines Mofas. Mit Sachverstand und Souveränität bockte er Ignatz‘ Therry kurzerhand auf einem Holzblock auf und bestellte von irgendwoher das richtige Öl. Dieses wurde kurze Zeit später von seiner Frau in Highheels und Sommerkleidchen per Mofa geliefert. Währenddessen nahm Birgit im benachbarten Cafe erste Kontakte zur – männlichen - albanischen Bevölkerung auf, die ihr Erstaunen nicht verbergen konnte angesichts der „großen“ Maschine, die von einer Frau gesteuert wurde.

Tiefe Schluchten

Als nächstes erwartete uns Montenegro, welches sich ab sofort mit Albanien um Platz eins auf unserer Lieblingsliste streiten sollte. Viel touristischer als die bisher durchreisten östlichen Länder, hat Montenegro einfach alles zu bieten: wunderschöne blau-türkise Seen, hohe Berge, tiefe, enge Schluchten, Flüsse und das alles auf fantastischen Straßen. Wir nächtigten zunächst im Süden des Landes, direkt am Zadar- See mit dem schönsten Mondaufgang ever!
Dann folgten wir der Moraca-Schlucht bis zum Tara-Canyon. Wir übernachteten mitten im Durmitor Nationalpark und wanderten (richtig: wanderten) zum schwarzen See, bekannt durch seine Farbenvielfalt. Danach ging es über die wohl schönste Straße Montenegros, der P14, rüber nach Bosnien-Herzegowina. Für Motorradfahrer eine absolute Must-Do-Strecke. Mitten durch die Berge auf kleinen Straßen erlebt man die Natur pur. Kühe und Schafe waren die einzigen Zeugen menschlicher Anwesenheit. Und zum Schluss, kurz vor der Bosnischen Grenze, wird man belohnt mit einem überwältigenden Blick in die Piva-Schlucht. Klares Türkisblau, wie es in der Karibik nicht schöner sein kann. Und so erreichten wir den südlichen Teil von Bosnien-Herzegowina. Was für eine überwältigende Natur empfing uns hier. Obwohl mittlerweile diesbezüglich schon verwöhnt, fand unsere Begeisterung kaum Worte. Bosnien ist wirklich eine Reise wert, und dabei haben wir so berühmte Städte wie Mostar ausgelassen.

An der Adria

Denn unser Ziel war die Küste von Kroatien, welche wir alsbald erreichten. Inzwischen war das Thermometer auf über 40 Grad gestiegen. So wurde das lange Warten an der kroatischen Grenze zu einer schweißtreibenden Angelegenheit. Aber dann war es so weit, wir waren in Kroatien! Erinnerungen an unseren ersten Besuch vor einigen Jahren stellten sich sofort ein. Obwohl damals 400 km weiter nördlich waren wir jetzt auf der gleichen Straße unterwegs: der berühmten Magistrale: 700 km entlang der adriatischen Küste. Genau das hatten wir vor.
Allerdings mussten wir uns nach ein paar Kilometern zunächst erneut dem Grenzprozedere stellen, denn noch war die Brücke nicht in Betrieb, auf der zukünftig alle Kroatienreisenden den bosnischen Küstenstreifen umgehen können. Wir mussten leider noch zwei Mal die Grenze passieren. Danach brauchten wir dringend eine Abkühlung. Ein Parkplatz mit Obststand war unsere Rettung. Man war mit Euro zufrieden und wir genossen Trauben & Co. bei einem erfrischenden Blick auf einen kühl-blauen See.
Die großen Städte sparten wir uns lieber für einen dritten Besuch ohne Motorräder auf und so umfuhren wir Dubrovnik auf einer kurvigen Bergroute.

Auf der Magistrale

Dann endlich wieder auf die Magistrale. 200 km hatten wir noch vor uns, so dass wir erst spät abends unser Appartement im empfehlenswerten Sibenik direkt an der Küste erreichten. Ohne das übliche Tamtam der Ferienorte bewunderten wir einen wunderschönen Sonnenuntergang bei einem leckeren Abendessen im angeschlossenen Restaurant.
Am nächsten Tag besuchten wir in der Früh die berühmten Wasserfälle im Krka-Nationalpark. Wir buchten das komplette Programm, und das hat sich gelohnt. Auf dem Parkplatz befreiten wir uns von unserer Motorradkluft und tauschten die Stiefel gegen wasserfreundliche Crocs. Eine gute Idee, denn die Wanderung (!) bei über 35 Grad dauerte bis zum Mittag. Wir waren auch fix und foxy danach.
Jetzt aber flott auf die Maschinen und ab zur Küste.
Unser heutiges Ziel war der uns schon bekannte und sehr geschätzte Ort Senj. Tatsächlich buchten wir das gleiche Hotel wie vor einigen Jahren –zum doppelten Preis bei halber Qualität! Macht nichts, wir freuten uns dennoch, wieder hier zu sein, an der schönen Küste und dem Velebit-Gebirge. Wir blieben ein paar Tage zur Entspannung und ließen es uns ohne Motorradfahren gut gehen, bevor wir die Heimreise in Angriff nahmen.

Schnell nach Hause

Alsdann passierten wir die slowenische Grenze, und obwohl das Land sicher einen längeren Aufenthalt verdient hätte, zog es uns allmählich nach Hause. Eine schnelle Durchfahrt, ein Stopp in Malta/Österreich und schon fanden wir uns einen Tag später auf einer - zugegeben langwierigen - Autobahnetappe durch Deutschland wieder. Unsere Gedanken hatten also freien Lauf und so ließen wir Revue passieren, was wir in den vergangenen zweieinhalb Wochen erlebt hatten: wir haben 16 Länder bereist, davon 10 zum ersten Mal. Wir konnten uns von vielen Vorurteilen im Kopf befreien, haben wunderschöne, sehr gebirgige und naturbelassene Landschaften durchfahren, nette Menschen, viel Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit kennengerlernt. Unsere Maschinen waren zuverlässige Reisepartner, obwohl wir ihnen wirklich viel zugemutet haben. Wir haben aber auch sehr ärmliche Zustände mitten im Wohlstands-Europa gesehen und kehren vielleicht etwas bescheidener und dankbarer nach Hause zurück. Jetzt planen wir schon die nächste Tour – diesmal gen kühlen Norden!

Autor:

Birgit und Ignatz Haan aus Emmerich am Rhein

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

Eine/r folgt diesem Profil

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.