Integration ist im Kinderpark Herdecke keine Einbahnstraße
„Kelly kann schon Johanna sagen!“. Claudia Warneckes Tochter hält ihre Mutter über die Lernfortschritte ihrer neuen Spielkameraden auf dem Laufenden. Kelly und sein Zwillingsbruder Kelvin flüchteten mit ihrer Mutter aus Nigeria. Wer sie beim Herumtoben mit den anderen Jungen und Mädchen der Kindertagesstätte in Kirchende beobachtet, käme nicht im Traum darauf.
Integration ist ein Kinderspiel, könnte man meinen. Anfang August standen die beiden noch etwas schüchtern an der Schwelle zur Kindertagesstätte im Schatten der evangelischen Dorfkirche. Barbara Degenhardt-Schumacher vom Verein zur Förderung christlicher Sozialarbeit hatte sie hierher vermittelt.
Wenige Wochen später mag man nicht glauben, mit welch atemberaubender Geschwindigkeit sie sich in die Gruppe integriert und ganz nebenbei ein ausgezeichnetes Deutsch gelernt haben. Der strukturierte Alltag in der Kita mit festen Essenszeiten und sich wiederholenden kleinen Ritualen scheint bei der Eingewöhnung sehr hilfreich gewesen zu sein.
„Es ist schon fast beängstigend, wie fleißig und konsequent sie lernen“, findet Erzieherin Helga Wilms. „Am meisten hat uns erstaunt, dass sie auch miteinander ausschließlich deutsch sprechen.“ Das freut nicht zuletzt die Mutter, die beim Spracherwerb von ihren Energiebündeln locker überholt wurde. Wenn sie mal gerade nichts erzählen, punkten Kelly und Kelvin mit ihrer ausgesprochen ansteckenden Lache.
"Kinder sind Pragmatiker!"
Natürlich geraten die 16 Mädchen und Jungen ab und an in Streit, alles andere wäre merkwürdig. Ein Akzeptanzproblem hat aber niemand beobachtet. „Kinder sind Pragmatiker“, weiß Helga Wilms‘ Kollegin Lydia Kuschel. „Über die Hautfarbe haben sie nicht gesprochen. Sie ist eben, wie sie ist.“
Claudia Warnecke empfindet das quirlige, sehr bewegungsfreudige Duo als Bereicherung. „Dass sie angekommen sind, tut ihnen sicher gut. Das gilt aber auch für unsere Kinder.“ Integration ist offensichtlich keine Einbahnstraße.
Über ihren Lebensweg bis zum Einzug in die Unterkunft im ehemaligen Jugendzentrum ist wenig bekannt. Ihre Mutter spricht (noch) nicht über die Flucht oder die Gründe, die sie Nigeria ohne Ehemann verlassen ließ. Kelvin und Kelly wirken tagein tagaus wie zwei ganz und gar fröhliche, aufgeweckte Jungs, die am liebsten klettern oder Häuser und Türme aus Lego-Steinen bauen. Ob sie damit Erlebnisse verarbeiten, lässt sich nur vermuten. „Es sind halt Jungs“, sagt Helga Wilms und die greifen erfahrungsgemäß eher selten zu Buntstift und Zeichenblock. Lydia Kuschel aber hat einen dieser raren Momente erlebt. Was auf dem Papier zu sehen war, deutete sie als explodierende Bomben. Und in dieser Situation fiel ein einziges Wort auf Englisch, der Muttersprache der beiden. „Home“.
Welche Perspektive die kleine Familie hat, ist ungewiss. Im Kinderpark möchte man die Charmebolzen so gut wie möglich auf die Schule vorbereiten. Die Erziehungsberatungsstelle hegt keinen Zweifel, dass sich Kelvin und Kelly auch dort gut zurechtfinden werden. Eltern sammeln Kleidung, was nicht ganz einfach ist, schließlich muss alles doppelt vorhanden sein. Und aus den Augen verlieren will man sich auf keinen Fall. Solange sich ein Teil des weiteren Lebenswegs in Ende abspielt, wo die Zwillinge schon ein bisschen heimisch wurden und vielleicht eine neue Heimat finden, dürfte das das geringste Problem darstellen.
Autor:Henrik Stan aus Hagen |
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