in den Highlands - Auszug aus "Emmerich in Übersee"

Stechginster in den schottischen Highlands

Ich wollte schon lange einmal nach Schottland, in die Highlands.

Ich war infiziert durch die Romane von Diana Gabaldon und wollte unbedingt dorthin, wo der rote Jamie Fraser McKenzie und seine Sassenach Claire, die Zeitreisende aus dem 20. Jahrhundert, gelebt hatten; schottische Luft atmen, das Land sehen, fühlen, anfassen und riechen. Dahin, wo Jamie und Claire im 18. Jahrhundert gelebt hatten.
Und Bille, unsere Kleine, wollte es auch. Sie hatte die Bücher genauso verschlungen, und außerdem hat sie eine gute irisch-schottische Freundin.
Soweit waren wir schon mal klar. Jetzt brauchten wir nur noch einen Finanzminister, der auch unbedingt nach Schottland wollte…

Er war rasch gefunden!

Am 12. Mai 2006 flogen wir ab Düsseldorf-Weeze, Bille ab London-Gatwick. In Glasgow-Prestwick trafen wir zusammen. Wo auch schon unser Mietwagen wartete. Natürlich musste Bille fahren. Sie ist die Engländerin von uns. Sie hat schon vor vielen Jahren notgedrungen ihre Gehirnhälften umprogrammiert und kann auch locker auf schottischen Serpentinen auf der falschen Straßenseite fahren ohne zu kollabieren, wenn ihr in den Haarnadelkurven ein Doppeldeckerbus entgegenkommt.
Auf der für uns falschen Gehirn-Straßenseite.

Ein einziges Mal habe ich versucht, vorne neben ihr zu sitzen. Aber nach zehn Minuten sagte sie entnervt: „Mutti, setz dich lieber gleich wieder nach hinten. So wie du deine Fingernägel ins Armaturenbrett krallst, kriegen wir Ärger mit der Leihwagenfirma. Du machst alles kaputt."
Dabei habe ich immer ganz kurze Fingernägel. Phh!

"...so I'll take the high road and you'll take the low road and I'll be in Scotland before you, but me and my true love will never meet again on the bonny, bonny banks of Loch Lomond…” (Schon in der Quinta bei Frau Qinders gelernt...)

Von unserer ersten Etappe in Balloch, am südlichen Ende des Loch Lomond, wo wir ein fürstliches Familienzimmer im Braeburn-Cottage hatten für fünfundzwanzig Pfund p.P, fuhren wir am nächsten Morgen weiter nach Fort William am Loch Linneh.
Nicht viel kaputt in dem Örtchen. Wir bummelten ein bisschen, fanden nach langem Suchen sowie Fragen ein paar Restfragmente der Fortmauern.
(hier sollte im 18. Jahrhundert das berühmt-berüchtigte Gefängnis gestanden haben, in dem Jamie inhaftiert gewesen war?)
Der Ben Nevis im Hintergrund verschwand im Nebel. Wir hätten noch die Ben-Nevis-Whisky-Brennerei besichtigen können, aber dazu hatten wir keine Lust. Schottischer Whisky - ja, aber Besichtigung – nein. Wir waren auf der Suche nach den Highlands, nicht nach so Profanem wie einer Brennerei.

Abends gingen wir, wie man uns dringend ans Herz gelegt hatte, ins Mc Tavish's Kitchens. Unten nichts. Stufen hoch. Wo landen wir hier? Ob das richtig ist?
Oh, ja. Oben harrte ein Einweiser auf die ersten Gäste. Wir bekamen einen Tisch, bestellten, und dann warteten wir gespannt auf die berühmte Vorstellung, die sich uns gleich bieten würde.
Leider hielt die Ankündigung nicht, was sie versprach. Das schottische Tanzmädel guckte wie Anne, die königliche Tochter, wenn sie gerade nicht amused ist. Der Dudelsackbläser hatte sich offensichtlich gerade einen Hexenschuss eingehandelt, und der Ahn mit dem Akkordeon schien eine Kiefer-Lachsperre zu haben. Überhaupt: Sie alle hatten zumindest Grippe, Steuerfahndung oder Schlimmeres im Haus.
Und die wollten die Highlands verkörpern? Jamies Nachfahren? Da hatten wir uns aber doch entschieden ganz etwas anderes vorgestellt. Deftigeres. Urigeres. Echteres. Irgendwie Anderes!

Aber wahrscheinlich tue ich ihnen jetzt bitter Unrecht. Sie mussten ganz einfach ihren Job machen, und auf den hat man ja nicht immer unbedingt riesige Lust. Sie standen nicht für alle Highlander, das merkten wir bald. Denn die Schotten am Wegesrand, damit meine ich alle, die wir so rundum irgendwo trafen, waren sehr freundliche, aufgeschlossene, liebenswerte Menschen. Sie alle wollten helfen, wissen, wo wir herkommen, wer wir sind, warum wir da sind. Was wir sehen wollen, warum wir teils deutsch, teils englisch sind: „She is your daughter, really? She is German?“
Wie - eure Tochter? Sie ist eine Deutsche?

Auf dem Weg nach Aviemore and the Cairngorms entdeckten wir die fantastischen Landschaften, die wir uns erträumt hatten. In einem Wald stürzten sich wilde Wasserfälle von den Hügeln herab in pechschwarzes Wasser; die Bäume trugen Wattebäuschchen, und wir fühlten uns ein bisschen so wie im Urwald. Dabei war die Straße nur ein paar Meter entfernt.
Überall, soweit das Auge reichte, blühte der Stechginster. Ein gelbes Meer überzog die Ebenen und zog sich teils an den kahlen Hängen der Hügel hinauf, und hinunter bis an die schwarzen Lochs. Und das Eigenartige an ihm ist sein intensiver Duft nach - Kokos. Stechginster duftet nach Kokos, mehr als Kokos nach Kokos duftet.
Einmal habe ich leichtsinnigerweise versucht, einen kleinen Zweig abzubrechen, habe es aber sofort unter Schmerzenslauten wieder aufgegeben.
Er heißt nicht nur Stechginster, er ist auch einer, obwohl er riecht wie Kokos. Ein südlicher Transvestit im gelben Blütenkleid hoch oben im nassen Norden.

Fortsetzung folgt

Autor:

Christel Wismans aus Emmerich am Rhein

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