Vereinigte Schmiedewerke (VSG): das letzte Kapitel
Am 23. Dezember 2003 erloschen endgültig die Feuer in der Schmiede des ehemaligen Hüttenwerkes Henrichshütte, die von der VSG Energie- und Schmiedetechnik betrieben wurde. Die Schmiedewerke Krupp-Klöckner GmbH (Bochum) war 1988 mit dem Schmiedebereich von Thyssen in Hattingen zur „Vereinigte Schmiedewerke GmbH“ (VSG) mit dem Firmensitz zuletzt in Bochum buchstäblich „verschmolzen“. 1995 ging die VSG-Holding in Konkurs. Jetzt, auf den Tag genau sieben Jahre später, wird das Kapitel endgültig geschlossen.
Juristisch heißt das ganz trocken: „In dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der im Handelsregister des Amtsgerichts Bochum und HRB 4886 eingetragenen VSG Energie- und Schmiedetechnik GmbH, Werksstraße 34, 45527 Hattingen, gesetzlich vertreten durch die Geschäftsführer Dr. Rolf Steinmetz (...), Dr. Götz-Peter Blumbach (...) und Martin Kausler (...) wird der Schlussverteilung zugestimmt.
Termin für eine abschließende Gläubigerversammlung (Schlusstermin) zur Erörterung der Schlussrechnungslegung des Insolvenzverwalters, zur Erhebung von Einwendungen gegen das Schlussverzeichnis, zur Entscheidung der Insolvenzgläubiger über die nicht verwertbaren Gegenstände der Insolvenzmasse sowie ggf. zur Prüfung nachträglich angemeldeter Forderungen wird bestimmt auf Donnerstag, 23. Dezember 2010, neun Uhr, im Gebäude des Amtsgerichts Essen, Zweigertstraße 52 (...), erste Etage, Sitzungssaal 186.“
Der Hattinger Bernd Lauenroth von der IG Metall ist als Vertreter der Beschäftigten Mitglied im Gläubigerausschuss. „Der Insolvenzverwalter spricht sicherlich von einem erfolgreichen Insolvenzverfahren im Hinblick auf die gezahlte 30-Prozent-Quote“, ist sich der Gewerkschafter sicher. „Wir hingegen sagen, gemessen am Potenzial und unserer Zielsetzung auf Fortführung des Unternehmens ist es schlecht gelaufen.“
Bernd Lauenroth glaubt, dass bis heute 300 bis 500 Arbeitsplätze hätten in Hattingen gehalten werden können, denn: „Hier wurde der Betrieb der 8.000-Tonnen-Presse eingestellt, im Saarland aber eine 12.000er aufgemacht. Also gibt es einen Bedarf daran in Deutschland und es hätte nur auf der Henrichshütte investiert werden müssen.“
Er könne das „Geschwätz“ von Alt-Industrie nicht mehr hören. Das Gegenteil sei der Fall: Unsere Industrie war immer grün, weil sie Zukunftsindustrie war und ist. Windräder beispielsweise sind spezielle Schmiedeteile, da gibt es Nachfrage.“
Daher stimme ihn der Blick über das heutige ehemalige Hüttengelände eher traurig. Was hier geschaffen worden sei, sei nur ein minimaler Ersatz vom Volumen her für die weggefallenen qualifizierten Arbeitsplätze, wenn auch allgemein wichtige Schritte gemacht wurden: „Trotzdem hätte uns von wirtschaftlicher Seite her mehr Unterstützung gut getan. Statt des zögerlichen Insolvenzvorhabens hätten wir nur das Jahr 2004 erreichen müssen, denn da ist der Markt ,Schmiede‘ geradezu explodiert.“
Nicht nur Geld – 30 Prozent entsprächen acht Millionen Euro – sei dagewesen, sondern auch städtische Unterstützung und eine generalüberholte Presse, wie der ehemalige VSG-Betriebsrat Ulrich Plitt anmerkt, aber über eine Probephase sei man nicht hinausgekommen. Der Markt für Kompressorscheiben sei kurzfristig zusammengebrochen, was in 2003 zu einer „Durststrecke“ geführt hätte: „2004 war die aber vorbei und es gab so viele Aufträge, dass die gar nicht geschafft werden konnten.“
Insolvenzverwalter Dr. Jürgen Großmann sei ein „Abwickler“ gewesen. Er habe nicht „von Woche zu Woche, von Auftrag zu Auftrag planen wollen“ wie die IG Metall, erklärt Bernd Lauenroth. Im Gläubigerausschuss sei damals leider gegen die IG Metall entschieden worden. „Dabei mussten wir nur über den Winter kommen“, blickt der damalige Betriebsratsvorsitzende Peter Maurer zurück. „Leider war für uns kein Investor zu finden, um den Betrieb weiterführen zu können.“ Die „Filetstücke“, wie Bernd Lauenroth sie nennt, Kappenringe für große Turbinen und Kompressorscheiben, seien durch Großmann aber zuvor schon veräußert worden.
Letztlich mussten mehrere Transfergesellschaften gegründet werden, in denen sich die teilweise über 40 Jahre „auf der Hütte“ Beschäftigten für ihr weiteres Berufsleben qualifizieren konnten. Immerhin betrug die Vermittlungsquote in neue Stellen beachtliche 27 Prozent. Vor allem aber sollten sie nicht in ein tiefes emotionales Loch fallen, sondern sich mit ihrer Situation erst einmal innerlich abfinden.
Und dann gab es noch einmal Geld, 2006. Wer von den 700 Anspruchsberechtigten die Voraussetzungen erfüllte sogar zweimal: 312,46 Euro Restzahlung für 380 von ihnen, die bereits 2.500 Euro aus dem Sozialplan bekommen hatten, und rund 100 Euro aus gestundetem Weihnachtsgeld, das alle 700 bekamen.
Rückblickend meint die neue Erste Bevollmächtigte der IGM Gevelsberg-Hattingen, Clarissa Bader, hätte es nicht sein müssen, dass so viele Beschäftigte „auf der Strecke“ blieben. Daraus sei zu lernen und sie plädierte für eine gescheite Personalplanung und Industriepolitik. Positiv sei lediglich, dass statt einer Brache auf dem Hüttengelände „etwas geschaffen“ wurde.
Peter Maurer (heute 65 und als Walzwerker 46 Jahre auf der Hütte) sagt, er sei noch mit am besten aus der Sache herausgekommen. Der Preis war ein Schlaganfall, der ihn mit 60 Jahren in die Rente brachte.
Ulrich Plitt (61 und seit 1971 in der Fahrzeug-Reparatur der Hütte und später Betriebsrat und Reparatur-Schlosser), war nach einer Knieoperation zunächst ein Jahr arbeitsunfähig und lebt heute von 1.050 Euro Rente.
Autor:Roland Römer aus Hattingen |
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