Kulinarischer Spaziergang

Walter Methler
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Es geht um viel mehr als nur Rezepte: Wenn man mit Walter Methler auf den Spuren der Kochbuchautorin Henriette Davidis wandelt, entfaltet sich das spannende Panorama eines Frauenlebens im 19. Jahrhundert.
„Sie ist die Schöpferin der deutschen Küche und hat natürlich das Hohelied der Hausfrau, Mutter und Gattin gesungen“, so Methler. Aber da war noch viel mehr. Und von diesem „Mehr“ berichtet er während unseres kleinen Spaziergangs, den wir am Henriette Davidis Museum starten.
1984 eröffnete Methler eine erste kleine Ausstellung im Pfarrheim Oberwengern, seit 2004 ist die Sammlung, um zahlreiche Exponate reicher, im Museum am Elbscheweg untergebracht. Die Beschäftigung mit der berühmten Kochbuchautorin reicht jedoch bis in seine Kindheit zurück: „Als gebürtiger Wengeraner bin ich mit dem Thema natürlich schon im Heimatkundeunterricht in Berührung gekommen.“
Berühmt wurde Davidis mit ihrem erstmals 1844 erschienenen „Praktischen Kochbuch für die gewöhnliche und gute Küche“, das bei seiner 21. Auflage mit 40.000 Stück erschien. Das Kochbuch war mehr als eine gewöhnliche Rezeptsammlung, vielmehr verstand es die Wengeranerin als Anleitung für die gesamte Haushaltsführung.
„Mit dem Beginn der Industrialisierung verloren viele Frauen, die früher noch zum Teil bei den Handwerksberufen ihrer Männer mitgearbeitet hatten, ihre berufliche Perspektive und mussten sich nunmehr gänzlich auf den Haushalt konzentrieren“, erklärt Methler.
So gesehen das richtige Buch zur richtigen Zeit, eine Art „professionelle Richtschnur“ für das Leben der Hausfrau Mitte des 19. Jahrhunderts. Nebenbei ist Davidis auch die Erfinderin des Kinderkochbuches („Puppenköchin Anna“).
Allerdings sieht Methler Davidis zu sehr als reine Kochbuchautorin porträtiert: „Sie formuliert in ihrem Buch Beruf der Jungfrau, dass jedes Mädchen eine gute Schulbildung brauche und einen Beruf erlernen solle, um so unabhängiger von ihrem Mann zu werden. Damit war sie schon nahe bei den Forderungen der frühen Frauenbewegung.“
Ein weiteres Beispiel: „Nehmen wir ihre Werbeschrift für den Liebig-Fleischextrakt. Das Postulat der Biedermeier-Zeit war ja, dass die Frauen im Haushalt alles selber machen sollten. Dann kam Davidis und erzählte ihnen: Nehmt diesen fertigen Extrakt, dann habt ihr mehr Zeit für wichtigere Dinge.“
Und als Pfarrerstochter lag ihr zudem das Eintreten für Toleranz am Herzen: „In Zeiten eines erstarkenden Antisemitismus hat sie sich in ihren Schriften ausdrücklich für Toleranz, gerade auch gegenüber den Israeliten eingesetzt.“
Ein weiteres Anliegen der Davidis: „Sie wetterte stark gegen jede Art von Verleumdung“, so Methler. Wir stehen jetzt vor der Dorfkirche. Methler schmunzelt und erinnert an eine haarsträubende Geschichte: „Henriettes Vater, Pfarrer Ernst Heinrich Davidis, wurde vorgeworfen, er habe einen Mord begangen und wurde daraufhin seines Amtes enthoben.“
Eine Verleumdung, die dennoch vor dem Hagener Landgericht verhandelt wurde. Zwar sind die Prozess-Akten verloren gegangen, aber sicher ist, dass es zu keiner Verurteilung kam, denn Davidis erhielt seine Pfarrstelle zurück.
Unser Weg führt am Henriette-Davidis Platz und am gleichnamigen Hotel-Restaurant vorbei zum Geburtshaus der Autorin. „Das Haus wurde 1614 von Johannes Fabricius erbaut und diente als Pfarrheim. Erstaunlicherweise war es in Wengern lange Zeit unbekannt, dass hier ihr Geburtshaus steht.“
Also, was tun? „Ich habe dann mit dem Heimatverein gesprochen, der dann im Jahr 1990 eine Gedenktafel finanziert und hier am Haus angebracht hat.“
An der nahe gelegenen Eisenbahnbrücke sind Teile eines steinernen Herdes, der aus dem Pfarrhaus stammt, mit einer Gedenktafel eingemauert. „1934 gab es Überlegungen, die Herd-Teile in die Gartenmauer des Geburtshauses einzubauen. Daraus wurde aber nichts, weil die 8.500 Mark Baukosten dem Rat damals zu teuer waren.“
Apropos Finanzen: Am großen Erfolg ihres „Praktischen Kochbuchs“ war sie finanziell nicht beteiligt. Sie hatte ihr Buch dem Verlag für ein Honorar von 450 Talern als Eigentum überlassen und erhielt auch für spätere Überarbeitungen nur ein geringes Entgelt.
1867 kam es zum Streit mit dem Verleger: „Miete, Steuer, sparsamen Lebensunterhalt, Kleidung und andere Ausgaben; niemals konnte ich davon erübrigen, während Sie, meine Herren, die reifen Früchte meiner Mühen genießen.“ Nur aus völliger Unkenntnis, so bekannte Henriette Davidis rückblickend ihrem Verleger, „konnte ich solch einen Vertrag mit Ihnen schließen.“
Methler lacht: „Vielleicht hat sie deshalb Wert darauf gelegt, dass Frauen einen Beruf erlernen, nach dem Motto Ihr werdet sonst in der rauen Männerwelt über den Tisch gezogen.“
Henriette Davidis starb am 3. April 1876 in Dortmund. Ihr Grab befindet sich auf dem Dortmunder Ostenfriedhof.
Unser kleiner Rundgang endet wieder am Museum, wo Walter Methler nicht nur mit zahlreichen Exponaten vom Toaster bis zum Nusshammer über Werk und Leben von Henriette Davidis informiert, sondern auch mit interessanten Sonderausstellungen Museumsfreunde aus Nah und Fern nach Wengern lockt.
Das Museum hat sonntags von 15 bis 17 Uhr geöffnet oder für Gruppen nach Vereinbarung unter Tel. 02335-61116.

Autor:

Jens Holsteg aus Herdecke

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