Wir sind Hattinger: Otto Wohlgemuth (1884-1965)

Otto Wohlgemuth im Bügeleisenhaus. Foto: Heimatverein
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Otto Wohlgemuth wurde am 30. März 1884 als sechstes von 13 Kindern in einem Fachwerkhaus in Hattingen, Klein-Langenberg Nr. 4, geboren. Sein Geburtshaus steht heute nicht mehr – es wurde im Zuge der Altstadtsanierung 1969 abgerissen.
Wohlgemuth wuchs zunächst lutherisch auf, trat dann aber zum katholischen Glauben über.

Seine Lebens- und Wohnverhältnisse waren ärmlich. In der Mietwohnung, die aus drei Zimmern bestand, lebten teilweise bis zu elf Personen. Sein Vater war Bergmann, doch das Geld reichte kaum zum Überleben. Außerhalb der Stadt besaß die Familie einen Gemüse- und Kartoffelgarten, dessen Erträge zum Lebensunterhalt beitragen mussten. Ottos Mutter starb bereits mit 46 Jahren nach der Geburt des 13. Kindes, sein Vater, dessen Arbeitstag bereits um 4 Uhr morgens begann, starb drei Jahre nach dem Tod der Mutter im Alter von 53 Jahren an Lungenentzündung. Die Arbeit als Bergmann hatte ihn körperlich und seelisch ausgelaugt.
Otto Wohlgemuth selbst begann nach der Volksschule zunächst eine Ausbildung als Former in einer Gießerei, brach diese jedoch ab, um mit 16 Jahren ebenfalls in den Bergbau zu gehen. Es ist davon auszugehen, dass er dies tat, weil er dort mehr Geld verdienen und die Familie unterstützen konnte. 1903 zog Otto nach Bochum und arbeitete auf der Großschachtanlage „Engelsburg“. Zu diesem Zeitpunkt heiratete er die Fabrikarbeiterin Anna Nöllecke, die ein uneheliches Kind mit in die Ehe brachte. Von Otto war sie damals bereits schwanger, so dass davon auszugehen ist, dass die Ehe aufgrund der Schwangerschaft geschlossen wurde. Otto, der von seinem Vater an den Beru herangeführt worden war und von seiner Mutter die Liebe zu Natur und Heimat geerbt hatte, musste sehr jung seine Familie ernähren.
Neben dem Bergbau gab er seinen künstlerischen Neigungen Raum- er dichtete und interessierte sich für Schriftstellerei und Malerei. „Seit meinem achtzehnten Lebensjahr habe ich versucht, das, was ich in der Erde und über Tage zutiefst in mir erlebte, niederzuschreiben, dichterisch zu gestalten," schreibt Wohlgemuth in seinen Lebenserinnerungen. Sein Ziel war es stets, Zugang zur bürgerlichen Gesellschaft zu finden und dies schien ihm aufgrund seiner beruflichen Laufbahn nur durch Kunst und Literatur möglich. Er lernte die 19jährige Gymnasiastin Ulli kennen und entfremdete sich intellektuell immer mehr von seiner Familie.
1920 lernt er die Lehrerin Ottilie Kerper kennen. Damals hatte er mit seiner Frau Anna bereits fünf Kinder, von denen aber nicht alle überlebt hatten. Seine Frau hatte für die Gedichte und die schriftstellerischen Freunde kein Verständnis. Immer noch lebte die Familie in bescheidenen Verhältnissen. Während des Ersten Weltkrieges hatte Otto überwiegend im Bergbau gearbeitet, war nur kurz zum Kriegsdienst eingezogen und aus gesundheitlichen Gründen schnell entlassen worden. Immer stärker wurde das intellektuelle Ungleichgewicht der Eheleute. Otto gab Geld aus für Literatur, obwohl es manchmal am Nötigsten für die Familie fehlte. Nach 17 Jahren Ehe verließ Wohlgemuth schließlich seine Familie – auch wegen Ottilie Kerper. Deren Eltern waren alles andere als begeistert, dass sich ihre Tochter auf einen verheirateten Arbeiter eingelassen hatte. Auch Otto’s Noch-Ehefrau Anna, verbittert über die Trennung und deren Umstände, sorgte für einen Skandal, in dem sie in der Schule Ottilie Kerper zur Rede stellte.

Vom Bergarbeiter zum Dichter

Die Wende für Otto Wohlgemuth kam 1923. Damals gab er den Beruf des Bergmanns auf und wurde Bibliothekar in Buer und Gelsenkirchen. Er interessierte sich zunehmend für Malerei, für Graphik, erntete Erfolge als Dichter und Schriftsteller. 1926 heiratete er Ottilie Kerper und hatte damit den Aufstieg aus der Arbeiterklasse ins Bürgertum geschafft. Otto Wohlgemuth engagiert sich besonders dafür, schöpferische Kräfte in der Arbeiterschaft zu einer gemeinsamen Runde zusammen-zuschließen: Er gründet die Künstlerprojekte „Hellwegbund’ (1916) und „Ruhrlandkreis’ (1923), um die "Rufer hinter den Dingen in der menschlichen Sehnsucht" unter den Arbeitern im Ruhrland zusammenzuführen.
1933 wurde er durch die NSDAP zwangspensioniert und verließ das Ruhrgebiet. Er war damals Mitglied in der SPD und hatte in seiner Funktion als Bibliothekschef die große Jüdische Enzyklopädie angeschafft. Er zog ins Bergische Land, in die Heimat seiner Frau. Schon zwei Jahre später begannen im Auftrag der NS-Kulturgemeinde seine Lese- und Vortragsreisen, die stetig zunahmen. Wohlgemuth tritt in die Partei ein, doch 1942 wird er aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen und seine Werke dürfen nicht mehr verlegt werden.
Immer öfter war er von zuhause fort, reiste für Vorträge und Lesungen durch das Land, sehr zum Missfallen seiner Frau. Er selbst verstand sich als unpolitischer Dichter, der durch die NSDAP zum beruflichen Opfer geworden war. 1959, zu seinem 75. Geburtstag, erscheint die Gedichtensammlung „Aus der Tiefe“. Es war schwierig, einen Verleger zu finden. 1960 leidet Wohlgemuth an Herz- und Kreislaufbeschwerden, seine Frau Ottilie stirbt im Alter von 73 Jahren an Magenkrebs.
Wohlgemuth kehrt aus dem Siegkreis 1961 in seine Heimatstadt Hattingen zurück. Der Heimatverein, der heute einen großen Teil von Wohlgemuths Werken besitzt, stellt ihm unentgeltlich eine Wohnung im Bügeleisenhaus zur Verfügung. 1962 heiratet Otto Wohlgemuth die Krankenschwester Marie Wittenbecher. Am 15. August 1965 stirbt er im 82. Lebensjahr. Er ist auf dem Hattinger Kommunalfriedhof bestattet.
1986 erscheint von Anita Overwien-Neuhaus das Buch „Mythos. Arbeit. Wirklichkeit. Leben und Werk des Bergarbeiterdichters Otto Wohlgemuth“.

Autor:

Dr. Anja Pielorz aus Hattingen

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