Ein Stück Stadtgeschichte - Teil 2

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„Hier liegt ein Buch Herdecker Familiengeschichte offen vor dem Betrachter, er muss es nur zu lesen wissen.“ Beim Rundgang mit René Harder, Archivar der ev. Gemeinde Herdecke, über den südlichen Teil des Friedhofs an der Zeppelinstraße werden einige dieser Kapitel geöffnet.
Dort, wo der Friedhof 1821 eingeweiht wurde, war damals nichts außer Feldern
und Obstgärten.
Ein solches Obstfeld wurde 1845 von der Stadt aufgekauft, um es als weitere Grabfläche auszuweisen. „Die Stadt legte eine Liste aus, auf der man sich ein
bestimmtes Grabfeld sichern konnte. Da haben sich einige wohlhabende Herdecker Familien eingetragen. Davon existiert im Stadtarchiv noch eine Akte mit einer schönen Tuschezeichnung.“ Und damit sind wir auch schon mittendrin in der angekündigten Familiengeschichte. Die Grabstätte der Habigs, die bis Ende der 60-er Jahre ein europaweit bedeutendes Textilunternehmen auf dem späteren Westfalia-Gelände führten, gehört zu den ältesten Flächen auf dem südlichsten Teil des Friedhofs. Der Rundgang führt weiter vorbei an bekannten und unbekannten Namen, Apothekern,Drogeristen, Inhabern eines Bekleidungsgeschäftes, aber immer spiegeln sie die
historischen Schicksale der Menschen („Geboren im Osten,
vermisst im Osten“). Wir bleiben vor der Grabstätte der Familie Grave stehen. „Lokalhistorisch von absoluter Bedeutung. Die Familie hat im 18. und 19. Jahrhundert einige Presbyter gestellt.“ Das ist es allerdings nicht unbedingt, was den Namen so bekannt macht: Hier wurde Ferdinand Gravebestattet, der bis in die 1920er Jahre in der Stadtbrauerei sein Bier braute. „Doch dann erlag er der übermächtigen Dortmunder Konkurrenz“, wie es in der Chronik „250
Jahre Stadt Herdecke“ heißt. 1909 arbeiteten 14 Männer in der Stadtbrauerei, 12.000 Hektoliter wurden hier jährlich produziert.
Vom Bier zum Schnapssind es nur einige Meter weiter: „Hier liegt Eduard
Steinbrinck, der Gründer der Schnapsbrennerei auf dem Stiftsgelände.“ Noch einmal zurück zu den Graves: „Sehen Sie hier, der Grabstein von Wilhelm Mellinghaus, Bürgermeister von 1877-1898. Die waren mit den Graves
verwandt.“
Harder steuert nun auf „die dunklen Kapitel der Stadtgeschichte“ zu. Wir stehen vor dem Grabmal der Kaufmannsfamilie Böllhoff. „Deren Wohn- und Geschäftshaus an der Wetterstraße 12 wurde am 13. April 1945 durch einen
Tieffliegerangriff zerstört.“ Maria, die Ehefrau des Firmeninhabers,
starb bei diesem Angriff.
Den Opfern der Zwangsarbeit bei Herdecker Firmen, die während der Nazi-Diktatur unter unmenschlichen Bedingungen
arbeiten mussten und zu Tode kamen, wird seit 1989, dem 250-jährigen Stadtjubiläum, mit einer Gedenktafel gedacht. In unmittelbarer Nachbarschaft befindet sich das jüdische Gräberfeld. „Der alte jüdische Friedhof an der Bahnhofstraße wurde 1938 brutal zerstört. Es ist ein Wunder, dass diese Stelle
hier, 1890/91 eingerichtet, das Dritte Reich überstanden
hat“, so Harder. „Umso wichtiger ist es, dieses Feld zu erhalten.“ Harder verweist auf die Grabsteine. „Die Inschriften sind teils in deutsch, teils in hebräisch. Und sehen Sie hier: Diese segnenden Hände zeigen, dass der Verstorbene aus einer Priesterfamilie kam.“ Auch wenn bei unserem Rundgang viel Geschichte zum Vorschein kommt, einiges ist bereits unwiederbringlich
verloren. „Leider sind viele alte Grabsteine abgeräumt und zerstört worden, die aus historischen Gründen besser bewahrt worden wären.“ Dennoch sind genügend historische Kapitel übrig, in denen es sich zu lesen lohnt...

Autor:

Jens Holsteg aus Herdecke

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