„Man stolpert mit dem Kopf und dem Herzen“

Fotos (4) Betty Schiffer
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Große Scham und blankes Entsetzen befällt wohl jeden, der Bilder der Judenverfolgung sieht. Es schnürt einem die Kehle zu und lässt erschaudern, so unvorstellbar ist es, was Menschen anderen Menschen angetan haben. Welche Ohnmachtsgefühle, Demütigungen und welches Leid die Opfer empfunden haben müssen, enzieht sich unserer Vorstellungskraft. Doch das Projekt „Stolpersteine“ vom Künstler Gunter Demnig soll uns auch in Emmerich vor dem Vergessen bewahren.

Der Holocaust ist wohl der dunkelste Teil der deutschen Geschichte. Einer, welcher jedoch niemals in Vergessenheit geraten darf. Es ist umso erstaunlicher, wenn auch junge Menschen großes Engagement zeigen, um dieses dunkele Kapitel immer wieder als Mahnmal in die Gegenwart zu holen.

So empfand der Künstler Gunter Demnig, Initiator des Projektes „Stolpersteine“, eben auch das Engagement vieler Schüler aus Emmerich, die am vergangenen Freitag ihren Beitrag zur Gedenkstunde und der ersten Verlegung der Stolpersteine in Emmerich beitrugen.

Gunter Demnig, der in seiner Laufbahn als Initiator dieser besonderen „Gedenksteine“ bereits drei Morddrohungen erhalten hatte, legte nun auch in Emmerich als Erinnerung an die deportierten, verschleppten und getöten Emmericher Mitbürger die ersten 24 Stolpersteine an ihre alten Wohnorte.
Zur Gedenkstunde begrüßte Irene Möllenbeck die zahlreich erschienenen Emmericher Bürger, die mit ihrem großen Interesse zur Durchführung dieses Projektes in Emmerich beigetragen hatten. Sie selbst hatte vor vier Jahren das erste Mal einen solchen Stein gesehen und sich gefragt, welches Leben wohl hinter diesen Namen steckte.

Welches Leben steckt hinter jedem Stein?

„Für mich ist es ganz wichtig, dass wir das Erinnern und Gedenken mitten in unseren Alltag holen“, so Irene Möllenbeck. „Wir möchten die Namen der verstorbenen jüdischen Emmericher Mitbürger an ihre alten Wohnorte zurückgeben“. Aus diesem Grunde wurden von Emmericher Schülern die Namen und Straßennamen der jüdischen Mitbürger verlesen. Dabei war den Jugendlichen anzumerken, dass auch sie ergriffen waren. Gunter Demnig berichtete, viele Lehrer hätten ihm mitgeteilt, dass dieses Thema für die Jugend mehr als zäh wäre. Er jedoch hat damit ganz andere Erfahrungen gemacht.
„Sich mit bestimmten Namen aus dem eigenen Wohnort auseinanderzusetzen hinterlässt bei vielen Jugendlichen mehr, als sich im Geschichtsunterricht mit dem Thema auseinanderzusetzen, so Demnig. „Es geht einem in dem Moment einfach durch Mark und Bein. Der Junge oder das Mädchen, dessen Name ich hier gerade vorlese, waren in meinem Alter als sie verschleppt oder vergast wurden.“

Als die Straßennamen vorgelesen wurden, überkam wohl viele Besucher ein ähnliches Gefühl. Agnentenstraße, Brink, Oelstraße, Fischerort, Kaßstraße, Mennoitenstraße alles Orte, an denen sich wohl jeder Emmericher schon einmal aufgehalten hat. Dies führte vor Augen, wie nah man der Geschichte doch im Grunde genommen ist. Bürgermeister Johannes Diks sagte: „Um den Ort an dem man lebt zu verstehen, muss man seine Geschichte kennen“. Rainer Hoffmann, Beauftragter für den rechten Niederrhein der Jüdischen Gemeinde Duisburg/Mülheim/Oberhausen, ließ die Besucher der Gedenkstunde an dem Gebet „El Male Rachamim“ teilhaben, welches in einer jüdischen Gemeinde zum Gedenken der Verstorbenen gesprochen wird.
Auf der großen Leinwand liefen die Bilder Emmerichs kurz vor, während und nach der Judenverfolgung. Begleitet wurden diese durch Mirjam Hardenberg am Violoncello und Torsten Mühlenberg am Klavier. Gunter Deming wurde bereits mit vielen Auszeichnungen für seinen Einsatz zum Gedenken an die Gräueltaten, unter anderen durch den Bundesverdienstorden und die Joseph-Neuberger Medaille geehrt. Er hat bereits in zehn Ländern Europas dieses Projekt durchgeführt und „erfreut“ sich an großem Interesse der Länder an dieser Aktion.

Projekt erfreut sich großem Interesse

Ein Holocaust Überlebender aus England, der extra nach Deutschland gereist war um an der Verlegung der Stolpersteine für seine Familie teilzunehmen, sagte einmal: „Es kann kein Grabstein für die Familien sein, aber für mich ist es ein Schlussstein. Ich kann nach Hause fahren, aber auch jederzeit an diesen Ort zurückkehren,“erinnerte sich Gunter Demnig. Auf die Frage, warum er Steine in die Erde setzt, über die man doch hinüber läuft, sagte er nur: „Um den Text auf den Steinen oder die daraufstehenden Namen zu lesen, muss man sich nach unten beugen und macht somit eine Verneigung vor jedem der verewigten Opfer.“ Genau dass ist sein Grundgedanke und genau das werden Emmericher Bürger in Zukunft tun können. Das „Erinnern“ mit in ihren Alltag nehmen.

Autor:

Betty Schiffer aus Emmerich am Rhein

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