Wir wollen für Arme und alle Kinder da sein
Wer arbeitslos wird und später Hartz IV bekommt, zählt zum Kreis derjenigen, die die Hattinger Tafel aufsuchen können, um dort Lebensmitteltüten zu bekommen, die das Leben wenigstens etwas erleichtern sollen. Doch was genau passiert da eigentlich? Der STADTSPIEGEL sprach mit dem Geschäftsführer Jürgen Sotzek und der Vorsitzenden Anja Werning.
Immer einmal wieder gibt es auch Kritik an den Tafeln und ihrer Vergabepraxis. Von Mißbrauch ist die Rede und von Menschen, die die Tafelspende eigentlich nicht brauchen. Der Vorstand stellt sich diesen Fragen
STADTSPIEGEL: Wie bekommen Bedürftige die Möglichkeit der Teilnahme an der Lebensmittel-Ausgabe der Hattinger Tafel?
Jürgen Sotzek: „Sie brauchen in jedem Fall eine Harzt IV-Bescheinigung und kommen damit zu uns in die Nordstraße. Dann erhalten sie einen Ausweis für die Hattinger Tafel, der sie berechtigt, nur dort zweimal in der Woche Lebensmittel abzuholen. Eine Überwachung findet durch die Vorlage der Karte zusammen mit dem Personalausweis bei der Lebensmittelausgabe statt.“
Und was passiert, wenn man öfter als zweimal pro Woche kommt?
Anja Werning: „ Dann werden die Menschen weggeschickt. Große Tafeln verfügen über einen Nummernkreislauf und jeweils eine bestimmte Anzahl von Nummern ist an einem bestimmten Wochentag an der Reihe. Bei uns kann man sogar zweimal kommen, aber dann ist auch Schluß. Damit ist sehr gut auszukommen. Auch unsere Ausweise sind übrigens numeriert.“
Zur täglichen Ausgabe um 11 Uhr stellen sich die Menschen dann in eine Warteschlange?
Jürgen Sotzek: „Korrekt. Wir verteilen dann Ausgabenummern an die Menschen. Es sind pro Tag etwa 50 Nummern die vergeben werden und wir achten darauf, dass jeder mal eine kleine Nummer hat und sofort drankommt oder eben eine hohe Nummer und etwas warten muß.“
Versuchen die Menschen auch, die Nummern zu tauschen?
Jürgen Sotzek: „Ja, das gibt es natürlich. Man kann das nicht immer verhindern, aber wenn wir es sehen, unterbinden wir es. Es bringt auch nichts, denn Lebensmittel sind für alle da, auch für die, die erst später an der Reihe sind.
Bekommen die Menschen, die zum Schluß dran sind, denn auch genügend Lebensmittel? Suchen sie sich die Sachen selbst aus?
Anja Werning: „Ja, sie suchen sich die Lebensmittel selber aus. Früher haben die Tafelmitarbeiter die Tüten gepackt, doch mittlerweile machen wir das nicht mehr. Es gibt einmal den Grundbedarf und zum anderen die Kühltheke. Die Menschen suchen sich aus, was sie haben wollen. Es ist genug für alle da, nur kann es natürlich sein, dass nicht für jeden die gleichen Lebensmittel da sind. Von manchen Dingen haben wir eben nicht genug.“
Sind die Produkte denn in der Regel verwertbar und gut?
Anja Werning: „Ja, das ist so. Natürlich gibt es auch mal Probleme, aber in der Regel sind die angelieferten Waren in Ordnung. Wir haben uns aber auch schon einmal von einem Geschäft getrennt, weil wir dort nur schlechte Qualität bekommen haben, die wir ja auch, wie die Lebensmittelmärkte, entsprechend entsorgen müssen.“
Was passiert denn mit dem Lebensmitteln, die an diesem Tag nicht ausgegeben werden, beispielsweise, weil es zu viele sind und nicht so viele Menschen gekommen sind?
Jürgen Sotzek: „Das ist unterschiedlich. Wenn sie einlagerbar sind, geschieht dies und sie werden am nächsten Tag abgegeben. Wenn das nicht der Fall ist, werden wir sie natürlich unter den ehrenamtlichen Mitarbeitern verteilen, besvor wir sie wegwerfen müssen. Im übrigen sind viele der ehrenamtlichen Helfer der Tafel selbst Hartz IV-Empfänger und werden genauso behandelt wie die anderen Bedürftigen. Das heißt, auch die Mitarbeiter der Tafel dürfen sich zweimal in der Woche an den Lebensmitteln bedienen.“
Haben Sie denn auch schon Mißbrauch erlebt?
Jürgen Sotzek: „Ja, natürlich. Man kann einfach nicht alles verhindern. Wir haben auch schon Mitarbeiter entlassen und sogar Anzeige gestellt. Wer sich erwischen läßt, muss mit harten Konsequenzen rechnen. Denn wir leben von Spenden und Sponsoren und müssen sehr genau mit dem Geld umgehen.“
Wie sind denn die Erfahrungen mit der Kindertafel in der Emsche?
Jürgen Sotzek: „Ich möchte eigentlich den Begriff Kindertafel nicht mehr verwenden. Von Anfang an wollten wir ein Tafelrunden-Projekt für Kinder machen, unabhängig von der Frage, ob sie bedürftig sind oder nicht. Denn es gibt viele Kinder, die zwar nicht bedürftig sind, aber trotzdem keine warme Mahlzeit bekommen, weil niemand zu Hause ist, wenn sie mittags aus der Schule kommen oder sich niemand um sie kümmert. Für diese Kinder wollten wir von Anfang an eine Anlaufstelle sein und ihnen die Möglichkeit der warmen, frisch gekochten Mahlzeit bieten. Außerdem haben sie die Möglichkeit, nach dem Essen in den Räumlichkeiten die Hausaufgaben zu erledigen und zu spielen. Trotzdem hat sich in der Bevölkerung die These durchgesetzt, die Kindertafel sei nur für bedürftige oder arme Kinder da. Das ist definitiv nicht richtig und ich möchte jedes Kind ermutigen, bei uns vorbei zu schauen. Auch an die Eltern richte ich das Angebot: wenn beispielsweise die Grundschule beendet ist und ihr zehnjähriges Kind die weiterführende Schule besuchen wird, haben wir hier die Möglichkeit der warmen Mahlzeit und Betreuung, denn in der Regel haben die Kinder zu Beginn noch keinen Ganztagsunterricht.“
Welche Pläne haben Sie für das neue Jahr 2011?
Jürgen Sotzek: „Zunächst mal haben wir jetzt ja einen Förderverein, mit dessen Hilfe wird verstärkt Öffentlichkeitsarbeit betreiben wollen. Unser Ziel ist es, den Begriff Kindertafel durch einen anderen zu ersetzen, um das Ziel einer Tafelrunde für alle Kinder, deutlicher zu machen. Und dann wollen wir verstärkt mit Institutionen zusammenarbeiten, die etwas zum Thema Kinderarmut beisteuern können. Dazu zählen die Bündnispartner für Familie, in erster Linie auch der Kinderschutzbund. Dann werden wir die bestehende Arbeit weiter verbessern. So werden wir ab sofort auch unserer Tafelfahrer mit Ausweisen ausstatten, um Mißbrauch zu verhindern. Wir haben nämlich Hinweise bekommen, dass in unserem Namen Fahrer auftauchen, um Lebensmittel aus Bäckereien zu holen, die gar nicht in unserem Auftrag unterwegs sind. Dann hoffen wir auf weitere Sponsoren und natürlich darauf, dass uns die anderen Sponsoren die Treue halten.“
Autor:Dr. Anja Pielorz aus Hattingen |
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