Damals in Emmerich - Grenzübergang Klein-Netterden

hier war damals der Grenzübergang mit Schlagbaum und Pass-und Zollkontrolle
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  • hier war damals der Grenzübergang mit Schlagbaum und Pass-und Zollkontrolle
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Und noch einmal geht die Reise zurück in die Vergangenheit, die noch gar nicht so weit zurück liegt. Als ich heute mit dem Rad von 'sHeerenberg aus nach Hause fuhr und dabei den ehemaligen Grenzübergang passierte, musste ich an die Zeit denken, als Emmerich mehr oder weniger fast von Holland umgeben war. Grenzen rundherum. Zum einen natürlich der Rhein, ansonsten die Schlagbäume und Grenzkontrollen: Klein-Netterden, 'sHeerenberg, Beek, Elten. Emmerich war wie eine Halbinsel, eine Exklave der Niederlande.

Die Niederlande waren Ausland. Richtiges Ausland wie Frankreich oder Island, China oder sonst ein Land irgendwo auf der weiten Welt. Man brauchte einen Reisepass, um die Grenzen passieren zu dürfen. Dabei sind wir doch keine Fremden für einander. Unsere Sprachen sind gar nicht so verschieden. Im allgemeinen verstehen wir uns ganz gut. Wir sind doch Nachbarn.

Heute ist Europa zusammen gerückt, die Grenzen sind fließend und eigentlich nur noch auf dem Papier existent. Elten ist längst wieder Deutsch, Emmericher fahren in 'sHeerenberg ein und aus, zum Markt, zum Bummeln, zum Chinesen, zum Einkaufen. Umgekehrt ist es genauso: Hier in Emmerich sieht man fast genauso viele gelbe Kennzeichen an den Fahrzeugen wie einheimische. Und polnische natürlich.

Aber damals, in den fünfziger-sechziger Jahren war alles strikt getrennt und reglementiert.
„Paspoort, a.u.b.!“ bei der Einreise nach Holland. Meistens sogar mit Einreisestempel. Erst dann ging der Schlagbaum hoch und man durfte ins Ausland. Selbst wenn man nur gut einen Kilometer entfernt wohnte. Egal.
„Was zu verzollen?“ bei der Ausreise. Und man musste die Einkaufstasche vorzeigen.
Damals lohnte es sich für uns, kurz eben nach Holland zu radeln und einzukaufen. Es war alles günstiger, vor allem Luxusartikel wie Kaffee und Zigaretten. Aber die Einfuhr war natürlich
strikt begrenzt und zollpflichtig. Jeder hier im Grenzgebiet wusste genau, was er zollfrei alles kaufen und ausführen durfte. Meistens, - oft, - manchmal – hielten sich die Leute daran.....

Meine Mutter fuhr meistens nach Groß-Netterden zum Einkaufen, war halt ganz in der Nähe. Alles per Fiets natürlich, kein Mensch hatte damals ein Auto.
Meine Mutter war der ehrlichste Mensch der Welt, aber wehe.....

Eines Tages stand sie also in dem kleinen Tante-Emma-Laden von Minneke oder Dinneke oder wie auch immer die „Tante Emma“ von damals hieß (ich kann mich nicht mehr genau erinnern) direkt hinter der Grenze und wollte einkaufen. Der Laden war voll wie immer. Die beiden Frauen hinter der Theke rannten, wuselten, packten wie immer.
Mutter wartete geduldig wie immer.
Irgendwann ging ihr auf, dass der Mann vor ihr nicht aufhörte einzukaufen, und sie schaute genauer hin. Die Augen gingen ihr über. Was der alles kaufte! Und wie viel von allem!
Der musste ja Gottweißwas an Zoll bezahlen...? Oder?
Meine Mutter schob sich seitwärts und schaute. Dann ging ihr ein Licht auf.
Und sie kaufte exakt alles das ein, was der Mann vor ihr eingekauft hatte. Inklusive Zigaretten, Kaffee, und reichlich Tabak.

Mit prallen Taschen am Lenker erreichte sie den Grenzübergang und sah noch so eben, wie sich für den Mann aus dem Laden einfach so der Schlagbaum öffnete und er lachend und winkend durch fuhr..
Meine Mutter musste natürlich wie jeder andere zuerst ins Zollgebäude.
„Was zu verzollen? Zeigen Sie mal Ihre Taschen!“
„Nein“, sagte meine Mutter und knallte ihre überquellenden Taschen auf die Theke, „ich hab genau das, was Ihr Kollege da eben auch hatte.“ Und lächelte den Zöllner an.
Ohne ein Wort bekam sie ihren Ausreisestempel und wurde durchgewinkt.

An diese Geschichte erinnerte ich mich, während ich gegen den recht heftigen Wind ankämpfte.
Ich hatte sie als Kind so oft gehört. Und wie oft war ich auf meinem kleinen Erstlingsrädchen mit den Hartgummireifen mitgefahren zum Einkaufen.

Spontan bog ich in den Immenhorstweg ein, dann links ab und im großen Bogen um das ehemalige Munitionsdepot herum, später vorbei an Gülle sprühenden Treckern. Ich wollte zum ehemaligen Grenzübergang von Klein-Netterden. Es musste Jahre her sein, dass ich zuletzt hier war. Kurz vor der Grenze bog mein Weg wieder auf die Netterdensche Straße ein. Jetzt noch ein paar Meter links ab. Und dann stand ich wieder vor der ehemaligen Grenze. Jetzt erinnert nur noch das blaue Europaschild mit den goldenen Sternchen daran. Und: Grenskanaal. Die kleine Lander, die man, wenn man fit ist, vielleicht sogar mit einem Sprung überwinden kann, ist wichtiger Grenzkanal!
Aber heute braucht man nicht mehr auf Schlagbäume, Zoll und Grenzen zu achten. Alles ist eins, durchgängiges Europa. Auch die damals für Schmuggler so wichtige grüne Grenze hat ausgedient. Und auch die Lander ist wieder das, was sie ursprünglich war, ein harmloser, kleiner Bach, der zufällig da fließt, wo Menschen eine Grenze gezogen haben.

Der Reisepass, den ich hier zeige, gehörte meiner Oma. Er ist voll von Stempeln. Zeitzeugen einer Zeit, die noch gar nicht so lange her ist und doch so unvorstellbar für die jüngeren Generationen.

Copyright: Christel Wismans 2014

Autor:

Christel Wismans aus Emmerich am Rhein

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