200 Jahre Heinrich Theodor Fontane - Ballade - Sylvester-Nacht

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Wer kennt nicht die Ballade „Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland...“ (die ich heute noch aufsagen kann), oder den Roman Effi Briest? Weniger bekannt ist, dass Fontane auch als Journalist, auch Kriegsberichterstatter und Theaterkritiker tätig war.
Seine Balladen sind immer mit einem ironischen Humor versehen. Hier ein Beispiel, passend zu Silvester, die Ballade „Sylvester-Nacht“.

Sylvester-Nacht
Das Dorf ist still, still ist die Nacht,
Die Mutter schläft die Tochter wacht,
Sie deckt den Tisch, sie deckt für zwei,
Und sehnt die Mitternacht herbei.

Wem gilt die Unruh? wem die Hast?
Wer ist der mitternächtge Gast?
Ob ihr sie fragt, sie kennt ihn nicht,
Sie weiß nur, was die Sage spricht.

Die spricht: wenn wo ein Mädchen wacht
Um zwölf in der Sylvesternacht,
Und wenn sie deckt den Tisch für zwei,
Gewahrt sie, wer ihr Künftger sei.

Und hätt` ihn nie gesehn die Maid,
Und wär` er hundert Meilen weit,
Er tritt herein und schickt sich an,
Und isst und trinkt und scheidet dann.

Zwölf schlägt die Uhr, sie horcht erschreckt,
Sie wollt` ihr Tisch wär` ungedeckt,
Es überfällt sie Angst und Graun,
Sie will den Bräutigam nicht schaun.

Fort setzt der Zeiger seinen Lauf,
Niemand tritt ein, sie atmet auf,
Sie starrt nicht länger auf die Tür,
Herr Gott da sitzt er neben ihr.

Sein Aug` ist glüh, blass sein Gesicht,
Sie sah ihn all` ihr Lebtag nicht,
Er blitzt sie an, und schenket ein,
Und spricht: „heut Nacht noch bist Du mein“

„Ich bin ein stürmischer Gesell,
Ich wähle rasch und freie schnell,
Ich bin der Bräut`gam, Du die Braut
Und bin der Priester, der uns traut.“

Er fasst sie um, -ein einz`ger Schrei;
Die Mutter hört's, sie kommt herbei;
Zu spät, - verschüttet liegt der Wein,
Tot ist die Tochter und allein.

Und zur Erinnerung an meine Schulzeit:
Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland,
Ein Birnbaum in seinem Garten stand,
Und kam die goldene Herbsteszeit,
Und die Birnen leuchteten weit und breit,
Da stopfte, wenn’s Mittag vom Thurme scholl,
Der von Ribbeck sich beide Taschen voll,
Und kam in Pantinen ein Junge daher,
So rief er: „Junge, wist’ ne Beer?“
Und kam ein Mädel, so rief er: „Lütt Dirn,
Kumm man röwer, ick hebb’ ne Birn.“
So ging es viel Jahre, bis lobesam
Der von Ribbeck auf Ribbeck zu sterben kam.
Er fühlte sein Ende. Es war Herbsteszeit,
Wieder lachten die Birnen weit und breit,
Da sagte von Ribbeck: „Ich scheide nun ab.
Legt mir eine Birne mit in’s Grab.“
Und drei Tage drauf, aus dem Doppeldachhaus
Trugen von Ribbeck sie hinaus,
Alle Bauern und Büdner, mit Feiergesicht
Sangen „Jesus meine Zuversicht“
Und die Kinder klagten, das Herze schwer,
„He is dod nu. Wer giwt uns nu ’ne Beer?“
So klagten die Kinder. Das war nicht recht,
Ach, sie kannten den alten Ribbeck schlecht,
Der neue freilich, der knausert und spart,
Hält Park und Birnbaum strenge verwahrt,
Aber der alte, vorahnend schon
Und voll Mißtraun gegen den eigenen Sohn,
Der wußte genau, was damals er that,
Als um eine Birn’ in’s Grab er bat,
Und im dritten Jahr, aus dem stillen Haus
Ein Birnbaumsprößling sproßt heraus.
Und die Jahre gehen wohl auf und ab,
Längst wölbt sich ein Birnbaum über dem Grab,
Und in der goldenen Herbsteszeit
Leuchtet’s wieder weit und breit.
Und kommt ein Jung’ über’n Kirchhof her,
So flüstert’s im Baume: „wiste ne Beer?“
Und kommt ein Mädel, so flüstert’s: „Lütt Dirn,
Kumm man röwer, ick gew’ Di ’ne Birn.“
So spendet Segen noch immer die Hand
Des von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland.

Autor:

Günter van Meegen aus Bedburg-Hau

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