War es versuchter Mord oder Totschlag?
Im Dezember ging der türkische Familienvater in der Südstadt mit zwei Messern auf seine 44jährige Ehefrau und die drei Kinder im Alter von 17, 20 und 21 Jahre los. Er verletzte alle vier Personen zum Teil schwer. Überlebt haben sie alle und Hattingen haben sie mittlerweile verlassen, leben in Berlin. Bis zum Prozessbeginn, der nicht vor Mai sein wird, sitzt der Vater in Untersuchungshaft. Angeklagt ist er wegen versuchten Mordes in vier Fällen.
Staatsanwalt Joachim Lichtinghagen sieht niedrige Beweggründe gegeben. Vom Totschlag (§ 212 StGB) unterscheidet Mord sich durch eine besondere Verwerflichkeit des Beweggrundes, der Begehungsweise oder der Absicht. Der Täter handelt aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder aus einem anderen niedrigen Beweggrund heraus. Für den Essener Staatsanwalt ist das der Fall. Auf versuchten Mord steht in der Regel eine lebenslange Freiheitsstrafe, falls es nicht zu mildernden Umständen kommt.
Die Staatsanwaltschaft ist davon überzeugt, dass der Familienvater erst dann von den Opfern abließ, weil der Sohn sich ebenfalls mit einem Messer bewaffnete und sich zur Wehr setzte und ein Nachbar ebenfalls eingriff.
Vor der Tat hatte es nach Auskunft der Familie Streit um finanzielle Dinge gegeben. Vor allem sei der Vater nicht einverstanden gewesen mit der westlichen Lebensweise. Dr. Gregor Hanisch, der den Familienvater aus der Südstadt verteidigt, zweifelt die niedrigen Beweggründe an. „Mein Mandant ist sehr stark geprägt von den Anschauungen seiner Heimat“, erklärt der Rechtsanwalt. „Er spricht kaum Deutsch, obwohl er seit rund zwanzig Jahren in Deutschland lebt. Wir kommunizieren über einen Dolmetscher. Er hatte keinen Kontakt zu Deutschen und verbrachte jedes Jahr viele Wochen in seiner Heimat in der Osttürkei.“ Er habe zuletzt nicht gearbeitet, vorher sollen es auch eher Gelegenheitsjobs gewesen sein. Im Gegensatz zu ihrem Mann habe die türkische Ehefrau Kontakt zu Deutschen gehabt, obwohl auch sie die Sprache nur schlecht spricht. Sie habe eine Putzstelle gehabt. Perfekt in der Sprache und in westlichen Lebensgewohnheiten sind alle drei in Deutschland geborenen Kinder.
Die Tat leugne sein Mandant nicht. Jedoch sei es für ihn aufgrund seiner Verwurzelung in der türkischen Wertkultur schwierig, die Tat mit niederen Beweggründen in Verbindung zu bringen.
Zur Zeit wird ein psychologisches Gutachten erstellt. Außerdem soll ein Spezialist aus Süddeutschland beauftragt werden, zum Thema türkische Wertkultur Erkenntnisse zu sammeln. Nicht vor Mai wird es zum Prozess kommen. Bis dahin bleibt der Angeklagte in Untersuchungshaft.
Autor:Dr. Anja Pielorz aus Hattingen |
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