Wir sind Hattinger: Ernst Nolte (1923-2016)
Politisch hatte das Jahr 1923 am 11. Januar (dem Tag von Noltes Geburt) begonnen, als die Franzosen ins Ruhrgebiet (und damit auch in Witten an der Ruhr, Noltes Geburtsort) einmarschiert waren. Lenin hat damals noch gelebt. Die Inflation wurde zur Hyperinflation, im Oktober war der Dollar 4,2 Billionen Mark wert. In Witten geboren, wuchs Ernst Nolte in Hattingen im südlichen Ruhrgebiet als Sohn eines katholischen Volksschullehrers auf. Konfrontationen von Kommunisten und Nationalsozialisten waren zu diesem Zeitpunkt an der Tagesordnung.
Ernst Nolte empfand sich früh als Außenseiter – von Geburt an war seine linke Hand verstümmelt. Es fehlten mehrere Finger. Er registrierte die Furcht vor dem Bolschewismus und den gewalttätigen Aufstieg des Nationalsozialismus. Nolte schreibt später selbst: „An diesen Tendenzen nahm ich, ein früher und eifriger Zeitungsleser, lebhaften, wenngleich noch recht kindlichen, hauptsächlich von Furcht gegenüber dem Kommunismus erfüllten Anteil, und ich schrieb im Alter von sieben oder acht Jahren ein kleines Manuskript über das Ausgreifen des russischen Bolschewismus nach Deutschland.“
Dank seiner Hand wurde Nolte nicht zum Kriegsdienst eingezogen – viele seines Jahrgangs starben noch vor Stalingrad. Sein jüngerer Bruder fiel 1944 – mit 17 Jahren. Das sollte ihn prägen. Die „Last“, gegenüber vielen Gleichaltrigen bevorzugt worden zu sein, die wie sein jüngerer Bruder im Zweiten Weltkrieg gefallen waren, erklärte er später als wichtiges Motiv für seine lebenslange Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus: „zwar in Abneigung, aber ohne Hass“.
Er selbst studierte seit 1941, in dem Jahr, in dem er auch das Abitur ablegte. Münster, Berlin und Freiburg waren die Städte, in denen er Philosophie, Germanistik und Klassische Philologie studierte. In Berlin hörte er den Philosophen Nicolai Hartmann, in Freiburg Martin Heidegger. Eigentlich sollte er bei diesem promovieren, doch die Wirren von 1945 verhinderten dies. „Nach dem Krieg ging Nolte zunächst in den Schuldienst, kurz unterbrochen für eine Dissertation in Freiburg über Karl Marx. Zum Historiker wurde der Gymnasiallehrer schließlich am Feierabend: Anfang der sechziger Jahre schrieb er sein bahnbrechendes Buch über den Faschismus in seiner Epoche, das vom Piper-Lektor Reinhard Baumgart angenommen wurde und somit im Verlag von Hannah Arendt und Ingeborg Bachmann erschien. Aufgrund dieses Buches sorgte 1964 der Historiker Theodor Schieder in Köln für Noltes Habilitation. Während damals deutsche Historiker links wie rechts, alt wie jung, die NS-Vergangenheit ängstlich mieden und sich lieber mit dem deutschen Kaiserreich beschäftigten, hatte Nolte die rechtstotalitären Ideologien Europas innovativ analysiert. Nolte wurde alsbald Professor in Marburg und lehrte seit 1973 an der FU Berlin“ (Die Zeit, 18. September 2016).
Ernst Nolte und der "Historikerstreit"
Dort wirkte er bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1991 als Professor für Neuere Geschichte am Friedrich-Meinecke-Institut. wirkte. 1985 erhielt er für seine „Verdienste um die Festigung und Förderung der Grundlagen eines freiheitlichen Gemeinwesens“ den Hanns Martin Schleyer-Preis.
Verheiratet war Nolte mit Annedore Mortier. Sein Sohn ist der Berliner Völkerrechtsprofessor Georg Nolte, seine Tochter die Journalistin und Schriftstellerin Dorothee Nolte.
Ernst Nolte, einer der bekanntesten und umstrittensten deutschen Geschichtswissenschaftler, starb im Alter von 93 Jahren nach kurzer, schwerer Krankheit. Er fand seine letzte Ruhestätte auf dem Friedhof der St.-Matthias-Gemeinde in Berlin-Tempelhof.
Ein Beitrag Noltes in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) vom 6. Juni 1986, auf den Jürgen Habermas in der ZEIT publizistisch reagierte, löste den sogenannten „Historikerstreit“ aus. Nolte hatte den Holocaust als mögliche Reaktion auf die Verbrechen der sowjetischen Kommunisten beschrieben. Für viele, auch für Jürgen Habermas, relativierte Nolte damit die Einzigartigkeit des Holocaust. Vereinfacht gesagt: Er erklärte, alle Gräueltaten der Nationalsozialisten seien vorher in der Geschichte schon einmal dagewesen „mit alleiniger Ausnahme des technischen Vorgangs der Vergasung“.
Durch diesen „Historikerstreit“ wurde Ernst Nolte zunehmend isoliert: auf sein Auto wurde ein Brandanschlag verursacht. Ein Vortrag vor der katholischen Studentengemeinde in Berlin wurde verhindert und er selbst erhielt Prügel. 2000 erhielt er den Konrad-Adenauer-Preis der Deutschland-Stiftung, Angela Merkel lehnte es ab, für ihn die Laudatio zu halten.
Autor:Dr. Anja Pielorz aus Hattingen |
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