in den Highlands - Auszug aus "Emmerich in Übersee"
Auch Aviemore besteht wie die anderen kleinen Ortschaften aus einer Hauptstraße mit Geschäften, Pubs, Restaurants und familiärem Drumherum. Wunderschön eingebettet in die Landschaft, sauber und freundlich.
Außerhalb, ein paar Kilometer weiter, gerieten wir wieder an Wald, Plätscherbach, sonnendurchflirrtes Gehölz mit Jahrhunderte altem Baumbestand und einen Sandstrand am Loch.
Loch wie? Keine Ahnung. Ein Loch eben, einer der vielen, vielen Seen in Schottland. Ruhepäuschen am Badestrand. Sonne, Wärme, Jacke aus. Wellengeplätscher, Augen zu. Platt. Siesta.
Ein paar Autokilometer weiter standen wir vor den schneebedeckten Bergen im Skigebiet.
Züge fuhren hoch in die Kälte, in die ganz anderen Klimazonen. Und dafür, dass wir nicht danach angezogen waren und mit Sicherheit erfrieren würden, waren die Preise entschieden zu hoch.
Frostbeulen dürfen zumindest nicht teuer sein.
Sagte der Finanzminister.
Ich holte mir zwar keine Frostbeulen, aber dafür eine beginnende Etagenblockierung im Kreuz. Auf dem platten Sandstrand eingefangen. Seit Jahren nicht mehr gehabt, aber trotzdem wiedererkannt.
Es krampfte immer mehr, inzwischen lief ich wie der Glöckner von Notre Dame. Bloß nicht jetzt! Nicht hier! Ich will nicht hier zu einem Arzt oder ins Krankenhaus.
Die Schmerzen überschwemmten mich immer mehr und nahmen mir den Atem. Um mit meinen Kräften hauszuhalten, wurde ich immer schweigsamer. Mist, verdammt! Warum jetzt? Warum hier? Das habe ich doch schon so lange nicht mehr gehabt!
TRAVEL!
Ob mir die Pillen helfen würden, die ich für meinen Mann vorsichtshalber eingepackt hatte? Falls er einen Hexenschuss kriegt?
Ich schluckte sie. Dreimal. Danach war ich wieder fast wie neu. Halleluja...! Geht doch!
Auf zu neuen Taten. Auf nach Culloden.
Culloden stand auf meiner Wunschliste ganz weit oben. Hier endete am 16. April 1746 der Traum des jungen Prinzen Charles Edward Stuart, genannt: Bonnie Prince Charlie. In weniger als einer Stunde metzelten die Engländer damals die halb verhungerten, vollkommen erschöpften schottischen Highland-Soldaten nieder. Mit den Clans starben auch die alten Traditionen und...
halt, stopp, kein Geschichtsunterricht. Ich merke schon wieder, wie es mich packt.
Vor Culloden, in einer unübersichtlichen, weiten Moorlandschaft, leuchtend gelb auch sie, standen auf einem Parkplatz Busse und Pkw.
Touristen? Hier? Das hier war ein blutiges Schlachtfeld, nichts, wo Touris durchlatschen sollten. Ein Ort des Schweigens, der Erinnerung.
Mit uns war das natürlich ganz etwas anderes. Wir wollten nicht neugierig latschen, wir wollten in Anbetracht der entsetzlichen Geschehnisse damals andächtig und still den Gedanken der Erinnerungen folgen. Auch, wenn wir dafür Eintritt bezahlen mussten. Ordnung muss schließlich sein.
Da im Eingang standen sie sich gegenüber, lebensgroß: der Herzog von Cumberland, der die englischen Rotröcke befehligt hatte und Bonnie Prince Charlie. Für mich sah der eigentlich mehr wie ein Geck aus. Kann ja auch nicht ganz dicht gewesen sein in seinem blaublütigen Hirn unter der fiesen, gepuderten Perücke.
Wir hörten uns erst einen Dia-Vortrag an, dann gingen wir langsam hinaus aufs Moor. Gleich vornan steht das Old Leanach Cottage, das einzige Gebäude aus der damaligen Zeit. Obwohl, Gebäude ist entschieden übertrieben: Eine winzige Einraum-Kate ist es, aus dicken Quadern zusammengefügt. Das Dach ist mit Heidekraut gedeckt, und drinnen ist es so düster, dass man unwillkürlich eine Gänsehaut kriegt. Unvorstellbar, dass hier, auf diesem Boden vor der Hütte, die überlebenden Hochländer von den Rotröcken auf einen Haufen geworfen und bei lebendigem Leib verbrannt worden sind.
(In dieser Kate haben die schwerverletzten Männer von Jamie gelegen, bevor sie von den Engländern erschossen wurden)
Ich hatte eine Gänsehaut nach der nächsten. Mein Blick hing an dem rohen Holztisch mit den blutigen Verbänden. Alles atmete Tod und Verderben aus. Und irgendwie vermischten sich in meiner Wahrnehmung zusehends Geschichte und Roman.
Unvorstellbar, dass diese Kate noch bis 1912 bewohnt gewesen ist.
Langsam wanderten wir über die Wege durchs Moor. Hier hing die Fahne der Engländer, dort drüben die der Jakobiten. Ein Stück weiter Tafeln mit Namen der Clans, ihrer Gefechtsaufstellung. Überall Stechginster, dunkles Moor, kreischende Vögel und Wind. Unheimlich.
Der Englische Stein steht nur wenige Meter neben dem Cottage zum Gedenken an die gefallenen Rotröcke. Ein Stück weiter die verwitterten Findlinge, die die Clan-Gräber markieren. Oft waren die Namen kaum noch zu entziffern. Immer wieder fanden wir kleine, weiße Kokarden auf den Steinen. Sie waren damals das Zeichen der Jakobiten. Offensichtlich auch heute noch.
Und dann plötzlich standen wir vor der Tafel mit der Aufschrift: Fraser-Lovat. Ich kippte fast aus den Latschen. Geschichte und Roman! Da war es wieder!
Hier also hatte Jamie mit seinen dreißig Leuten aus Lallybroch gestanden! Ich merkte genau, dass mich die Meinen milde belächelten, aber ich konnte es nicht ändern: Ich war total aufgeregt.
Irgendwann wurde der Hunger stärker als die hehren Gefühle, und wir verließen das geschichtsträchtige Areal. Am Rande einer Böschung neben dem Parkplatz (der Boden hier war mit Sicherheit nicht weniger blutgetränkt als das eigentliche Schlachtfeld selber) packten wir unser Mittagspicknick aus und stärkten uns erstmal.
Die Karte und ein Prospekt sagten uns, dass wir ganz in der Nähe von Cawdor Castle mit seinen wunderschönen Gärten waren.
Welcome to Cawdor Castle.
Angelika, die Countess of Cawdor, wünschte uns einen angenehmen Aufenthalt. Auf dem Prospekt jedenfalls.
Schon die Zufahrt war grandios. Mächtige, uralte Bäume, weite grüne Wiesen, leuchtende Blumen, alte Kutschen, die gekonnt-zufällig platziert waren, Vogelnester in den Baumkronen. Gezwitscher, Kreischen, Natur pur! Wunderwunderschön.
Doch dann kam die schmale Gasse mit dem Kassenhäuschen. Als der junge Mann darin die Eintrittspreise für Erwachsene nannte, fiel uns die Kinnlade doch etwas nach unten. Nur, um in das zurzeit bewohnte, alte Gemäuer hineinzukommen, vielleicht in etwa drei bis vier Räume, die freigegeben waren...? Nee, das war entschieden zu teuer.
Denn: Erstens wurde am Schloss noch immer renoviert und gewerkelt und zweitens: The Countess war zuhause und kochte vielleicht gerade das Dinner oder wickelte das Baby oder fütterte den Senior - und dabei möchte man nicht gerade vom Plebs beobachtet werden. Das wäre eine Erklärung dafür, dass wir ein junges Pärchen gesehen hatten, das ratz-fatz rein und wieder raus war. Maximal nach einer Viertelstunde.
Ich musterte den jungen Mann im Kassenhäuschen mit strenger Nannymiene, die sonst meinen Enkeln in bestimmten Situationen vorbehalten ist und sagte:
„Good afternoon, Sir. Two adults, one child. Please."
(Zwei Erwachsene, ein Kind). Er schaute von meinem Mann zu mir, stutzte, beugte sich vor aus seinem Kabuff und suchte nach unserem Kind.
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Ich schob ihm Bille sanft vor die Brille und sagte: „Das ist unser Kind."
Verstand er irgendwie nicht.
Nach zwei weiteren Anläufen wollte er immer noch nichts verstehen: „Three adults." Drei Erwachsene.
„No, two adults, one child." Ich werd doch mein Kind nicht verleugnen, egal, wie alt es ist. Kind bleibt Kind.
Schließlich empfahl er uns kichernd, doch einfach mit unserem Kind die Gärten zu besichtigen für fast geschenkte gute elf Pfund pro Person, egal, wie groß oder alt, (damals etwa 16,60 Euro).
„Na gut“, ich gab nach, „dann eben dreimal Gärten für Erwachsene".
Wer an der Fortsetzung und weiteren Geschichten interessiert ist, dem empfehle ich mein Reisebuch "Emmerich in Übersee" - unterwegs mit dem Travel-Chaos.
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Autor:Christel Wismans aus Emmerich am Rhein |
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