Die Weihnachtsgeschichte 2014
Die schönsten Geschichten sind und bleiben diejenigen, die das Leben erzählt
Geschichten vom Weihnachtsmann, von der Schneekönigin oder dem Nussknacker hören und lesen wir überall. Ich war auf der Suche nach den Geschichten, die das Leben schreibt - und habe Sigrid Grobe gefunden.
Sigrid Grobe hat ein interessantes Hobby - sie ist leidenschaftliche Märchenerzählerin der Europäischen Märchengesellschaft und verzaubert Jung und Alt mit Märchen aus aller Welt.
Sie liest nicht vor, sondern erzählt frei - von Himmel und Erde, von arm und reich, vom Irrweg und Ziel, aber immer mit Herz und Seele.
Im persönlichen Gespräch erzählte sie mir keine Märchen (zunächst), sondern von wahren Erinnerungen. Erinnerungen, geprägt durch die Nachkriegszeit. Erinnerungen an eines der Weihnachtsfeste in ihrer Kindheit: „In einem Jahr habe ich mein erstes dickes Märchenbuch geschenkt bekommen. Das war wirklich etwas Besonderes.“, erinnert sich Sigrid Grobe.
Das absolute Weihnachtshighlight habe sie aber erlebt, als sie im Jahr 1948 ein CARE-Paket aus den USA erhalten habe. Darin schickte ihr ein amerikanisches Mädchen eine Puppe zu Weihnachten - mit einer Bedingung: Die Puppe musste auch in Deutschland weiterhin den Namen „Patricia“ tragen. Sigrid Grobe erinnert sich noch heute gern an Patricia, die den weiten Weg übers Meer fand und pünktlich zum Weihnachtsfest bei ihr war.
Insgesamt sei das Weihnachtsfest damals etwas ruhiger und besonnener ausgerichtet worden als heute - aber vieles habe sie aus eigener Tradition auch bis heute beibehalten. So wird Heilig Abend immer im Kreise der Familie gefeiert.
Doch eines hat sich geändert: Heute ist sie diejenige, die mit symbolischen Märchen die Vorweihnachtszeit versüßt und ihre Kinder und Enkelkinder sowie viele weitere Menschen bei Familienfesten, auf Seminaren oder auch in Kirchengemeinden und Einrichtungen für Senioren in eine andere Welt oder lang verschollene Erinnerungen entführt.
Mit ihrem diesjährigen Weihnachtsmärchen „Der Sternenbaum“ zog sie auch mich während des Gesprächs in ihren Bann, weshalb Ihnen das Märchen nicht vorenthalten bleiben soll:
Der Sternenbaum
Es war einmal ein alter Mann - der lebte in seinem kleinen Haus am Rande der großen Stadt. Schon immer hatte er hier gewohnt, hatte miterlebt, wie die Stadt allmählich wuchs, wie die Häuser immer höher und die Gärten immer kleiner wurden. Schließlich gab es kaum noch kleine Häuser und die Gärten verschwanden für Parkplätze.
Am Morgen eilten die Leute zur Arbeit, am Abend eilten sie heim. Den ganzen Tag über hatten sie keinen Himmel, keine Sonne, keine Wolken gesehen. Sie waren ja so beschäftigt! Am Abend waren sie müde und hatten für die Sterne keinen Blick.
Der alte Mann erinnert sich an die Adventszeit in seiner Jugend. Damals hatte er mit seinen Geschwistern abends in der Stube gesessen. Seine Mutter hatte Märchen erzählt. Die Kinder hatten Sterne gebastelt, Sterne aus Goldpapier. Die hatten sie ins Fenster gehängt. Sie glitzerten und blinkten, damit das Christkind den Weg zu ihnen finden würde.
Der alte Mann murmelt vor sich hin: „Goldpapier? Irgendwo musste doch noch eine Rolle Goldpapier liegen.“ Und er findet die Rolle. Nun schneidet er Sterne aus - große, kleine Sterne, Sterne mit 5 Zacken, mit 6 Zacken - immer mehr und mehr. Es macht ihm Freude. Ja, die würde er ins Fenster hängen, so wie damals im Advent.
Nachdenklich sieht er zum Fenster hinaus. Wie sind die Straßen und Fenster so hell von den Lichterketten. Wie kann die Reklame so bunt blinken und wie die Scheinwerfer der Autos so hell blenden? Ob bei all dieser Lichterfülle das Christkind seine goldenen Papiersternchen wohl sehen würde? Da gibt es nur eins, er muss dem Christkind entgegen gehen. Er muss ihm mit seinen Sternen den Weg zu den Menschen zeigen. Doch wo könnte er das Christkind finden? Eines Abends dann, macht er sich auf den Weg – mit seinen Sternen. An diesem Abend ist schlechtes Wetter. Der Sturm tobt und zerrt an den blinkenden Lichterketten, die quer über die Straßen gespannt sind.
Doch was ist das? Plötzlich ist es stockdunkel - und so unheimlich still! Das Lied, das gerade noch aus den Lautsprechern dröhnte, ist verstummt.
Der Strom ist ausgefallen. Die Stadt liegt in Dunkelheit und Stille. Diese Dunkelheit und Stille ist den Menschen fremd. Sie eilen in ihre Häuser. Und so bemerkt niemand den Mann, der mit seinen Sternen aus der Stadt hinaus aufs weite Feld geht. Er geht weit hinaus - dorthin, wo sich Himmel und Erde berühren.
Inzwischen hat sich der Sturm gelegt. Nur der Wind zerrt die Wolken hin und her. Dazwischen ist hin und wieder der Mond zu sehen. Das ist ein Bild, wie man es schon lange nicht mehr kennt. Die Kinder schauen neugierig aus den Fenstern: „Seht nur, der Mann im Mond - er ist genau zu erkennen!“
Auch die Erwachsenen schauen zum Himmel und erkennen ganz deutlich den Mann im Mond. Sie erinnern sich wieder an ihre Kinderzeit und an die Geschichten und Lieder der Adventszeit.
Doch was sehen sie da in der Ferne - dieser leuchtende Streifen am Horizont, dieses fremde Licht? Sie sind neugierig, ziehen warme Kleidung an und machen sich mit den Kindern auf den Weg, hinaus aus der Stadt, immer dem Licht entgegen.
Sie gehen über verschneite Wege. Um sie herum ist eine angenehme Stille. Nur die knirschenden Schritte im Schnee sind zu hören. Wie lange sind sie wohl gegangen?
Da sehen sie den Mann, wie er goldene Sterne in einen Baum hängt. Sie flüstern: „Seht nur, wie damals - am Heiligen Abend“.
Dann singt ein Kind - erst ganz zaghaft, dann immer lauter und schließlich stimmen alle mit ein: „Es ist für uns eine Zeit angekommen, die bringt uns eine große Freud ...„
Der alte Mann hört es, und er weiß: Nun ist das Christkind mitten unter uns. Er nimmt die Sterne vom Baum und schenkt sie den Kindern. Die tragen sie heim und hängen sie in die Fenster.
Da ist wieder Licht in der Stadt und es ist Licht in den Herzen der Menschen.
*** ENDE ***
Wer mit der Märchenerzählerin Sigrid Grobe in die Welt der Märchen reisen möchte, der kann sie unter 0 29 38 / 33 24 erreichen.
Autor:Thora Meißner aus Arnsberg |
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