Es sind doch nur Haare
Zwischen Anpassung und Selbstbestimmung

Foto: Sabrina Pesch Artwork
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Die ideale Frau hat langes Haar, welches bitte nicht zu sehr gestylt sein sollte. Eher etwas wild. Ja, so mag es scheinbar die Männerwelt. Das habe ich mir an dieser Stelle nicht ausgedacht, dies ist tatsächlich das Ergebnis einer Umfrage.
Nun gut. Aber was ist, wenn eine Frau diesem Ideal gar nicht entsprechen möchte, da es nicht ihrem eigenen Wohlfühlfaktor entspricht?
Nehmen wir ein ganz krasses Beispiel. Frauen mit Glatze.
Diese Frauen stehen oft vor einem gewaltigen Problem. Nämlich unserer Gesellschaft.
Trägt ein Mann eine Glatze, hat das in der Regel Style, wirkt kompetent und wird gar nicht erst hinterfragt.
Bei einer Frau sieht die Sache ganz anders aus.
Der erste Gedanke bzw. die erste Frage ist meistens. „Oh mein Gott, hast du Krebs?“ Ganz ehrlich, würden Sie auf den Gedanken kommen, einen Mann zu fragen, ob er Krebs hat, nur weil er eine Glatze trägt? Vermutlich nicht.
Wenn eine Frau eine Glatze trägt und sich um einen Job bewirbt, wird diese Frisur mit Sicherheit Einfluss auf das Ergebnis einer Bewerbung haben.
Glauben Sie nicht? Nun, ich habe es selbst erlebt. Seit etwa 10 Jahren rasiere ich mir in unregelmäßigen Abständen den Kopf. Ich liebe meine Glatze. Aber andere oftmals nicht.

Ja, ich wurde schon häufig von Eltern anderer Kinder in der Schule gefragt, ob ich ernsthaft krank sei. Damals, bei meiner Jobsuche war meine Frisur auch nicht unbedingt förderlich. Aber auch innerhalb der Familie oder im Freundeskreis wurde meine Entscheidung teilweise mit Ablehnung gestraft.
„Deine schönen Locken, damit hast du so süß ausgesehen!“ Natürlich möchte jede Frau über 30 einfach nur süß sein.
„Wie schade, mit Haaren warst du so hübsch!“ Ja, und zack ist Frau hässlich, weil sie keine Haare mehr hat.
„Das kannst du doch nicht machen, dann denkt doch jeder, du hättest Krebs!“
Man fragte mich sogar, ob ich einen Nervenzusammenbruch gehabt hätte.
Das, meine Damen und Herren sind noch harmlose Sprüche, die man sich als Frau ab und an anhören darf, sobald man aufhört, Haare zu tragen. Die zahllosen KZ Vergleiche von der älteren Generation möchte ich Ihnen an dieser Stelle ersparen.
Es ist erschreckend. Wir schimpfen uns als so fortschrittlich, tolerant und sind natürlich total offen für selbstbestimmtes Handeln. Aber wenn jemand seine eigene Individualität ausleben möchte, ist das falsch. Individuell sein bedeutet meist, sich aber bitte Rahmen der Norm der anderen zu bewegen. Verstehen wir das wirklich unter Selbstbestimmung?
Akzeptanz scheint dennoch bei vielen nach wie vor ein Fremdwort. Das stimmt mich schon ein wenig traurig, denn wir verpassen damit einmalige Chancen, ganz wunderbare Menschen kennenzulernen, weil wir diese aufgrund von Äußerlichkeiten schon vorverurteilen. Ich möchte noch mal anmerken: In meinem Fall geht es wirklich nur um Haare!

In den letzten 10 Jahren habe ich mir die Haare immer mal wieder rasiert.
Aber wie kam es eigentlich dazu? Das will ich euch gern erzählen. 2012 hatte ich eine krasse „Jede Woche eine andere Haarfarbe“ Phase. Meine Haare fanden die Aktion aber nicht ganz so spaßig wie ich. Am Ende schmückte mein Haupt eine wunderbare Filzdecke. Und da dachte ich mir: „Was solls, jetzt ist eh alles scheißegal!“ Und so ließ ich mir von meinem Mann den Kopf rasieren. Und was passierte? Ich verliebte mich in mein neues ich.

Und immer wieder ließ ich mir die Haare nach einigen Monaten wieder wachsen (ja, es war eine richtige On/Off Beziehung), weil mir manche Menschen doch auf die Nerven gegangen sind. Und wie diese Menschen kaum, dass meine Haare wieder länger waren, von meinen Haaren geschwärmt haben. Man gab mir immer wieder das Gefühl, nur angepasst gut genug zu sein.
Wollte ich das? Auf meine langen, dicken Locken reduziert werden? Bei Weitem nicht. Also kamen die Haare wieder weg. Ohne Haare fühle ich mich frei. Und das ist für mich die Hauptsache.

Probleme bei der Jobsuche habe ich nicht mehr, da ich inzwischen als selbstständige Fotografin unterwegs bin. Ich fotografiere einzelne Menschen, Familien, Paare, schlicht: Individuen jeglicher Art. Und ich liebe es. Durch meine Arbeit habe ich noch mehr gelernt, wie einzigartig jeder Mensch ist, ganz egal, wie er aussieht oder welche Frisur er trägt.

Heute trage ich meine Glatze mit Stolz (und im Winter mit Mütze). Und natürlich spüre ich die ein oder anderen Blicke, wenn ich in Hilden durch die Mittelstraße gehe. Und ganz ehrlich? Das ist okay.
Eins ist sicher, auch ohne Haare bin ich weiblich, sexy und attraktiv.
Und wie sagt man doch so schön: Ein schönes Gesicht braucht Platz ;-)

Autor:

Sabrina Pesch aus Hilden

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