Vom sonnigen Chile ins kalte Hattingen
Vor einem Jahr startete Eve Niemann (17) einen Schüleraustausch nach Chile. Von dort schrieb sie den STADTSPIEGEL-Lesern regelmäßig, Jetzt ist sie wieder zu Hause und kann sich eines sehr gut vorstellen: Auswandern mit der Familie!
Der Start war etwas holprig. „Eigentlich hatte ich eine Gastfamilie im Norden Chiles. Doch das hat nicht geklappt und die Familie hat kurzfristig abgesagt. Ich bin dann nach Santiago de Chile geflogen, habe drei Tage in einem Vorbereitungscamp verbracht und kam zu einer Gastfamilie in San Fernando, etwa eine Zugstunde von Santiago entfernt“, berichtet die Siebzehnjährige.
„Ich wurde in den Zug gesetzt, ohne Spanischkenntnisse. Dem Schaffner wurde mitgeteilt, wo ich aussteigen sollte, und dann ging es los. Es waren dreißig Grad, super Wetter. Aus dem Fenster des Zuges habe ich die schöne Landschaft gesehen, aber auch Armut. Denn viele arme Menschen wohnen entlang der Zugstrecke in Holzhütten und da habe ich mich schon gefragt, ob ich dort auch landen werde. Aber ich wollte dieses Projekt unbedingt und nun war ich da und musste sehen, wie ich klar kam.“
Erleichtert stellte die Hattingerin allerdings fest: Sie hatte es sehr gut getroffen. San Fernando, der neue Wohnort auf Zeit, ist etwa so groß wie Hattingen und sie kam zu seiner Familie, die in einem eigenen, großen Haus mit Pool lebt. „Papa Julio ist Chirurg, dann gibt es Mama Helena und die Kinder Julio (17) und Paloma (14). Das war schon obere Mittelschicht. Vater und Bruder sprachen Englisch, Mutter und Schwester nicht. Alle holten mich am Bahnhof ab und zeigten mir das Haus. Ich hatte ein eigenes Zimmer mit Blick auf den Pool. Ein Traum.“
Nur mit der Verständigung war das schwierig. „Am Anfang habe ich am meisten mit meinem Bruder Julio geredet. Der Vater war oft arbeiten und Paloma hat, glaube ich, die ersten vier Wochen überhaupt nicht mit mir geredet. In den ersten Tagen musste ich noch nicht zur Schule, da habe ich meine Schuluniform gekauft und dann ging es los. Julio hat mich mitgenommen und mich den Klassenkameraden vorgestellt.“
Viele Chilenen, so erzählt Eve Niemann, haben ein Haus. Allerdings unterschiedlich groß und komfortabel. Viele haben einen Pool. Die Schule übrigens auch. Was will man dort mit einem Hallenbad? „Mehr als zwei Drittel des Jahres ist es dort warm. Die Natur ist unglaublich, wunderschön, bunt. Die Menschen dort sind sehr freundlich und aufgeschlossen. Die begrüßen sich mit Umarmung und Küsschen. Obwohl es drei Monate gedauert hat, bis ich alles gut verstehen konnte, und sogar fast ein halbes Jahr, bis ich mich flüssig auf Spanisch unterhalten konnte, wurde ich sofort integriert. Ich habe mich sehr wohl gefühlt.“
Ein Schulbus brachte die Hattingerin morgens zur privaten Schule. „Mittags hatten wir Pause und haben mit der Familie gegessen. Danach fuhr ich mit dem Bus zurück zur Schule bis zum Abend. Man macht dort fast alles in der Schule. Es gibt Tanz, Musik, Sport. Alle tragen Schuluniform. Die Mädchen einen grauen Rock, darunter eine kurze Radlerhose, dann ein Top, eine weiße Bluse und einen Blazer in dunkelblau. Und eine weinrote Krawatte. In der Freizeit zieht man bis auf Radlerhose und Top oder Bluse den Rest aus. Niemand zieht sich dort am Tag um.“
Am Anfang sei die Schuluniform gewöhnungsbedürftig gewesen. Später fand Eve Niemann sie toll und führt sie zu Hause vor. „Klamotten sind in Chile kein Thema. Und es gibt unglaublich viele Secondhand-Läden, wo man sehr billig Sachen einkaufen kann. Natürlich weiß man auch in der Schule, wer mehr oder weniger Geld hat, aber es spielt keine Rolle. Schon gar nicht im Äußeren.“
Durch den Mitschüler Angel hat sie auch von einem soziales Projekt erfahren. „Die Schüler gehen in die Armenviertel und helfen. Sie bauen beispielsweise ein Haus oder unterstützen bei Lebensmitteln. Ich habe mich auch an dem Projekt beteiligt. Ein Haus war dort abgebrannt und gemeinsam mit anderen habe ich es wieder aufgebaut. Wir haben auch bestimmte Tage, an denen wir mit Privatkleidung in die Schule gehen durften – vorausgesetzt wir bringen irgendein haltbares Lebensmittel mit, welches dann gespendet wurde.“
Von Deutschland wissen die Chilenen nicht viel. „Sie kennen den Namen Hitler, aber das war es fast schon. Ich habe ein Referat über Deutschland gehalten.“
Tests und Arbeiten hat Eve Niemann zwar mitgesschrieben, doch Schulnoten gab es keine. „Ich habe ein Zeugnis bekommen, aber ohne Noten.“ Jetzt besucht sie die 10. Klasse einer Gesamtschule in Bochum und ist auf dem Weg zum Abitur.
Was hat sie mitgenommen aus dem Jahr? „Ich würde mit meiner Familie sofort auswandern. Ich halte den Kontakt zu meiner Gastfamilie, die uns besuchen wird. Und ich hoffe, wir fahren gemeinsam dorthin. Meine chilenische Mama konnte nur einen Satz Englisch, aber das war ihr Lebensmotto: Don‘t worry, be happy! So ist das!“
Autor:Dr. Anja Pielorz aus Hattingen |
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