Serie Integration: „Italiener? Deutsche? Wir sind Europäer!“ - Elvira und Domenico Trovato aus Sizilien
![Elvira (76) und Domenico (83) Trovato haben sich in Hattingen sehr für eine gute Integration ausländischer Mitbürger eingesetzt und dabei viele schöne Erinnerungen gesammelt. Foto: Kamphorst](https://media04.lokalkompass.de/article/2012/01/13/6/2108016_L.jpg?1555159092)
- Elvira (76) und Domenico (83) Trovato haben sich in Hattingen sehr für eine gute Integration ausländischer Mitbürger eingesetzt und dabei viele schöne Erinnerungen gesammelt. Foto: Kamphorst
- hochgeladen von Roland Römer
(von Cay Kamphorst)
Als sie nach Deutschland kamen, konnten sie kein Wort deutsch. „Die Sprache zu können ist sehr wichtig. Sonst ist immer eine Mauer da. Man muss sich dem Gastland anpassen, nicht das Land an uns.“
Elvira (76) und Domenico (83) Trovato kauften sich deutsche Zeitungen und Bücher, dazu ein Wörterbuch, um sich alles zu übersetzen. „Ich hatte immer ein kleines Notizbuch in der Tasche“, beschreibt Elvira Trovato ihren Ehrgeiz, die Sprache zu beherrschen. „Immer wenn ich ein Wort nicht kannte, schrieb ich es auf und fragte nach, wie es ausgesprochen wird. Deutsch ist schwierig, weil nicht alles so geschrieben wird, wie es auch gesprochen wird. Im Italienischen ist das anders.“
Dass sie in Hattingen landen würden, haben sie vorher nicht gewusst und die 76jährige Sizilianerin erzählt amüsiert: „Wir kamen mit vielen anderen Italienern im Bus in Deutschland an und waren drei Tage und zwei Nächte unterwegs. In jeder Stadt wurden Menschen ausgeladen. Bis am Schluss nur noch wir im Bus saßen. Es war schon mitten in der Nacht, wir waren von der tagelangen Fahrt müde und wollten auch endlich irgendwo ankommen.“
Auf ihre Anfrage hin bekamen sie zur Antwort, dass sie sich noch gedulden sollen, dann wurden sie in Hattingen ausgeladen. „Das war im Januar 1965 und hier lag kniehoher Schnee. Ich hatte vorher noch nie so viel Schnee gesehen!“
Die große Finanzkrise in Italien hatte die beiden Sizilianer damals nach Deutschland verschlagen. „Uns ging es finanziell gut in Italien. Ich hatte eine eigene Schneiderei mit Angestellten und Lehrlingen“, erzählt die temperamentvolle 76jährige. „Mein Mann war ein erfolgreicher Bauunternehmer mit 30 Angestellten.“
Sie waren gerade dabei, ein eigenes Haus zu bauen und hatten dafür Kredite aufgenommen. „Es war kein Problem für uns, die Kredite zu bedienen. Dann kam aber die Finanzkrise in Italien und die Geschäfte liefen immer schlechter. Aufträge blieben aus, Angestellte mussten entlassen werden und wir konnten die Kredite nicht mehr bedienen.“
Was nun, war die große Frage. Elvira Trovato sah einen Werbefilm im Fernsehen, dass in Deutschland Arbeiter gesucht wurden. „Das war eine Chance für uns. Mein Mann wollte erst nicht, doch ich konnte ihn dann doch überzeugen“, erzählt die Sizilianierin. Ihre Kinder wollten sie nicht sofort mitnehmen. Die blieben vorerst bei Verwandten und sollten später nachkommen.
Mit 30 und 37 Jahren bewarben sich Elvira und Domenico Trovato gemeinsam um eine Anstellung in Deutschland und kamen bei der Firma Kabelwerke Reinshagen GmbH, später die Firma Delphi Deutschland GmbH, unter. Das Bewerbungsverfahren war aufwändig. „Wir wurden von Kopf bis Fuß gründlich untersucht. Unsere Familien durften sich in den letzten vier Generationen vor unserer Einreise nichts zuschulden kommen gelassen haben“, erzählt Elvira Trovato. „Und obwohl wir beide ausgebildete Berufe hatten, wurden diese in Deutschland nicht anerkannt.“
Also musste das Paar wieder von vorne anfangen und einen neuen Beruf erlernen. Bei der Firma Reinshagen waren sie für die Kabelkontrollen, die Auslieferungen und die Rechnungen zuständig, eine Position, die eine große Verantwortung beinhaltete.
Integration war für die Trovatos von Anfang an nicht nur ein Wort. „Wir haben uns bald nach unserer Ankunft in Hattingen dafür eingesetzt, dass die Ausländer hier akzeptiert werden. Wir wollten keine Sonderrechte, sondern genauso wie die Deutschen behandelt werden.“
Sie haben sich mit Migranten aus Jugoslawien, Spanien, Italien und Portugal zusammengetan und beim Bürgermeister vorgesprochen. Mit viel Engagement und Begeisterung organisierten Elvira und Domenico Trovato eines der ersten Integrationsfeste Hattingens. „Das fand damals auf der Heggerstraße statt, die aber noch nicht bepflastert war wie heute. Es war noch matschig und dreckig. Mein Mann baute extra die Baracken und wir haben eine Küche mitgebracht, um sizilianische Gerichte anbieten zu können. Die Hattinger kannten das noch gar nicht und waren begeistert!“, freut sich die resolute Italienerin. „Ungefähr 20 verschiedene Gerichte boten wir an, die wir in der Nacht davor zu Hause vorbereiteten. Damals waren wir noch jung und voller Tatendrang und Abenteuerlust, da war es kein Problem, mit wenig Schlaf auszukommen.“
Und weil sie noch nicht ausgelastet genug gewesen war, gründete Elvira Trovato noch eine italienische Folkloregruppe, die bereits vor dem Papst aufgetreten ist. Auch Jugoslawen und Portugiesen bildeten ihre eigenen Folkloregruppen. Ab 1968 traten sie auf den Hattinger Stadtfesten auf und wurden erst durch das Radio, später auch durch das Fernsehen bekannt.
Immer wieder kämpfte die Italienerin für eine gute Integration und für die Rechte der ausländischen Mitbürger. Das blieb auch den Ministern in Bonn nicht verborgen, so dass eine Delegation Abgeordneter nach Hattingen kam, um sich ein Bild zu machen.
1986 wurden Elvira und Domenico Trovato nach Bonn eingeladen. „Da habe ich sogar mit Helmut Kohl getanzt!“, erzählt das kleine Energiebündel stolz. „Es war ein Integrationsfest und wir hatten für Helmut Kohl ein Geschenk mitgebracht. Die anderen sagten, dass ich es überreichen solle und so gingen mein Mann und ich nach vorne in die erste Reihe.“ Ein aufregender Augenblick, denn sie mussten erstmal warten, bis die Musik zu Ende gespielt hatte, bevor sie Helmut Kohl das Geschenk überreichen durften. „Und dann habe ich auch noch mit ihm getanzt! Der ist ja so groß und ich reichte ihm gerade mal bis zur Brust. Und weil ich mich getraut habe, wollten auf einmal alle anderen auch mit Herrn Kohl tanzen und ihn anfassen!“ Elvira und Domenico Trovato müssen bei der Erinnerung lachen. „Sofort stürzten sich die Bodyguards auf uns und ich war zwischen ihnen und Herrn Kohl eingekeilt. Es sah lustig aus, wie ich kleine Person inmitten der großen Männer stand.“
Auf der Bahnhofstraße in Hattingen bekamen die Migranten Haus Burgeck von der Stadt zur Verfügung gestellt, wo sie sich treffen und austauschen konnten und jeden Sonntag Musik machten. Elvira Trovato ist nach eigenen Angaben eine begnadete Sängern. „Ich singe wie Milva“, erzählt sie stolz und traurig zugleich, denn durch eine Krankheit habe ihre Stimme so gelitten, dass sie heute nicht mehr singen könne.
Enttäuscht sei sie über die mangelnde Integrationsbereitschaft der Türken. „Die haben sich damals ausgeschlossen. Sie wollten nicht bei uns mitmachen. Immer nur für sich sein. Ich will nichts Schlechtes sagen, aber die Türken wollten sich weder anpassen, noch die Sprache lernen oder sich zuordnen. Das ist kein korrektes Verhalten.“ Hätten die Türken doch mal an einem Fest teilgenommen, so hätten sie gar nicht mehr von der Bühne gewollt, erzählt Elvira Trovato. „Bis ich dann so sauer war, dass ich sie förmlich von der Bühne geschmissen habe. Das geht doch nicht! Jede Gruppe wollte etwas aufführen, da müssen die sich auch anpassen.“
Die Trovatos setzten sich auch für die Eröffnung der Wasserburg Haus Kemnade ein. „Wir haben dafür gesorgt, dass viele Leute geholfen haben, die Burg zu reinigen und für Feste nutzbar zu machen. Es hat viel Spaß gemacht und es gab viele Integrationsfeste.“
Der frühe Tod ihrer Schwiegertochter, die sie wie eine eigene Tochter geliebt haben, dazu schwere Erkrankungen beider Trovatos haben dazu geführt, dass sie insgesamt kürzer getreten sind und sich nicht mehr so voller Initiative um die Organisation von Festen und Treffen für Ausländer kümmern.
Der Gedanke, zurück nach Italien zu gehen war mal kurz da. Die Söhne kamen acht- und fünfjährig nach Deutschland und besuchten hier die Schule. „Die Hausaufgaben haben wir immer in deutsch und in italienisch gemacht. Meine Söhne haben gute Berufe und einer spricht sogar sieben Sprachen!“, erzählt die Mama nicht ohne Stolz.
Domenico Trovato wollte gerne zurück, als die Schulden in Italien abbezahlt waren, aber seine Frau war dagegen. „Ich wollte die Kinder nicht aus der Schule reißen. Außerdem hatten wir uns hier so gut eingelebt und uns heimisch gefühlt. Wir hatten auch einen Bausparvertrag abgeschlossen. Als der fällig war, riet uns der Bankberater zum Erwerb einer Immobilie. Wir kauften uns ein Haus in Welper. Es gab darin kein Bad und keine Toilette. Wir haben es von Grund auf saniert und ausgebaut. Selbst ein Bidet haben wir eingebaut, was die Deutschen gar nicht kannten und erst mal fragten, wofür das denn gut sei.“ Elvira Trovato lacht. Dann habe der Thyssen-Konzern es ihnen, nach zähen Verhandlungen, abgekauft. „Vor 35 Jahren haben wir uns dann hier das Haus in Sprockhövel gekauft, mit dem Restaurant dazu. Auch hier mussten wir von Grund auf sanieren und renovieren, ein Bad mit Toilette einbauen und uns an die Kanalisation anschließen lassen.“ Zehn Jahre haben sie das Restaurant selbst betrieben, danach wurde es verpachtet. Zur Zeit steht es leer und wartet auf einen neuen Pächter.
„Wir sind immer mal für längere Zeit in Italien gewesen. Unser Haus haben wir zu Ende gebaut und es umfasst fünf Mietwohnungen. Aber nach spätestens drei Monaten hatte ich Heimweh. Ich habe mich in Deutschland sofort wohl und heimisch gefühlt. Wir haben hier viel gearbeitet und uns was aufgebaut. Und wir haben uns verändert. 46 Jahre Deutschland sind an uns nicht spurlos vorüber gegangen. Wir haben uns dem Volk angepasst, sind deutscher geworden. In Sizilien sind meine Wurzeln, aber ich fühle mich dort nicht mehr so wohl.“
Freunde in Italien werfen ihnen vor, keine Italiener mehr zu sein. „Was soll das? Wir sind Italiener und Deutsche. Im Grunde fühle ich mich als Europäerin. Das ist doch viel schöner.“
Autor:Roland Römer aus Hattingen |
2 Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.