Potenzmittel im Mittelalter - das Knabenkraut

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Abgebildet ist das Breitblättrige Knabenkraut (Dactylorhiza majalis), auch Breitblättrige Fingerwurz und Kuckucksblume genannt. Diese in Mitteleuropa vorkommende Orchidee ist sehr selten geworden und ist deshalb streng geschützt. In alten Zeiten wurde die Pflanze zur Heilung von verschiedenen Wehwehchen genutzt und auch als Aphrodisiaka verwendet. Auch glaubte man, je nach Einnahme bestimmter Pflanzenteile könne das Geschlecht des Kindes beeinflusst werden. Hauptsächlich wurde das Wurzelwerk der Pflanze, püriert oder getrocknet zu Pulver zermahlen verwendet. Das Wurzelwerk, eine fingergeformte Wurzelknolle, wobei die Knollen dominieren, erinnern stark an einen Hoden und dies war wohl ausschlaggebend für den Aberglauben. Dazu später, auch ein Rezept gegen Impotentia, hier erst mal zur Einstimmung ein Gedicht von Georg Rodolf Weckherlin *, einem deutschen Lyriker der Spätrenaissance.



Gartenbulschaft oder Krautlieb

Ich war in einem schönen Garten,
da der Braunellen ich mußte warten;
alsbald sie kam und sah mich an,
empfanden wir das Herzgespan.
    „Ach, was empfind ich in dem Herzen!“
Sprach sie; ich antwort: „laß uns scherzen!
je läng`r je lieber bist du mir,
ja Tag und Nacht lieb bin ich dir.
Laß uns mit Maß und ohn Maß lieben,
laß uns das Nabelkraut verschieben,
daß so süß, under deinen Schurz.“
„Ja, Knabenkraut und Stängelwurz“,
sprach sie, „mir allzeit wohl zuschlagen:
    Liebstöckel mögen wir auch wagen,
dieweil sie gut für die, die bleich,
so steckt es tief in das Gliedweich.
Gliedkraut mein Glid mit Luft durchdringet,
wan es kein Mutterkraut mir bringet.
Auch lieb und süß ist die Manstreu,
mit Zapfenkraut die Freud wird neu.
    Dan seine Tugend stets passieret.
So bald es kützelnd tief berühret
Die zarte nackend huren Haut,
so wird es gleichsam Seifenkraut.“
    „Es ist genug, laß nun ab zu scherzen,
bis wir einander wider herzen,
vergißmein nicht und bleib doch weis
mein Augentrost, mein Ehrenpreis.“

Erklärung vom Verfasser: ¹
Braunelle - prunella vulgaris, hier auch die Brünette.
Herzgespan - leonurus cardiaca, gemeiner Löwenschwanz.
je läng`r je lieber – lonicera caprifolium, Geißblatt.
Tag und Nacht lieb – hesperis matronalis, Tag- und Nachtviole.
maß lieben – bellis perrenis, Gänseblümchen.
Nabelkraut – orchis mascula, Ragwurz.
Schurz – Schürze, Vortuch.
Knabenkraut - orchis mascula, Ragwurz.
Ständelwurz – orchidea, gymnodenia conopsea.
(Anm. Günter vM: das ist der Händelwurz)
zuschlagen – anschlagen, bekommen.
Liebstöckel – ligusticum levisticum.
(Anm. Günter vM: auch Lus(t)stock genannt)
Glidweich – Gliederfarrn, goniocaula. (Anm. Günter vM: Wasserfarne, blattlose Pflanzen mit gegliederten Stengeln)
Mutterkraut – matricaria chamomilla, echte Kamille.
Manstreu – omphalodes verna. (Anm. Günter vM: Frühlings-Nabelnüsschen auch Gedenkemein; hat nichts mit Männertreu zu tun)
Zapfenkraut – equisetum, Schafthalm. (Anm. Günter vM: Schachtelhalm)
nackend huren – kolchicum autumnale, Herbstzeitlose.
Seifenkraut – saponaria.
(Anm. Günter vM: Nelkengewächs)
Augentrost – euphrasia officinalis. (Anm. Günter vM: Sommerwurzgewächs
Ehrenpreis – veronica.

Das Knabenkraut treibt zur „geulheit“ Geilheit an.²
Das Knabenkraut, dessen wurzel wie Beulen oder Hoden gebildet, wird von den Griechen ὄpxis, daher das lateinische Cynoforchis, das ist Hundesgeulen, covillon de chien, coglion de cane, Testiculus canis, bei dem Dioskorides, sonst auch Satyrion, weil es zur geulheit antreibt, genennet. Bei den Hochdeutschen hat es den nahmen Knabenkraut, weil es die würkung haben sol, die jenige, die es einnimt, mit einem Knäblein zu befruchten.
(Anm. Günter vM Bedeutung Geilheit = Geulheit: 8. bis 12 Jh. = übermütig/überheblich. 12. bis 15. Jh. = kraftvoll/ lustig/ fröhlich/ schön. Ab 15. Jh. = sexuelle Wollust/ Begierde.)
Die euserliche gestalt der wurzel zeigt es an.
Sie ist sonderlich guht zum Kinderzeugen; zuvoraus wan man ein Knäblein begehret. Die euserliche gestalt der wurzel zeigt es an. Dan die Natur hat vielen Kreitern, auch anderen gewächsen ein solches euserliches kenzeichen gegeben. Darbei kann man zur stunde sehen, wozu sie guht seind.


Impotentia virilis
Der Edlen Gesundheit vor 400 Jahren, aufgeschrieben 1703,
Eheliche Werken Verlust ³
Zuweilen begibt es sich, daß einige Männer der tauglichkeit und kräfften ihren Weiberen mit den ehelichen Wercken auffzuwarten, gänzlich, oder zu grossem theil, beraubet werden., welches denn Impotentia, oder Virilitas extincta, genennet wird. Wie nun solches entweder von verlierung des Samens, oder desselben erdickung durch kalte trünck in grosser Hitz, Zorn, Traurigkeit, Kummer, Kleinmütigkeit, zu geschehen pfleget: Also finden die Aertzte keine besseren mittel, denn die den Samen widerum zeugen odergeistlich reich machen können. (...) Hr. Dr. Ettmüller hat folgendes auff eine zeit mit grossem nutzen vorgeschrieben –
dazu nim eingemachte Stendel- oder Knabenkraut-wurzel, eingemachte Manns-trew-wurzel, Pimpernüßlein ohne Schelffen jedes 4 loth, eingemachten Ingwer, Indianische Nuß jedes 2 loth, Raucken oder weissen Senff-samen, Brunnenkressich-samen jedes ein halb loth, weissen Pfeffer, Gewürz-nägelein jedes ein quintl. Alfermes-Latwerg, mit Bisem und Ambren 1 loth, Zimet-syrup und Löffelkraut-syrup jedes so viel nötig – mache eine dünne Latwerk darauß; von deren man morgens/abens und um schlaffens-zeit einer Muscatnuß groß nehmen kann.

Dienst der Venus
Von den Alten wird den Wurzeln dieses Gewächses, die sehr wichtige Eigenschaft, die Kräften zu dem Dienst der Venus zu vermehren, beygemessen. Sie haben sie zu diesem Ende, besonders die Theffalische Weiber auf unterschiedene Art gebraucht. (...) Ob nun alle Species dieses Gewächs, von den Alten ohne Unterschied, zu offt besagtem Dienst, das Liebeswerk zu befördern, gebraucht, oder ob nach einiger Nennung, vorzüglich nur nur diejenige, die einen Bockgeruch hat, hierzu angewendet (...) doch kan man mit Wahrscheinlichkeit muthmassen, daß nur diejenigen Arten, welche eine hodenförmige Wurzel haben, hieher zu rechnen seyen.

So haben etliche kreuter und wurzeln ihr natur mit sich selber, als die Stendelwurz (Knabenkraut), geformieret wie eines mans zeglein, welche auch zu dergleichen glieder nicht unvolkömlich sind zu gebrauchen.

Electuarium impotentium
Diese Gewächß alle haben runde Wurzeln, solcher runden Wurzeln sind allzeit zwo beyeinander, auch etlicher geschlecht drey, an der gestalt erwan zugleicherrund, etlicher art aber langlecher...
Ist auch ein sondere hülff den schwachen unnd unvermöglichen Männern, zu ehelichen Werken, erwärmet sie. Dienet auch in solchen fall den unfruchtbaren erkalten Weibern.
Dieses Confect reizet nicht allein zu fleischlicher begierde, sondern mehret auch den natürlichen Samen, unnd macht den Menschen fruchtbar.

Die wurzel mit wein gesotten unnd getruncken, bringt unkentsche begird. Knabenkaut ist zu dem gegicht das aller best das man haben mag (...) Knabenkrautwurzel ein quintlin, und Haselwurz anderthalb quintlin, milch mit langen Pfeffer ein drittheyl eines quintlin, daa abens wenn du schlaffen wilt gehen, du würst die selbige nacht mechtig sein.

Von Knabenkraut
Wan die menner die grosse wurzel essen, so geben sie ein knäblein. Die Weiber aber empfangen mägdlin so sie die leinen essen. (...) hat viel feüchtigkeyt un gebiert bläst und wind, darumb erweckt sie lust zu den Eelichen werken.

Redewendung 1662
Das Knabenkrau ziehtan,
ist trocken und doch kalt.
Es heylet die Wunden,
stopfft den Bauchfluß mit Gewalt.
Ist auch den Därmen gut,
wan man sich hat verbrant.
Es hilfft, den Brüchen
Macht es auch ein festes Band.

Quellennachweise:
1 Deutsche Dichter des 17ten Jh., Gedichte von Georg Rodolf Weckherlin, herausgegeben von Karl Goedeke und Julius Tittmann, fünfter Band, Leipzig Brockhaus 1873, Seite 316 Nr. 204
2 Des Josefs heilige Stahts-Lieb- und Lebensgeschicht, Filip von Belsen, Nürnberg 1672, Seite 102 und 444
3 Neues Arzney-Buch, Johann Jacob Scheuchzer, Basel Jacob Bertsche 1703, Seite 408
4 Oeconomische Pflanzenhistorie, Balthasar Ehrhart, 4. Band, Ulm/Memmingen 1756, Seite 64 und 68
5 Quinta essentia, Leonhart Turneisser zum Thurn, Leipzig 1579
6 Confect-Buch und Hauß Apoteck, D. Gualterum Ryff, Frankfurt am Main 1610, Seite 39 und 208
7 Kreuterbuch von aller Kreuter, Gethier, Gesteine vnnd Metal, Natur, nutz ..., Laurencius Fries Doctor, Franckfurt am Meyn 1542, Seite 212
8 New Kreüterbuch, Leonhart Fuchs, Basel 1543, Cap. CCX
9 Phythologia Kräuter-Buch, Johannis Joachimi Becheri Med. Doct, Ulm 1662, Seite 279
10 Orchis tephrosanthos Vül., letztes Bild bearbeitet; Urheber Kränzlin, Friedrich; Müller, Walter, https://de.wikipedia.org/wiki/Creative_Commons?uselang=de, https://www.flickr.com/photos/biodivlibrary/6021561127

Autor:

Günter van Meegen aus Bedburg-Hau

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