Viel Aufregung um die leisen Rasenmäher
(von Alex Winkelnkemper) „Der spielt doch nur!“ ist einer der Standardsätze von Hundehaltern. Er kommt vor allem dann zum Tragen, wenn das Gegenüber sich nicht wie erhofft darüber freut, angesprungen zu werden, sondern Angst oder Ekel zeigt. Und wo wir Menschen uns schon unwohl fühlen, sind Tiere noch viel eher arm dran.
In den Hattinger Ruhrwiesen weiden zurzeit rund 450 Schafe. Da sie das aber am Rand einer Stelle tun, die sonst als Hundewiese genutzt wird, ist Ärger vorprogrammiert. Ist der Hund erst einmal in die Herde gesprungen, ist der Schaden schon gesichert. Die Tiere geraten in Panik, leiden erheblichen Stress. Die Folge sind Verletzungen und Totgeburten. „Wo liegt denn das Spiel, ein trächtiges Schaf in Panik zu versetzen und ewig zu hetzen?“ fragt sich Schäfer André Rödiger. „Für das Schaf ist einfach jeder Hund erstmal ein Wolf!“
Eigentlich war André Rödiger KFZ-Mechaniker. Nachdem er einem Freund einige Male beim Schafe hüten half, wurde ihm klar, dass er das eigentlich auch selbst lieber machen würde. Er ging erneut in die Lehre, wurde Schäfer. „Ich habe einfach die Freiheit dieses Berufs erkannt“, strahlt er. „Okay, man ist immer an die Tiere gebunden, aber das ist noch immer besser als ein Bürostuhl!“ So romantisch das auch alles klingt, Entspannung geht anders. Permanent ist etwas zu tun, unbeaufsichtigt können die Tiere nicht lange bleiben. „Mein letzter Urlaub ist bestimmt 15 Jahre her“, erzählt André Rödiger. „Die Leute glauben immer, ich würde einfach nur gemütlich in der Sonne sitzen und Schäfchen zählen. Klar bin ich gerne draußen, aber das ist eben auch nur ein Job wie viele andere.“ In Hattingen hat er nun Station gemacht, um mit seiner Herde den Bärenklau in den Ruhrwiesen zu bekämpfen. „Der Vorteil der Tiere ist, dass sie den Bärenklau komplett verdauen. Da bleibt einfach gar nichts übrig. Und natürlich müssen die Pflanzen weg, bevor sie blühen und sich verbreiten können. Sie dann erst abzuschneiden bringt einfach gar nichts“, erklärt er. Der Riesen-Bärenklau wuchert die Ruhrwiesen komplett zu.
Ursprünglich kommt die Pflanze aus dem Kaukasus, seit einigen Jahren verbreitet sie sich aber auch in der Region massiv. Und gewinnt damit zweifelhafte Ehre: 2008 wurde der Riesen-Bärenklau zur Giftpflanze des Jahres gewählt. Die bis zu drei Meter hohe Pflanze kann bei Berührung schmerzhafte Verbrennungen verursachen, die auch noch äußerst langsam heilen. Den Schafen macht das nichts, sie kauen und verdauen ihn gemütlich in der Sonne. Aber so friedfertig auch alles ausschaut, hinter der idyllischen Atmosphäre brodelt es.
„Es gibt Kollegen, die sich partout weigern, nach Hattingen zu kommen“, erzählt André Rödiger. Der Grund: Aggressive Hundebesitzer.
Die Fläche, auf der die Schafe nun weiden, wird eben sonst als Hundewiese genutzt. Gegenseitige Rücksichtnahme ist also im Moment angesagt, aber das funktioniert leider mal wieder nur begrenzt. „80 Prozent der Menschen sind total nett und zurückhaltend mit ihren Hunden. Aber die restlichen 20 Prozent sind eben einfach daneben“, erzählt Schäfer Rödiger. Beleidigungen sind an der Tagesordnung, auch tätliche Angriffe waren schon dazwischen. Die Nutzung der Fläche ist mit der Stadt abgesprochen, die freut sich sogar über die günstigen Rasenmäher. Einigen Hundehaltern ist das aber egal. Sie fühlen sich durch die Schafe gestört, auch wenn rundherum noch mehr als genug Platz ist. Einige Hundebesitzer lassen die Tiere dann unangeleint direkt an der Herde laufen, andere lassen ihre Hunde direkt in die Herde hinein springen und „spielen“. „Wir haben hier pro Saison rund zehn Hundeeinbrüche. Das ist ein Riesenschaden, weil sich die Schafe in Panik leicht verletzen“, erklärt Schäfer André Rödiger. Einige Hundehalter seien auch schlicht überfordert. Dass sie sich von ein paar Schafen derart gestört fühlen, kann der Schäfer nicht wirklich verstehen. „Wir sind doch höchstens dreimal im Jahr hier, und dann auch nur für zwei Wochen.“ Danach geht es zu Fuß weiter zum nächsten Weideplatz, rund zehn Kilometer ruhrabwärts. Schäfer Rödiger wundert sich vor allem über die Kurzsichtigkeit, wenn er mal wieder beschimpft wird. „An sich ist das doch dumm“, meint Rödiger. „Wo wollen die Leute denn mit ihren Hunden spazieren gehen, wenn überall drei Meter hoch der Bärenklau steht?“
Autor:Dr. Anja Pielorz aus Hattingen |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.