unterwegs zum Amazonas- und weiter, immer weiter IV
Die MS AMADEA machte sich auf den Weg, den restlichen Atlantik zu überqueren.
Es war schon sehr heiß. Morgens um halb sieben ging die Sonne auf, ballerte zwölf Stunden nonstop und tauchte dann majestätisch in den Weiten des Meeres unter. Filmreif.
Die Schattenplätze an Deck waren meist ausgebucht. Aber ich wollte auch gar nicht in den Schatten. Die Hitze tut mir und meinen morschen Knochen einfach nur gut. Ich genieße sie. Auch, wenn ich schwitze und meine Haut im Wasser schwimmt. Das einzig Unangenehme dabei ist, dass auch die spärlichen Klamotten ständig pitschenass sind. Aber ein bisschen Verschnitt hat man ja immer.
Der Atlantik war so glatt wie ein sanftes Binnengewässer. Kein Schaukeln, kein Schwanken, kein Wind, nichts, was die Überfahrt gestört hätte. Ich nutzte die ruhige Zeit, um den ersten Waschtag einzulegen. Mein lieber Mann zog eine kurze Auszeit mit Magen-Darm vor.
Allerdings wählte er (unbeabsichtigt) den falschen Termin. Denn als er mit Tee und Zwieback in der Koje lag und seiner Gesundheit plus Hexenschuss (ungewollt) entgegenfieberte, war ein Galaabend mit 10-Gang-Menue angesetzt.
Mittwoch, am 10. Oktober, war der Himmel bedeckt und es fiel ein leichter, warmer Regen. Trotzdem legte die Sonne auch an diesem Abend einen Sonnenuntergang vom Allerfeinsten hin. Wir waren schon .ziemlich dicht am Äquator, nur noch rund 6° entfernt. Ob sie hier auf diesem Schiff die Äquatortaufe auch mit soviel Getöse und Sauerei feiern würden? Wir waren schon gespannt.
Freitag, 12.10. 2012, war wieder ein sehr heißer Seetag und abends Äquatorüberquerung mit einer etwas anderen, etwas langweiligen Version der Taufe. Fanden wir jedenfalls. Nichtsdestotrotz haben wir mitgefeiert… Weit ab zwar, oben auf Deck 11, aber immerhin…
Samstag früh endlich Land in Sicht. Langsam zog die MS AMADEA die Küste entlang auf Belem/ Brasilien, zu. Hochhäuser über Hochhäuser. Was war das hier? Die Skyline von Manhattan? Wir waren schlichtweg überrascht. Das hatten wir nun echt nicht erwartet.
Wir tenderten in einiger Entfernung von Belem in der Bucht von Marajó. Oder war es vielleicht noch die Mündung des Rio Guamá oder die des Rio Pará, die dort zusammenfließen in der Bucht?
Wir wussten von unserem Kreuzfahrtdirektor, dass alljährlich genau an diesem zweiten Wochenende im Oktober das größte, hochheilige Fest in Belem und ganz Brasilien gefeiert wird. Irgendwann, heute oder morgen, würde ein Schiffskorso mit Hunderten von Booten und Schiffen stattfinden, die die Madonna übers Wasser nach Belem bringen sollten. Dann könnten natürlich unsere Tenderboote nicht mitten dazwischen pendeln. Dann wäre alles gesperrt. Wir hatten nur zwei Möglichkeiten, in die Stadt zu kommen: entweder morgens um neun oder nachmittags um 14 Uhr.
Wir entschieden uns zusammen mit unseren golden girls Gerda und Heike, gleich nach dem Frühstück rüber zu fahren. Besser morgens, bevor es zu heiß wird..
Nach gut zwanzig Minuten Überfahrt spuckte uns der Tender in einen brodelnden Hexenkessel. Was wir nicht wussten war, dass an diesem Wochenende zum Cirio de Nossa Senhora de Nazaré zusätzlich zu den eigenen gut zwei Mio Einwohnern immer nochmals gut zwei Millionen Menschen in die Stadt kommen, um dieses Fest hautnah mitzufeiern. Und mittendrin WIR, Manfred und Christel aus Klein-Emmerich..
Noch ahnungslos schlenderten wir durch die Menschenmassen auf den unzähligen Märkten, fast erschlagen von den kunterbunten Farben, dem Höllenlärm und den verschiedensten Gerüchen. Riesige Müllberge überall, Musik, Tanz, Gestank. Unglaublich. Es gab fast nichts, was es nicht gab: sämtliche Sorten Gemüse, Obst, Handwerkliches, Fische, Fleisch, Nüsse, Amulette, alles, alles. Aber nirgendwo Fliegen. Nicht auf dem Frischfleisch, nicht auf den hässlichen Fischen, die uns mit toten Augen anklagend anstarrten. Nirgendwo auch nur eine einzige Fliege.
Wir ließen uns treiben, raus aus der Hafengegend mit ihren Märkten. Wir schlenderten in der stehenden Hitze durch die Stadt, an der Kathedrale vorbei, durch eine abartig stinkende Straße mit halsbrecherischem Belag und Nutten in einem Hauseingang und durch kleine Parks mit schwer behängten Mangobäumen. Der Fischereihafen bohrt sich mitten in die Stadt hinein. Alte, morsche Fischerboote und ebenso alte, aber noch aktive Hängemattenboote lagen inmitten von unerträglich stinkenden Abfällen. Das Wasser zugemüllt mit allem, was verwest und weg muss. Wir sprangen im Zickzack zwischen hochbeladenen Eselskarren über rappelvolle Straßen. Hupen schrillten. Wachmänner mit Trillerpfeifen achteten darauf, dass niemand querbeet latschte oder sonstigen Unfug anstellte.
Irgendwann landeten wir am Fort, direkt unten am Wasser, direkt in der allerersten Reihe, gerade zu der Zeit, als der Schiffskorso sich auf dem Strom zusammenballte. Schiffe, Boote, Bötchen, Einbäume, Kanus, dazwischen im Zickzack flitzende kleine Motorboote, alles bunt durcheinander, alle wunderschön mit Bändern und Kränzen in leuchtenden Farben geschmückt. Ohrenbetäubender Lärm, Jubel, Hupen, Singen und Lachen. Der Himmel barst im Gewitter eines gigantischen Feuerwerks. Hin und her pendelten die Boote, immer direkt vor unserer Nase. Und dann entdeckten wir dasjenige, welche. Es war besonders geschmückt, ganz, ganz fantastisch und vorne am Bug thronte die Statue der Madonna. Sie kehrte heim nach Belem.
Und plötzlich war der ganze Spuk wieder vorbei. Die Stille, so kam uns der normale Lärm vor, dröhnte in unseren Ohren, und wir schüttelten den Kopf, um ihn wieder frei zu kriegen. Was wir da gerade erlebt hatten, war unglaublich. Und das nicht mal geplant von der Reiseleitung, es war schlicht und einfach Zufall, dass wir gerade an diesem Samstag hier in Belem angekommen waren. Und- dass wir gleich morgens und nicht erst mittags rüber gefahren waren.
Langsam trotteten wir zurück. Es war schon fast Zeit für den Tender. Aber die Stadt war verstopft, wir kamen nicht vor und nicht zurück. Eingekesselt in eine Menschenmasse von ich- weiß- nicht- wie- vielen- Menschen, konnten wir nur dastehen, die Luft anhalten und warten, bis die Prozession, die sich wie ein unendlicher Bandwurm durch die Stadt wälzte, an uns vorbeigezogen war. Wie ich später im Netz nachgelesen habe (sehen konnten wir es ja nicht), wird die Statue der Madonna in einer Sänfte getragen. Ein etwa vierhundert Meter langes, starkes Seil, das damit verbunden ist, vergibt demjenigen, der es greifen kann, seine Sünden. Dass es heiß umkämpft wird, ist ja wohl klar.
Irgendwann schafften wir es, die Anlegestelle zu erreichen. Aber da lag ein riesiger Katamaran, der den ganzen Platz einnahm. Und der wich und wankte nicht.
Unser Tenderboot dümpelte inzwischen ohne Anlegemöglichkeit direkt vor unserer Nase unentschlossen hin und her. Ein Offizier ging fragen, ob und wann der Katamaran denn gedenke… Es hieß, er gedenke bald, aber er tat es nicht. Vielleicht manana?
Als die Schmerzgrenze erreicht war, kletterte einer der Tenderfahrer aufs Dach, duckte sich, hob beim langsamen Schleichen des Bootes die dicken Stahltrosse des Katamarans hoch, der Tender tuckerte darunter hinweg, klemmte sich in eine spärliche Ecke und machte fest.
Wir konnten an Bord!
Zurück zu unserem schönen, zivilisierten Schiff.
Zum leckeren Mittags-Menue im klimatisierten Speisesaal mit unseren freundlichen Kellnern.
Nachmittags war Siesta angesagt vor der nunmehr ruhigen Skyline von Belem.
Fortsetzung folgt
Autor:Christel Wismans aus Emmerich am Rhein |
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