Mallorca - Auszug aus meinem Buch "Emmerich in Übersee"
Mallorca
Bei der Landung war es schweinekalt.
Der Bus brauchte gut zwei Stunden, bis er uns in Cala Figuera ausspuckte, weil wir auf dem Flughafenparkplatz ewig auf eine Frau und einen Mann warten mussten, die uns schon im Flieger auf die Nerven gegangen waren. Er mit offener Hose und unruhig zwischen den Gängen schwankend. Sie mit laut keifender Stimme im Ruhrpottslang. Und in welchen Bus stiegen sie ein (nachdem sie ihn endlich gefunden hatten) und wo später aus? Na? Na? – Bingo!
Gute Arbeit, Travel!
Wir hatten ein Zimmer zur Straße hin. Jeder, der die wahnsinnig steile Buckelstraße herunterkam, konnte locker in unser Zimmer bis ins Bett hinein sehen. Morgens in aller Herrgottsfrühe rumpelten entweder der Müllwagen oder irgendwelche Zulieferer direkt unter unser Fenster. Sechs Uhr! Aufstehen!
Zähneklappernd drehten wir eine erste Erkundungsrunde durch den Hafen, aßen in einer kleinen Hafenbar eine winzige Seezunge zu einem gewaltigen Preis und waren gefrustet. Dass ich mich dort auf dem Weg von der Toilette zurück verirrte und den Weg ins Lokal nicht mehr finden konnte, hatte eigentlich nichts mit mir selber zu tun. Eher mit dem lausigen, kleinen…na, Sie wissen schon…
Aber es wurde besser. Viel besser allerdings erst, als sich auch das Wetter besserte. Wir stürzten uns ins Abenteuer und gingen auf Entdeckungsreisen.
Was wir zu Fuß oder mit dem Fahrrad abstrampeln konnten, war immer am besten. Wir durchforschten die gesamte nähere Umgebung. Manchmal fanden wir uns auf Wegen hoch über dem Meer, kaum mehr als ein schwach zu sehender Trampelpfad. War je ein Mensch vor uns hier gewesen?
Lange Gräser am Wegesrand streichelten unsere nackten Beine beim Fahren. Wir holperten über rotbraune, fruchtbare Erde, manchmal mussten wir die Räder schieben.
Und immer wieder, plötzlich, überwältigend, das Meer. Tief unter uns, tosend gegen die Höhlen und Klippen klatschend, smaragdgrün oder tiefblau.
Dazu die Felsen. Überall nackte Felsen mit ausgewaschenen Höhlen. Hier ist das Meer seit Jahrtausenden zuhause. Hier ist es in seinem ureigensten Element. Hier kann es sich messen mit den anderen wilden Kräften der Natur.
Wenn wir an den Strand von Santanyi wollten, nahmen wir statt der Bimmelbahn immer den wilden Fußweg über die Klippen. Die Aussicht von hier oben ist grandios, wir liebten sie. Aber am Ende der Klippen war Schluss. Kein Pfad mehr, nichts außer nacktem Fels. Da ist es nicht verkehrt, wenn man noch fit und arthrosefrei ist und ein paar kleine Gemsgene im Blut hat.
Die beiden Pröllskis waren offensichtlich nicht gut zu Fuß. So liefen sie uns tagsüber wenigstens nicht über den Weg. Es reichte, dass man ihnen morgens und abends auf der Terrasse des Hotels nicht entgehen konnte. Sobald jemand auftauchte, tönte sie im tiefsten Ruhrpottdeutsch, dass sie reich sei, stinkreich. Sie hätte geerbt. Und wenn sie auch nur ansatzweise geahnt hätte, was für ein popliges, langweiliges Hotelchen das hier wäre, nie im Leben hätte sie hier gebucht. Nie mehr wieder würde sie hier herkommen. Und ihr Gatte nickte zustimmend, während er wieder und wieder sein offensichtlich krankes Bein am Geländer hochschob und den versifften Verband auf und abwickelte. Ihm durfte man nicht auf zehn Schritte zu nah kommen. Wer da nicht aufpasste, dem knallte er augenblicklich ein nacktes, halb verfaultes Bein vors Gesicht. Aber das war nicht alles. Er liebte es auch, sich zu anderen essenden Gästen an deren Tisch zu setzen und ihnen das Essen von der Gabel zu gucken…
So aufdringlich, so lange, bis keiner mehr essen mochte und ihm den Teller zuschob.
Nach der ersten Woche machten wir uns auf den Weg, die berühmte Piratenbucht S’Almunia zu finden. Wir irrten ein bisschen herum, suchten trotz Karte an der falschen Stelle. Fragen ging nicht, weil - unser Spanisch im ersten Jahr war mehr als mickrig. Also suchten wir weiter.
Schließlich, nach mehreren Tagen, als wir schon aufgeben wollten, fanden wir die Felsformation mit dem Indianerprofil, nach der wir so lange gesucht hatten. Hier war die verzauberte Bucht. Endlich am Ziel! Wir stolperten den Abhang hinunter und – nichts.
Wieso nicht? Die Bucht musste hier sein! Das war original der beschriebene Platz. Wir umrundeten das begehbare Halboval. Hin und zurück. Okay. Es war eine Bucht. Definitiv. Tief eingeschnitten, voll mit wild schäumendem Wasser und hohen Bäumen oben am Ufer. Aber wo war der kleine Strand?
Wir sahen nur Wasser und Felsen. Auch nichts, was nur annähernd einer Treppe nach unten gleichkam.
Mehr als merkwürdig.
Wieder und wieder verglichen wir die Karte mit der Landschaft. Enttäuscht wollten wir schließlich aufgeben, da stolperten wir förmlich in den gesuchten Pfad. Keine Stufen, keine richtigen jedenfalls, einfach nur grobe Absätze im Lehm, die versteckt im Dickicht nach unten führten.
Vorsichtig, uns an Büschen und dicken Gräsern festkrallend, rutschten wir mehr, als wir gingen, Richtung Wasser. Und dann standen wir da, wo eigentlich ein kleiner, feiner Sandstrand sein sollte. Aber hier unten waren nur Felsen, Felshöhlen und die unermüdlich kämpfenden Wellen. Sie klatschten gegen den Fels, umspülten unsere Füße und sprangen über dicke Findlinge, die ab und an im Wellengang auftauchten und wieder untergingen.
Hinter uns ragten zerklüftete, rotlehmige Höhlen in den Fels, ausgewaschen und kahl geschwemmt.
Die S’Almunia, die Bucht mit dem romantischsten, winzigsten Strand von Mallorca, war weg, geschluckt von den gefräßigen Stürmen des Winters.
In diesem Jahr war der Strand für uns unsichtbar. Aber wir fanden ihn im nächsten Jahr, als wir ihn erneut aufsuchten. Da hockte ich mich auf einen riesigen Findling im Wasser und sah dem Spiel des Wassers zu. Die Wellen leckten nur leicht an dem feinen Sand. Zartgrünes Wasser, spielerisch und warm, löschte die Erinnerung an die tosende See, die sich im Jahr zuvor hier an den Felsen gebrochen hatte.
Wir erkundeten die Insel mit Bus, Bahn, Auto, Katamaran, Fahrrad und zu Fuß. Drei Jahre lang für je zwei Wochen. Wunderschönes Mallorca.
Autor:Christel Wismans aus Emmerich am Rhein |
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