Hamburger Geheimnisse

Seilscheibe am Besenbinderhof
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Wie kommt eine halbe Seilscheibe in die Hansestadt? Wo liegen die Wurzeln des Hamburger Doms? Warum steht am Vorsetzen, in unmittelbarer Nähe der U-Bahnstation Baumwall, ein kleines Jugendstil-Bauwerk?

Diesen und weiteren spannenden Fragen geht das Autorenduo Eva-Maria Bast und Sven Kummereicke in ihrem 2014 im Bast Medien Service erschienenen Buch Hamburger Geheimnisse auf den Grund.

Mitten im vorweihnachtlichen Trubel machten wir uns auf den Weg, einige der Geheimnisse zu entdecken.

Los geht es in der Nähe des Hauptbahnhofes am Besenbinderhof (Bild 1 bis 3). Dort weist eine alte, zwischen Bürgersteig und Straße und unauffällig unter einem Baum stehend, halbe Seilscheibe auf Historisches hin. Eine kleine Gedenktafel erläutert den Grund, warum die Seilscheibe ihren Weg aus dem Ruhrgebiet nach Hamburg gefunden hat:

"Seilscheibe der 1965 stillgelegten Gründerzeche König-Ludwig der Ruhrfestspiele Recklinghausen.
Im harten Nachkriegswinter 1946/47 fuhren Hamburger Theaterleute ins Ruhrgebiet um Kohlen und Koks zu beschaffen. Bergleute der Zeche König-Ludwig aus Recklinghausen halfen den Künstlern. So konnte in den Hamburger Staatstheatern wieder gespielt werden. Zum Dank gastierten die Hamburger Bühnen im Sommer 1947 und in den Jahren darauf in Recklinghausen.
Es war der Erste Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg, Herr Brauer, der die Anregung zur Gründung der Ruhrfestspiele gab. Aus dem Tausch Kohle für Kunst-Kunst für Kohle wuchs Freundschaft zwischen Künstlern und Bergleuten. Es entstanden die Ruhrfestspiele, ein einzigartiges Kulturwerk der Arbeitnehmer, getragen durch den Deutschen Gewerkschaftsbund und die Stadt Recklinghausen. Hamburger Künstler sind immer wieder an den Programmen beteiligt. Die andere Hälfte dieser Seilscheibe ist in Recklinghausen aufgestellt."

Folgt man der Kurt-Schumacher-Allee über die Altmannbrücke gelangt man zur U-Bahn-Haltestelle Steinstraße am Saturn-Parkhaus (Bild 4). Im Durchgang gibt es ein prachtvolles Mosaik zu entdecken – ein mehrfarbiger Kreis und rechts und links davon ein Gebäude mit einem sehr hohen Turm. Bei diesem Mosaik handelt es sich allerdings nicht um eine besonders kreative Form der Werbung.  Es soll an etwas erinnern, das nicht mehr da ist – an ein öffentliches Bad, den Tempel der Reinlichkeit. Dieser stand von 1855 – 1963 genau dort, wo sich heute das Saturn-Parkhaus befindet.

Aus diesem Grund ist das Parkhaus auch rund, es greift den Grundriss des Tempels der Reinlichkeit auf.

Durch die Lange Mühren geht es in die Mönckebergstraße. Richtung Rathaus, vorbei am Levantehaus, erreicht man unser drittes Geheimnis, das unter Denkmalschutz stehende Hulbe-Haus (Bild 5 und 6). Es weist an seiner Straßenfront ein kleines Steinrelief auf. Die Darstellung erklärte das Hamburger Abendblatt 1983 in einem Artikel über die Mönckebergstraße:

"Eine besondere Beziehung zum Bürgermeister Mönckeberg hat auch das Hulbe-Haus. 1911 ist es im Stil eines altflämischen Bürgerhauses erbaut worden. An der Fassade hängt eine Steintafel, die freilich nur Eingeweihte deuten können. Sie zeugt von einem Streit zwischen dem renommierten Hamburger Buchbinder Hulbe und Bürgermeister Mönckeberg. Der nämlich hatte an einer etwas freizügigen Zeichnung einer jungen Dame Anstoß genommen, die Hulbe im Schaufenster seiner Werkstatt am Jungfernstieg ausgestellt hatte. Hulbe mußte eine Geldstrafe von 50 Mark zahlen. Was er nicht einfach hinnahm. Er ließ die Steintafel an seinem Haus bildlich verkünden, was er von der Angelegenheit und von Mönckeberg hielt. Die Plastik zeigt einen Mönch (der auch im Mittelpunkt des Mönckebergschen Familienwappens steht), der von einem Narren geführt auf einem Esel reitet und die Fahne der Kunst hinter sich her durch den Dreck zieht.“

Gleich neben dem Hulbe-Haus steht die Petrikirche. Vom Kirchhof aus blickt man auf den Domplatz (Bild 7). 39 weiße Acrylkissen symbolisieren die Standorte der Pfeiler des ehemaligen St.-Marien-Doms. Hier liegt der Ursprung des berühmtesten Hamburger Volksfestes, den Dom. Händler und Handwerker, aber auch Gaukler und Quacksalber suchten im damaligen Hamburger Mariendom am Speersort Schutz vor Wind und Wetter. Burchard Grelle, als Erzbischof des Erzbistums Bremen auch Hamburger Domherr, störte das und so erteilte er den Schaustellern 1334 Hausverbot. Das allerdings nahmen ihm sogar die Kirchgänger übel. Daraufhin gestattete Erzbischof Burchard 1337 ausdrücklich die Anwesenheit der Händler im Dom, jedoch nur bei „Hamburger Schietwetter“. Und so blieb der Markt im Dom, bis der Bau 1804 abgerissen wurde.

Danach zogen die Händler und Schausteller ohne festen Standort durch die Hamburger Stadtteile und verteilten sich auf die Marktplätze der Stadt: den Gänsemarkt, den Pferdemarkt, den Zeughausmarkt und schließlich den Großneumarkt. Den Marktleuten wurde erst 1893 ein neuer Platz zugeteilt: das Heiligengeistfeld, wo der Hamburger Dom auch heute noch zu finden ist.

Am Rathaus vorbei geht es weiter in Richtung Alsterarkaden. Hier findet sich die Mellin Passage (Bild 8 bis 10). Sie ist die kleinste und älteste Passage der Hansestadt und verbindet die Alsterarkaden mit der Einkaufsstraße Neuer Wall. Im Jahre 1864 eröffnete die Mellin Passage mitsamt Wandmalereien. Zur Jahrhundertwende folgten die Deckenmalereien im Jugendstil und Hinterglasbilder. Doch die Besucher konnten sich nicht immer an den Verzierungen erfreuen: Erst Restaurierungen nach dem Brand von 1989 legten Wand- und Deckenmalereien wieder frei. Sieht man genau hin, verrät die Mellin Passage ihren Namensgeber selbst: Zwischen Wand- und Deckenmalereien steht in weißen Lettern "Mellin's Biscuits". Einst war der Biscuitbäcker Mellin mit seinem Geschäft hier ansässig.

An der Ecke Poststraße steht das Hübner-Haus (Bild 11 bis 13). Dort wo nobles Design, edle Düfte und protzige Uhren auf solvente Käufer warten, fand am 8. Juli 1884 so etwas wie eine kleine Revolution statt. An diesem Tag ließ Christian Georg Adolph Hübner seine Firma Georg Hübner in das Handelsregister eintragen. Er und seine Frau Mathilde schufen in dem fünfgeschossigen Bau mit klassizistischer Fassade ein distinguiertes, gepflegtes Café mit eigener Konditorei, das vor allem auch den Damen der feinen Hamburger Gesellschaft offen stehen sollte. Und das war absolut neu. Denn bislang galt es vor allem im konservativen Hamburg als unschicklich, wenn Frauen ohne die Begleitung ihrer Herren in der Öffentlichkeit an einem Kaffee, einer Schokolade oder einem Tee nippten. Im Café Hübner, das seine Kuchen, Torten und Sorbets selbst herstellte, verkehrte übrigens nicht nur die Hamburger Hautevolee. Selbst der Leibkoch des Kaisers gab im Hübner seine Bestellung für die Kieler Woche auf. Georg Hübner jr., der Sohn der Gründer, kaufte ein Nachbargrundstück in der Poststraße hinzu und ließ 1908 den ersten und damit viel bestaunten Betonbau errichten. Bis heute ist das Gebäude fast unverändert.

Der Weg geht weiter durch die Poststraße in Richtung Große Bleichen. Dort stoßen wir auf die Einkaufspassage Hanse-Viertel (Bild 14). Beim Bau der Passage in den 80er Jahren sollen polnische Maurer mit farblich leicht abgesetzten Ziegelsteinen das Wort POLEN in die Klinkerfassade des Shoppingcenters gemauert haben. Durch einen Werbebanner leider zur Hälfte verdeckt, lassen sich bei genauem Hinsehen auf der Höhe des Schriftzuges "HO. HO. HOPLLA!" links Teile des P und rechts Teile des E sowie das N erkennen.

Durch die Große Bleichen, Düsternstraße, Herrengraben, Martin-Luther-Straße und Teilfeld wird St. Michaelis, besser bekannt als Michel, erreicht (Bild 15). Das Geheimnis Hamburgs berühmtester Sehenswürdigkeit ist weithin. Sein erstes Kupferdach wurde nämlich gestiftet von einem gewissen Isaac Chaim Senior Teixeira, einem Kaufmann, Resident und Führer einer jüdischen Gemeinde. Teixeira war der Sohn von Abraham Senior Teixeira. Nach dem Tod seines Vaters 1666 erbte er allein das erfolgreiche väterliche Handels- und Versicherungsunternehmen. Teixeira besaß ein imposantes Wohngebäude am Jungfernstieg und ein Gartenhaus, das sich in Ottensen befand. Er verfügte über ein repräsentatives Gästehaus am Krayenkamp, das er als regelmäßiger Treffpunkt für Gesandte von Fürstenhöfen aus ganz Europa zur Verfügung stellte. Teixeira schenkte Kirche und Obrigkeiten oftmals größere und kleinere Geldbeträge, um ihr Wohlwollen zu erhalten. So lieferte er Kupfer für das Dach der 1699 fertiggestellten Hauptkirche Sankt Michaelis im Wert von 10.000 Talern, für das er keine Bezahlung entgegennahm.

Über die Michelwiese und durch das Portugiesenviertel geht es unserem letzten Ziel entgegen. An der U-Bahnstation Baumwall steht ein kleine Jugendstil-Bauwerk (Bild 15 bis 18). Das blaue Emailschild neben der Tür erzählt die Geschichte des Gebäudes:

„Das Hamburger Sielnetz (Siel = hamburgisch für Abwasserkanal) war die erste moderne Kanalisation auf dem europäischen Kontinent und hat seine Ursprünge im 19. Jahrhundert. Gebaut wurde es nach dem großen Brand von 1842. Bis zur Jahrhundertwende wuchs das Sielnetz auf knapp 500 km Länge an, heute misst es rund 5900 Kilometer. Das hier verlaufende Kuhmühlenstammsiel wurde 1904 fertiggestellt und ist das größte historische Stammsiel Hamburgs. Es entwässert die Wohnorte Rahlstedt, Wandsbek, Eilbek, Hohenfelde sowie die Hafen-City.
Weil das Kuhmühlenstammsiel zur Zeit seiner Entstehung als technische Sensation galt, plante Kaiser Wilhelm II. es per Boot zu besichtigen. Eigens zu diesem Zweck baute man dieses Einsteigehäuschen, das einen komfortablen Zugang zum Siel bietet. Zum Bauwerk gehört ein unterirdischer Raum, der dem Kaiser als Ankleidezimmer diente. Dieser lag jahrzehntelang im Verborgenen hinter einer Mauer. Im September 2012 wurde es durch Zufall von einem Mitarbeiter wiederentdeckt und liebevoll hergerichtet.“

Mit dem Blick auf die Elbphilharmonie endet unsere kleine Sightseeing-Tour der anderen Art. Mit der U3 geht es zurück zum Hauptbahnhof. Zur Nachahmung empfohlen, wird es sicher nicht die letzte sein, denn noch viele Geheimnisse der Elbmetropole sind es wert, entdeckt zu werden.

Autor:

Knut-Olaf Müller aus Emmerich am Rhein

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