Andreas Bernards Band über Kindheit und Fußball
Kindheit mit Ball

"An die Kindheit denken heißt, an Fußball denken", schreibt der 52-jährige Kulturwissenschaftler und erfolgreiche Sachbuchautor Andreas Bernard in seinem neuen Band, der gleichermaßen eine Liebeserklärung an den Fußball wie ein (leicht nostalgischer) Rückblick auf seine eigene Kindheit in München ist.
Bernard erzählt mit augenzwinkerndem Humor über eine Kindheit in den späten
1970er und frühen 1980er Jahren. Eine Zeit, die im erzählerischen Fokus des Autors unendlich lange zurückzuliegen scheint. Nach der Schule gab es nur eine Beschäftigung: Fußball. Ob zu zweit oder zu dritt oder in der großen Gruppe, das Fußballspielen entwickelte eine Eigendynamik, ließ eine Fantasiewelt entstehen, und der Bolzplatz avancierte zu einer geliebten Zweitheimat. Bei Bernard und seine Mitkicker war es das „Gummi“, ein Platz mit schwarzem Tartanbelag.
Bernard lässt uns wissen, dass er als Kind in einem Trikot des MSV Duisburg kickte, weil ihm die blau-weißen Brustringe („die Zebrastreifen“) gefielen. Der Autor erweist sich als Erinnerungskünstler, berichtet nicht nur detailreich über sein eigenes Fußballer-Dasein (als Jugendlicher kickte er mit dem späteren Nationalspieler Didi Hamann bei Wacker München in einem Team), sondern er konfrontiert uns auch mit Beobachtungen aus der großen Fußballwelt, die er als Kind gemacht und offensichtlich ganz fest „abgespeichert“ hat. Bei der WM in Argentinien waren die Torpfosten unten schwarz angemalt, und der legendäre Torjäger Gerd Müller hat während seiner Karriere mehrere Male sein äußeres Erscheinungsbild geändert.
In Bernards Kopf ist ein Wust an Erinnerungen gespeichert, von der legendären „Kicker“-Stecktabelle über das „Tor des Monats“ bis hin zur Wahl des „Tores des Jahres“, damals Meilensteine für alle Fußball-Enthusiasten. Heute ist alles digital vorhanden, Tore und ganze Spiele sind permanent abrufbar. Das persönliche Erleben des Fußballs hat eine andere Qualität bekommen, die Intensität (so Bernard) des Miterlebens hat im digitalen Zeitalter nachgelassen. In den zurückliegenden Jahren war es eine Art „Feiertag“, wenn Fußballspiele live übertragen wurden. Europa- und Weltmeisterschaften bedeuteten emotionalen Ausnahmezustand.
Bernard lässt uns auch an seiner Hinwendung zur Literatur teilhaben. Bedingt durch Verletzungen hat er die Fußballschuhe gegen opulente Wälzer aus der Weltliteratur eingetauscht und fragt in diesem Kontext: „Würde es Uwe Johnsons „Jahrestage“ geben, wenn in Manhattan Ende der sechziger Jahre Highspeed-WLAN und Websites wie antiqueprintsandmaps.com die mecklenburgische Landschaft vor dem zweiten Weltkrieg hätten aufleben lassen?“
Fan und kritischer Beobachter des Fußballs ist Bernard, der als Professor für Kulturwissenschaften an der Uni Lüneburg lehrt, bis heute geblieben. Im Gespräch mit dem Bayrischen Rundfunk erklärte er: „Es ist wirklich so, dass der Tagesablauf für mich stabiler und fester verankert ist, wenn ich weiß, dass ein Spiel des FC Bayern stattfindet am Samstagnachmittag oder Mittwochabend. Die Motivation, sich an den Schreibtisch zu setzen und irgendetwas zu arbeiten, fällt einem irgendwie leichter, wenn man weiß, dass in ein paar Stunden eine Pause gemacht werden kann, weil man sich dann ein Bayern-Spiel anschauen kann.“
Andreas Bernard erzählt locker und unterhaltsam über seine stark durch den Fußball geprägte Kindheit und Jugend in einem Randbezirk der Münchner Innenstadt. Er lässt seine Erinnerungen sprechen und evoziert so eine Atmosphäre, in der man den Schweiß riechen und die Torschreie hören kann. Höchst subjektiv, aber nie selbstverliebt
Ein federleichtes Handbuch über eine verschwundene Fußballkultur und darüber hinaus ein lebendig erzähltes Stück Zeitgeschichte. Ganz im Geiste des legendären Spruchs von Franz Beckenbauer bei der WM 1990 in Italien: „Geht’s raus und spuit's Fußball!“

Andreas Bernard: Wir gingen raus und spielten Fußball. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2022, 156 Seiten, 20 Euro

Autor:

Peter Mohr aus Wattenscheid

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