Wie war das damals auf der Henrichshütte?
Max Schwarz war Kranführer in der Stahlgießerei der Henrichshütte. Von 1956 bis zum bitteren Ende 1987. Über diese Zeit erzählt er in ein Aufnahmegerät und eine digitale Kamera hinein, um auch seine Erinnerungen der Nachwelt zu erhalten.
Die Grundidee zu diesem Projekt stammt von der Solinger Fotografin Astrid Heups. Ursprünglich wollte sie lebensgroße Porträts ehemaliger Hüttenarbeiter anfertigen und diese auf dem Gelände des LWL-Industriemuseums Henrichshütte aufstellen.
„Die Idee an sich fand ich schon spannend, nur ging sie mir nicht weit genug“, so Museumsleiter Robert Laube. „Da haben wir sie weiterentwickelt. Jetzt erreichen wir zweierlei: Einmal halten wir die Erzählungen der Arbeiter in Kurzinterviews für unser Archiv fest. Außerdem aber haben wir einen rund einen Kilometer langen Zaun entlang der Hüttenstraße. Es gibt Fotos von einer Menschenkette während der vielen Demonstraionen rund um die Erhaltung der Henrichshütte, da ist hinten der Hochofen mit drauf. Diese Menschenkette soll dort am Zaun nachgestellt werden mit diesen Fotos. Allerdings ist dies ein Projekt, das wir sicher nicht heute und morgen komplett realisieren können. Vielmehr ist das auf zwei bis drei Jahre angelegt. Denn 100 Porträts sollen es am Ende schon sein. Es ist allerdings illusorisch anzunehmen, dass wir den kompletten Kilometer Zaun damit bestücken können.“
Doch zurück zu Max Schwarz. Der 78jährige wirkt anfangs ein wenig nervös, als er den Raum für die Bild- und Ton-Aufnahmen betritt. Verständlicherweise, denn wer ist schon gewohnt interviewt und dabei auch noch gefilmt zu werden?
Allerdings hat er erste „Hemmungen“ bereits ablegen können, denn er war schon eine Treppe höher bei Astrid Heups. Dort wurde er fotografiert. Mehrere Porträt-Aufnahmen machte die Fotografin von ihm und auch einige Aufnahmen, bei denen er die Arme seitlich so hält, als ob er jemanden anfassen würde – für die spätere Menschenketten-Aktion gedacht.
20 Männer hat Astrid Heups bereits fotografiert, alles ehemalige Arbeiter der Henrichshütte. Sechs bis acht Personen schafft die Profi-Fotografin an so einem Vormittag, denn: „Die Männer haben alle Persönlichkeit. Sie stellen sich hier sehr selbstbewusst hin. Das wirkt sich natürlich auch positiv auf das Ergebnis aus. Ich fühle mich mit ihnen bei der Arbeit superwohl.“
Das merkt man ihr, aber auch Herbert Halfter an. 69 Jahre ist der ehemalige Walzwerker alt, der an der 4,2-Meter-Straße gearbeitet hat. Bereitwillig nimmt er die Posen ein, die Astrid Heups vorschlägt. Von dem Ergebnis sind beide begeistert.
Max Schwarz ebenfalls. Inzwischen hat er Platz genommen am Interviewtisch. Ihm gegenüber sitzt Udo Böhm. Der Elektro-Ingenieur hat von 1981 bis 1991 auf der Hütte in der Instandhaltung gearbeitet. Heute führt er mit seiner ruhigen Stimme die Interviews und lässt auch Max Schwarz die laufende Kamera schnell vergessen. Bedient wird diese von Helmut Helling, wohl außer der Fotografin an diesem Tag der einzige Beteiligte, der nicht auf der Henrichshütte gearbeitet hat. Er war bei der Sparkasse, ist heute allerdings als Kassierer vom Förderverein des Industriemuseums der „Junge für vieles“, wie er meint.
Er gehört auch zu denjenigen, die seit zwei Jahren Ehemalige der Henrichshütte zu so etwas ähnlichem wie einem „Stammtisch“ in die Gebläsehalle einlädt. „Rund 200 Adressen haben wir“, sagt Helmut Helling. „Die laden wir einmal im Vierteljahr in die Gebläsehalle ein zum Klönen über die alten Zeiten und so. Rund 60 Personen kommen eigentlich immer. Das nächste Mal ist unser Treffen am Montag, 12. Mai, 15 Uhr. Dabei wollen wir auch einen Film zeigen: ,Gang über den Hochofen‘.“
Dabei sein wird dann auch wieder Max Schwarz. Er hat angefangen zu erzählen. Er wohne im Müsendrei, sei gelernter Gärtner und komme eigentlich aus Bayern: „Aber ich wollte mich verändern. Weil meine Schwester schon hier verheiratet war, bin ich 1956 hier hoch gekommen. Erst wollte mich das Arbeitsamt ins Bergwerk stecken, aber da habe ich mich geweigert. Letztlich hat es mein Schwager geschafft, mich auf der Hütte unterzubringen. Man hatte mich schon gewarnt, dass dort in der Stahlgießerei viel Staub sei. Aber als ich die Menge dann tatsächlich sah, da war ich regelrecht geschockt – auch davon, wie groß die Halle war und wie viele Menschen hier arbeiteten. Ich war ja völlig ahnungslos und habe als Hilfsarbeiter angefangen. Wie ahnungslos ich war, bewies ich gleich am Anfang, als ich eine Menge Papier verbrennen sollte. Ich bin da rumgerannt und habe den Ofen nicht gefunden. Als ich schließlich einen Kollegen gefragt habe, guckte der mich ganz verwundert an und sagte, ja, Du stehst doch direkt davor! Das war der Moment, als ich zum ersten Mal im Leben einen Glühofen gesehen habe. Mit so etwas Riesigem hätte ich doch nie gerechnet.“
Schnell gewöhnte sich der junge Mann aber ein, bezog ein Zimmer im Ledigenheim, dem „Bullenkloster“ an der Welperstraße, in dem heute das „Avantgarde Hotel“ untergebracht ist. Hier wohnte er mit einem Berliner zusammen, mit dem er sich aber prächtig verstand – dem Vorurteil mit Preußen und Bayern zum Trotz.
In seiner Freizeit – die dreifache Schicht ließ sich damit und mit der Familie gut vereinbaren – ging Max Schwarz zum Tanzen, wurde Mitglied der Turnabteilung der SG Welper, errang Titel und lernte immer mehr Leute kennen.
„Erst schaffte man sich eine Wohnung an, dann die Möbel, dann kamen die Kinder. Jeden Morgen bin ich zu Fuß zur Arbeit gegangen, mein erstes Auto bekam ich erst mit 40“, fährt er fort. „Mittlerweile wohnte ich ja im Müsendrei. Die ersten Jahrzehnte war der Bürgersteig praktisch schwarz vor Menschen, die alle zur Arbeit auf die Hütte gingen. Damals hätte niemand gedacht, dass so ein großes Werk jemals pleite gehen konnte. Ich selbst habe als Kranfahrer noch den letzten Guss mitgemacht. Wann bei uns genau dicht gemacht wurde, weiß ich gar nicht mehr. Jedenfalls hatten wir in der Formerei noch genügend Aufträge. Aber es kam ja kein Stahl mehr nach.“
Während seiner Arbeit als Kranfahrer sei er immer froh gewesen, nicht unten in der Gießgrube arbeiten zu müssen: „Dort war es glühend heiß, es qualmte und der Stahl spritzte herum. Da gab es mehrere Unfälle.“
Dennoch habe er sich auf der Hütte „gut aufgehoben“ gefühlt: „Das Verhältnis mit den Kollegen und Vorgesetzten war eigentlich immer gut, auch wenn man manchmal anderer Meinung war. Man musste sich schon ein wenig einordnen. Aber nach Feierabend haben wir nicht viel miteinander gemacht.“
Letztlich hat also Max Schwarz, von dessen Erzählungen über knapp 45 Minuten hier nur ein Teil wiedergegeben ist, ein Puzzleteil zur Erinnerung an das Leben auf, an und mit der Henrichshütte beigetragen.
Das Industriemuseum ist nach wie vor an Ehemaligen interessiert, die das auch möchten. Vor allem Frauen, so alle Beteiligten, melden sich hoffentlich noch. Infos unter Tel.: 9247140.
Autor:Roland Römer aus Hattingen |
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