Zwischen den Jahren
Allen Lesern des Lokalkompass:
Ein gesundes, glückliches neues Jahr !
Es ist schon eine besondere Zeit so zwischen Weihnacht und Neujahr:
Mit sentimantalen Minuten, alten Mythen, man soll keine Wäsche waschen (!?), mit aufgeräumtem Schreibtisch ins neue Jahr gehen, sich an vergessene Freunde erinnern ...
Oder in Ruhe was lesen, z.B. Martin Suter, Die Zeit, die Zeit
und wer nicht soviel Zeit hat, was kürzeres:
„Macht‘s gut … zwischen den Jahren!“
Sie hatten nichts Intelligenteres von ihm erwartet.
Er war erst sechs Wochen dabei. Ein junger Wichtigtuer, der die Abteilung verstärken, frischen Wind in die Altherrenriege bringen sollte. Immerhin, in anderen Firmen bauten sie eher Personal ab.
Sven hatte er sich vorgestellt und weil ihn die altgedienten Kollegen abwartend anstarrten fügte er hinzu: Sven Meyer, mit Ypsilon.
„Frohes Fest und guten Rutsch!“ Erwiderten sie, wollten ergänzen Sven Meyer mit Ypsilon. Ließen es bleiben.
Er hatte das Ohr ohnehin schon an seinem Smartphone:
„… Hi Lisa, man sieht sich.“
Zwischen den Jahren fehlte noch.
Sie waren ein eingespieltes Team, erledigten ihre Arbeit routiniert. Vor Weihnachten im Stress, es war einiges liegengeblieben, aber jetzt hatten sie ja Verstärkung.
Er wollte nicht unfair sein, das blöde Zwischen den Jahren hatte er von den Kollegen auch schon gehört. Ihre Sache.
Nach Dienst ging jeder seine eigenen Wege. Zwischen Weihnachten und Neujahr hatte die Verwaltung geschlossen, nur Lager und Versand arbeiteten und ein Notdienst natürlich.
Er hatte sich für die kommenden Tage wieder einiges vorgenommen. Da waren zunächst die Antwortschreiben auf Weihnachtskarten von Freunden, Bekannten, Geschäftspartnern, die nichts Besseres zu tun hatten, als einmal im Jahr ihre Fähigkeit, Karten zu schreiben unter Beweis zu stellen. Mit denen man das ganze Jahr über kaum was am Hut hatte. Dann etliche noch in diesem Jahr zu begleichende Rechnungen, Last-Minute-Versicherungsangebote, die angesammelten losen Briefmarken ins Album stecken, die alten Dias ordnen, oder wie sein Sohn meinte digitalisieren, dafür allein reichten die paar Tage nicht aus.
Dann sollte er noch was mit der Familie unternehmen. Sonst hatte er dafür wenig Zeit.
Zuhause empfing ihn seine Frau frohgestimmt:
„Was machen wir zwischen den Jahren?“
„Jetzt muss ich mir diesen Schwachsinn sogar zuhause anhören!“
„Komm sei friedlich … es ist Weihnachtszeit.“
„Zwischen Weihnacht und Neujahr zählt immer noch das alte Jahr … an Silvester beginn das neue, da ist nichts dazwischen!“
„Danke, Herr Lehrer!“
„Wir können ja mal zwischen den Jahren Urlaub machen.“
Und weil sich ihre Miene aufhellt, erklärte er:
„Das wäre ein billiger Urlaub … nur einen Bruchteil einer Sekunde … zwischen 23 Uhr 59 und Null Uhr Null an Silvester.“
Sie hatte verstanden, zog ab, der Auflauf im Herd verlangte nach ihr.
Er nahm die Tageszeitung und vertiefte sich im Sportteil.
Für die Fußballprofis beginnt jetzt die Winterpause, für die Wintersportler ist zwischen den Jahren natürlich Hochbetrieb.
Denken diese Schreiberlinge eigentlich darüber nach, was sie so auf die Leser loslassen? Er sparte sich die Antwort.
Er legte die Zeitung weg. Das Essen wurde aufgetragen. Sie kochte köstlich.
Das Weihnachtsfest war friedlich verlaufen, die Kinder waren mit ihren Geschenken zufrieden. Diverse Software, einen 32 Gigabyte USB-Stick und für die Kleine einen MP3 Player, das war einfach zu besorgen. Seine Frau konnte ihn diesmal sogar überreden. die Christmette zu besuchen. Sie trug dazu die Halskette, die er ihr am Anfang ihrer Ehe geschenkt hatte.
Am 28sten verabschiedete sie sich für eine Tagesreise zu ihrer besten Freundin, die jetzt allein lebte. Sie ist ein guter Mensch, dachte er.
Die Teenager waren bei Freunden, durften dort über Nacht bleiben. So hatte er nur für die Kleine zu sorgen. Sie saß fröhlich auf der Couch, über den Ohrstöpsel fest verbunden mit ihrem MP3 Player. Von ihr war keine Störung zu erwarten.
Seinem Schulfreund Hannes wollte er schon lange schreiben, er hatte eine schwere Operation hinter sich. Heilen könne man es nicht, nur behandeln, hätten die Ärzte gesagt. Als er es hörte, wollte er ihn gleich anrufen, Trost zusprechen. Aber wie denn? Jetzt waren schon acht Monate vergangen.
Er begann einen Brief zu schreiben, wie er sich fühlte, als er von der Erkrankung erfuhr. Er suchte Bilder heraus vom gemeinsamen Segeltörn vor zwanzig Jahren. Schrieb die Geschichte mit den Mädchen auf, die sie am Strand trafen. Der Brief war auf einmal drei Seiten lang. Er zerriss ihn. Schrieb ihm eine Karte mit dem Versprechen, ihn im neuen Jahr zu besuchen.
Dann schrieb er Johanna, die er vor drei Jahren bei einer Anschlussheilbehandlung in Bad Mergentheim kennengelernt hatte, er hatte nichts mit ihr gehabt, aber seine Frau sprach immer von seinem Kurschatten. Sie hatte im seither jedes Jahr eine Weihnachtskarte geschrieben. Er antwortete anstandshalber mit Glückwünschen zum neuen Jahr und dem Satz Du hattest sicher eine fröhliche Weihnacht mit Deinem Mann und den Kindern. Er wollte das längst einstellen. Jetzt schrieb er doch wieder, erzählte von seiner Familie und dass er diesmal in Ruhe berichten könne, weil seine Frau und die Kinder unterwegs wären. Nur die Kleine hätte er bei sich, die lausche aber die ganze Zeit in ihren MP3 Player. Die letzten Sätze musste er auf die Rückseite der Karte schreiben.
Dann nahm er sich widerwillig die Rechnungen und Schreiben der Versicherungen vor. Bis Ende des Jahres galten noch günstigere Konditionen. Also musste er es jetzt erledigen.
Es blieben nur wenige Tage dafür. Eigentlich nur noch der heutige Freitag, wenn die Post am Montag, den 31. eintreffen sollte.
Sonst, wenn er unter Druck stand, geriet er leicht in Panik, heute nicht, heute blieb er ruhig, nahm sich die Zeit, zu seiner Tochter zu gehen, ihr über die Haare zu streichen. „Soll ich Dir einen Kakao machen?“
Ihr Nicken galt der Musik. Sie war glücklich mit dem Gerät.
Er war glücklich. Seine Frau rief an, dass sie gut angekommen sei. Die beiden Großen riefen nicht an. Also war alles in Ordnung.
Er überlegte, wem er noch schreiben sollte. Dann klingelte das Telefon. Hannes war dran. Sie sprachen fast eine Stunde miteinander. Es fiel ihm noch viel mehr ein, als er schreiben wollte. Als sie auflegten war es Nachmittag. Er unterbrach für ein Tässchen Tee, die Kleine war jetzt für einen Kakao zu gewinnen. Sie saßen einfach da und hatten Zeit für einander.
Am nächsten Morgen bereitete er für sich und das Mädchen nur ein kleines Frühstück. Der Brief an die Versicherung sollte schon gestern raus. Aber es waren noch Fehler drin. Er musste neu geschrieben werden. Er würde den Brief per E-Mail schicken und zusätzlich als Einschreiben, die Hauptpost sollte offen haben. Die Großen durften bei ihren Freunden zum Mittagessen bleiben, seine Frau wollte um 14:30 Uhr vom Bahnhof abgeholt werden. War da noch was?
Er sah im Terminkalender in der Küche nach. Dort trugen sie alle ihre Termine ein. Da war nur 14:30 Uhr Ankunft und Abholen mit doppelten Ausrufungszeichen zu lesen.
Über allem stand Freitag 28. Dezember. Er hatte sich um einen Tag vertan. Er hatte einen ganzen Tag gewonnen. Gestern war erst der 27ste.
Am 2. Januar trafen sie alle wieder im Großraumbüro ein. Fast alle, zwei hatten Skiurlaub genommen. Sven Meyer hatte in der Probezeit noch keinen Anspruch auf Urlaub.
„Morgen Sven!“
„Guten Morgen!“
„Die Zeit zwischen den Jahren gut genutzt?“
„Äh, ja!“
„Übrigens ich heiße Klaus, mit K.“
„Okay, Klaus!“
Einer nach dem anderen schüttelten sie Sven die Hand, sagten ihre Vornamen und Gutes Neues oder Auf ein Neues.
Klaus dachte, dass es die Zeit zwischen den Jahren doch gibt.
Es ist eine ganz besondere, nicht wie die restliche Zeit des Jahres. Sie kann nur Bruchteile einer Sekunde sein oder Tage.
Eben wie man sie geschenkt bekommt und wie man das Geschenk annimmt.
Bruno Woda, Zwischen den Jahren, im Dezember 2012
Autor:Bruno Woda aus Emmerich am Rhein |
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