"Das habe ich im Knast recherchiert"
Wenn man mit Wolfram Mellinghaus durch die Innenstadt spaziert, wird Geschichte wieder lebendig.
Die Historie fasziniert den gebürtigen Herdecker Wolfram Mellinghaus, der über 25 Jahre als Rechtsanwalt und Notar in der Ruhrstadt gearbeitet hat, seit seiner Jugendzeit: „Als Student habe ich damit angefangen, unsere Familiengeschichte zu erforschen. Die beginnt 1380 in Hörde, macht am Westenhellweg Station und nach dem 30-jährigen Krieg wanderte die Familie dann nach Herdecke aus“.
Seitdem hat ihn die Beschäftigung mit der Geschichte nicht mehr losgelassen, tritt er immer wieder als Autor zur Heimatgeschichte in Erscheinung.
Startpunkt unseres kleinen Spazierganges ist die Stiftskirche, was Mellinghaus gleich zum Anlass nimmt, mit einer hartnäckigen Legende aufzuräumen, nach der das Stift bereits um 810/819 gegründet worden sein soll: „Eine sichere Datierung, namentlich im 9. Jahrhundert, lassen die bekannten Befunde nicht zu. Vermutlich wurde die Kirche im 11. Jahrhundert errichtet“. Vor zwölf Jahren initiierte Mellinghaus mit zehn Hinweistafeln und einer begleitenden Broschüre den „Historischen Herdecker Altstadtbummel“.
Die Idee kam Mellinghaus im fernen Amerika: „In Boston gibt es den Freedom Trail (Freiheitspfad), der als Route historische Sehenswürdigkeiten verknüp-ft. Damals diente ein schmuckloser Handzettel des örtlichen Touristenbüros als Info. Ich war mir sicher: Das kann man besser machen“.
Gesagt, getan: Der Lions Club finanzierte anlässlich seines 25-jährigen Jubiläums 1997 den „Stapellauf“ mit zehn Hinweistafeln und der Startauflage der begleitenden Broschüre.
Mittlerweile leiten 27 Tafeln interessierte Besucher durch die örtliche Historie. Und ein Ende ist kaum abzusehen: „Ich dachte, wir setzen das um, und dann ist es das. Aber Geschichte findet einfach kein Ende“, schmunzelt Mellinghaus.
Ein neues Schild ist bereits in Planung, das auf die ehemalige St. Annen-Kapelle auf dem Areal zwischen der Stiftskirche und dem Bürgerbüro hinweisen soll.
Wir „bummeln“ nun von der Stiftskirche zum Bachviertel.Siedlungsplätze am Wasser gehörten früher, ganz anders als heute, nicht zu den beliebtesten Lagen. Hier ließen sich vor allem Gewerbe wie die Lohgerbereien nieder.
An der Talstraße angekommen, hält Mellinghaus inne: „Im Urkataster von 1824 ist für den Bereich des Bachviertels keine Brücke eingezeichnet. Hier, an der niedrigsten Stelle der Altstadt, überflutete der kleine Bach früher regelmäßig dieses Viertel“.
Mellinghaus fügt noch eine Episode hinzu: „Die preußische Regierung verfügte um 1820, den Stiftsfriedhof aufzulösen und den Friedhof an die heutige Zeppelinstraße zu verlagern. Die Herdecker sträubten sich gegen diese Entscheidung, weil man bei Hochwasser keine Toten über den Bach zum Friedhof bringen könne. Ein weiteres Indiz dafür, dass es damals hier keine Brücke gab“.
Gut zwei Jahre hat Mellinghaus für die Altstadt-Broschüre und sein kurz darauf erschienenes Buch „Herdecke um 1800“ recherchiert. „Natürlich nicht jeden Tag, sonst hätte ich Krach mit meiner Frau bekommen“. Die Quellensuche führte ihn dabei vom Stadtarchiv Herdecke über das Staatsarchiv in Münster bis ins ehemalige Geheime Preußische Staatsarchiv (in der DDR Zentrales Staatsarchiv), das damals noch in Merseburg (heute Bundesarchiv Koblenz) untergebracht war. „Das war schon Wahnsinn - 20 Kilometer laufende Akten!“
Ganz beiläufig erwähnt er dann noch: „Das Buch habe ich übrigens im Knast recherchiert“. Wie bitte? „Das Grundbuchamt in Wetter ist dem Gebäude des Amtsgerichtes angegliedert - die Arrestanstalt und das Archiv sind durch eine Verbindungstür verbunden. In der Zelle habe ich die dicken Folianten gewälzt“, schmunzelt Mellinghaus.
„Ich hatte da alles, was ich brauchte. Nur der Feinstaub hat mir zu schaffen gemacht. Die Staubentwicklung bei 200 Jahre alten Aktenbeständen ist schon erstaunlich“. Unser weiterer Weg führt uns am Frederunabrunnen vorbei durch die Fußgängerzone über die Hauptstraße am Sackträgerbrunnen vorbei zum wunderschönen Fachwerkensemble an der Kampstraße, wo vor allem Handwerker und Kleinbürger zuhause waren.
Der Stadt-Spaziergang mit Wolfram Mellinghaus endet an der Katholischen Kirche St. Philippus und Jakobus: „Die katholische Kirche steht völlig zu Unrecht im Schatten der Stiftskirche. Architekt der Kirche ist ein gewisser Friedrich von Schmidt, der später Dombaumeister von St. Stephan in Wien war und den Architektenwettbewerb für das Wiener Rathaus gewann“.
Falls Sie Geschmack bekommen haben und einmal selbst durch die Historie bummeln wollen: Die Broschüre für den ein- bis zweistündigen Rundgang ist im Bürgerbüro erhältlich. Wolfram Mellinghaus geht übrigens auch weiterhin auf historische Entdeckungsreise: „In Herdecke gibt es noch so viele Geschichten zu erzählen...“
Autor:Jens Holsteg aus Herdecke |
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