Andreas Westerfellhaus auf der blauen Couch
Die Suche nach dem Sinn der Pflegekammer

Andreas Westerfellhaus, Staatssekretär Bundesgesundheitsministerium, Bevollmächtigter der Bundesregierung für Pflege, hat sich in einem Interview per Video mit der Contec GmbH zur Pflegekammer geäußert.
Diese Video-Botschaft hat viele Pflegekräfte entsetzt.
Herr Westerfellhaus sagt: „Der Ruf nach dem Staat, das muss der Staat für mich richten, das hat noch nie funktioniert […] Das ich die Geschicke selbst in die Hand nehmen muss.“
Durch Ökönomisierung, Einführung der Fallpauschalen, Arbeitsverdichtung, um einige Beispiele zu nennen, hat die Politik die Bedingungen unter denen wir pflegen in den vergangen Jahren massiv verschlechtert, bzw. dabei zugesehen. Von „unserem“ Staatssekretär nun geohrfeigt zu werden, die Pflege müsse sich schon selber helfen, ist Hohn. Was Herr Westerfellhaus offensichtlich verkennt, dass die von ihm favorisierten Pflegekammern selbst „der Staat“ sind. Als Körperschaften öffentlichen Rechts wurden sie vom Gesetzgeber des jeweiligen Landes errichtet, stehen unter staatlicher Aufsicht und sind somit Teil des staatlich errichteten Gesundheitssystems. Sie haben völlig Recht, Herr Westerfellhaus. Der Ruf nach dem Staat, das hat noch nie funktioniert. Wenden Sie ihn doch auch bitte auf die staatsnahen, staatsabhängigen Pflegekammern an! Die Pflegekammern dienen dazu, die Bürger und Bürgerinnen vor schlechter Pflege zu schützen. Das aber ist und bleibt ebenso Aufgabe der Politik und genau deshalb muss auch die Politik durchgreifen und endlich vernünftige Rahmenbedingungen schaffen. Da kann die Pflege ihre Geschicke nicht in die eigene Hand nehmen, da brauchen wir den Staat. Und einen Pflegebeauftragten, der für alle Pflegenden spricht, nicht nur für die Minderheit der Kammerbefürworter.
Herr Westerfellhaus erwähnt in der Videobotschaft ferner, dass Pflege aufgrund der Selbstverwaltung in Gremien „mit am Tisch sitzt und mitgestalten kann“. Auch das sind Aussagen, die viel versprechen, aber lediglich eine Alibifunktion haben. Denn ein Stimm- oder Mitbestimmungsrecht in zentralen Gremien des Gesundheitswesens wie dem Gemeinsamen Bundesausschuss GBA oder dem Qualitätsausschuss Pflege ist für die Kammern nicht vorgesehen. Es wird auch von den Erfolgen der drei bestehenden Landespflegekammern gesprochen. Rheinland-Pfalz, die erste errichtete Pflegekammer, hat innerhalb von drei Jahren nicht einmal eine Berufsordnung fertiggestellt, auch ist es ihr – wie auch den anderen Kammern - noch nicht gelungen, die Pflichtmitglieder vollständig zu registrieren.
Auch der Zuspruch für die Selbstverwaltung in den weiteren Bundesländern, fällt nicht so groß aus, wie der Bundesbeauftragte für Pflege im Staatssekretärsrang das behauptet. Die sogenannten „repräsentativen“ Umfragen, die stattfanden, um sich ein Meinungsbild einzuholen, an denen jedoch nur ein sehr geringer Teil der Pflegekräfte teilnehmen durfte, zeigen auf den ersten Blick eine positive Einstellung zu der Institution der Selbstverwaltung der Pflege in Berufskammern. In den Bundesländern, in denen eine Befragung mit sehr vielen Pflegekräften stattfand, wie Hamburg, Hessen und Berlin, fiel das Votum der Pflegekräfte negativ aus. Sie wollten dort keine Verkammerung.
Ein weiteres Zitat von Herrn Westerfellhaus: „Ich merke jetzt auch, wie stark jetzt Lobbyisten-Truppen auftreten, die mit Falschinformationen und gezielter Desinformation“ vorangehen würden. Darauf möchten wir erwidern: Der Protest kommt von der „Basis“, von selbstbestimmten, demokratisch gesinnten Pflegekräften.
Lobbyisten haben für die politische Wegbereitung Richtung Kammer gesorgt, das war nicht die „Basis“, die will nämlich nach unserer Einschätzung die Kammern nicht. Lobbyisten sorgen offenbar auch dafür, dass nicht alle Pflegekräfte wie in Hessen oder Hamburg gefragt werden, sondern nur eine kleine Minderheit, welche angeblich repräsentativ ausgewählt worden sein soll.
Natürlich solidarisieren sich die kammerkritischen Pflegekräfte untereinander und mit z. B. der Gewerkschaft Verdi, die einer Kammer kritisch gegenüber steht, wofür wir dankbar sind.
Herr Westerfellhaus äußert: „Ich habe eine Vision, eine komplette Verkammerung!“ Wir würden hier gerne mit Helmut Schmidt antworten: „Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen!“ Dennoch: Als Beispiel nimmt sich der Herr Pflegebeauftragte der Bundesregierung dann das Ausland, als Beispiel für gelungene Verkammerungen der Pflegeberufe. Nun, schauen wir uns doch einmal das Mutterland der Pflegekammern an, das Vereinigte Königreich: Dort existiert die Kammer für Pflegeberufe seit über 100 Jahren, dennoch beklagt man auch dort ganz aktuell einen Pflegenotstand, streiken Pflegekräfte für bessere Bezahlung, wechseln den Beruf – eben weil die Kammern nicht greifen, wo es notwendig wäre. Wir nehmen dagegen die Schweiz in den Blick, finden bessere Qualität der Gesundheitsversorgung, aufgrund eines adäquaten Pflegeschlüssels und das ohne Pflegekammer, die es in der Schweiz nicht gibt. Wir zitieren die Neue Züricher Zeitung vom 22.01.2017: „Deutsche Pflegekräfte in der Schweiz: «Ich würde nicht mehr zurückgehen»“
Zu guter Letzt sagt Herr Westerfellhaus: „er wird sich den Mund nicht verbieten lassen von einigen Unbelehrbaren und Fremdgesteuerten“. Niemand will oder wird Herrn Westerfellhaus den Mund verbieten. Das ist haarsträubend. Für die Behauptung, Kritiker der Pflegekammer(n) aus der Pflege seien „fremdgesteuert“, darf und sollte Herr Westerfellhaus gern Beweise vorbringen. Aus unserer Sicht sind diese Äußerungen eines Staatssekretärs der Bundesregierung nicht würdig. Die Onlinepetition gegen die Pflegekammer Niedersachsen haben über fünfzigtausend Menschen, die meisten davon Pflegekräfte, unterschrieben und gegen die Kammer in Schleswig-Holstein sprechen sich über zehntausend Menschen aus. Der Protest ist da, er ist groß und laut. Und er läßt sich nicht von Herrn Staatssekretär Andreas Westerfellhaus in die Schmuddelecke stellen und als fremdgesteuert bezeichnen.
Wir fordern Herrn Staatssekretär Westerfellhaus auf, als Bevollmächtigter der Bundesregierung nicht einseitigen Lobbyismus für die Errichtung von Pflegekammern zu betreiben und so die Spaltung der Pflege in „Pro“ und „Contra“ Pflegekammer zu fördern, sondern auf die Kritiker der Kammern zuzugehen, den Dialog und Kompromisse zu suchen, mit den Pflegekräften, die gegen eine Pflegekammer sind, mit der Gewerkschaft Ver.di.
Der Link zum Video: https://youtu.be/Dps6C7sTsvc

Okay Över
okay2207@googlemail.com

Autor:

okay över aus Emmerich am Rhein

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