"Hier ist begraben...."
Von den meisten Menschen wird der kleine jüdische Friedhof auf der Wassenbergstraße überhaupt nicht wahrgenommen. Ein kleines verschlossenes Törchen und eine Tafel im Eingangsbereich weisen auf einen besonderen Ort der Ruhe hin, obwohl hier von Ruhe kaum die Rede sein kann. Die Bürgeraktion Pro Kultur hatte nun zu einer Führung über jenen Friedhof eingeladen.
Dr. Jan Heiner Schneider berichtete in dem gut einstündigen Besuch über Riten, Symbole und Familiengeschichten. Viele der Inschriften auf den alten Grabsteinen sind längst nicht mehr zu lesen. Teilweise hat sich das Moos schon seinen Platz gesucht, Unkraut rankt von den Steinen herab. Was allerdings nicht verwundert, immerhin stehen diese Grabsteine schon viele Jahre auf diesem kleinen Fleckchen Erde, etwas außerhalb der Stadt. Das hat Tradition bei den Juden. "Oft befanden sich die Grabstätten in der Nähe von Stadtmauern, so auch in Emmerich am Euwer", erzählte Dr. Schneider. "Gepflegt werden die Grabstätten nicht, das ist auch heute noch so."
Ein Ritual ist es jedoch ein Lobgebet zu sprechen, wenn man den Friedhof betritt. Das taten die Anwesenden an diesem sommerlichen Abend mittels eines kopierten Textes: "Baruch Atah Adosem Elohejnu Melekh haOlam - Gelobt seist Du, Ewiger, unser Gott, König der Welt". Schneider erläuterten den interessierten Zuhörern, wie in der Vergangenheit ein Leichnam gewaschen, eingekleidet und beerdigt wurde. Die Rede war von sogenannten Sterbebruderschaften, bestehend aus zehn Männern oder zehn Frauen. "Soweit wie möglich soll die Leiche durch ein Tuch bedeckt bleiben und die Waschung darunter stattfinden."
Ungefähr 27 Litere Wasser werden dabei über den gesamten Körper verteilt. Das Waschen geschieht, vom Kopf anfangend, abwärts bis über die Füße. Anschließend wird der Tote mit einem Tuch abgetrocknet. "Man hält das trockene Tuch über die Leiche und zieht das nasse Tuch darunter hervor und trocknet den Leichnam überall gut ab. Der Gebetsmantel (Tallit) - im Falle eines Mannes - wird unter das Tuch, in dem die Leiche in den Sarg gebettet wird, gelegt. "Vorher werden die Schaufäden abgeschnitten, dass ein Toter von der Pflicht der Einhaltung der Gebote entbunden ist. Dr. Schneider erläuterte dies eindrucksvoll anhand eines mitgebrachten Tallit.
1629 wurde in Emmerich ein Friedhof eingerichtet, zwischen Stadtmauer und Stadtgraben neben einem Exerzier- und Schießplatz. 1825 musste das Gelände aufgrund der Erweiterung des Hafens und dem Gelände für den Zoll aufgelöst und gegen ein neues Gelände eingetauscht werden. 1827 wurden die Toten umgebettet und die Begräbnisse fanden auf dem neuen FRiedhof am Leegmeerschen Weg, heute Wassenbergstraße statt. "Es ist fraglich, wie viele Gebeine umgebettet werden konnten", so Dr. Schneider. Bis 1922 wurde der Friedhof genutzt, danach fanden Bestattungen auf dem Kommunalen Friedhof statt.
Dr. Schneider erläuterte anschließend beim Gang über den Friedhof das Grundschema der Grabsteine. In hebräischer Schrift befinden sich oben immer zwei Buchstaben, die übersetzt "Hier ist begraben..." lauten. Nach dieser formelhaften Einleitung folgt die Eulogie, das Lob des oder der Verstorbenen. In der Regel folgt dann der Name, daran schließt sich das Todesdatum an. Die Inschriften enden mit einem Segensspruch, der mit fünf Anfangsbuchstaben abgekürzt ist: "Seine/Ihre Seele sei eingebunden in das Bündel des Lebens". Zum Schluss der Führung ging Dr. Schneider noch kurz auf die Geschichte der Familie Gomperz, eine der ältesten und bedeutendsten jüdischen Familien, welche seit dem 16, Jahrhundert am Niederrhein in Emmerich nachweisbar ist und sich europaweit verzweigt hat, ein. Eine Stunde war schnell vergangen. Dieser Besucher schaut sich einen der zahlreichen jüdischen Grabstein aus der Nähe an. Dr. Schneider erläutert den Gebetsmantel.
Autor:Jörg Terbrüggen aus Emmerich am Rhein |
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