Serie Integration: „Eigentlich wollte ich hier nur ein Auto kaufen...“
(von Cay Kamphorst)
Aber wie das manchmal so ist, kam dann alles anders als geplant. Um ein Auto kaufen und in die Türkei überführen zu können, musste er beim Zoll eine Verdienstbescheinigung vorlegen.
„Es ging mir finanziell nicht schlecht in der Türkei“, sagt der gelernte Schreiner Nuri Dervisoglu, der mit Frau und Kind in Istanbul lebte. „Ich hatte die Schreinerei mit Angestellten von meinem Vater übernommen. Aber als ich dann für meine Arbeiten von den Kunden teilweise kein Geld bekam, war ich von der Moral so enttäuscht, dass ich erst mal weg wollte.“
Außerdem sei sein Vater nicht mit seinem „sozialen Verhalten“ den Angestellten gegenüber einverstanden gewesen. Nuri Dervisoglu gab ihnen samstags eine Stunde eher frei, damit sie zum Friseur oder ins Bad gehen konnten.
Der damals 24jährige Familienvater traf einen Bekannten, der gerade aus Deutschland zurück kam und „ein tolles Auto“ fuhr. „Ich fragte ihn, wie er sich denn ein solches Auto habe leisten können, denn die waren in der Türkei sehr teuer. Als er mir dann sagte, wie günstig er das in Deutschland erworben hatte, stand für mich fest, dass ich dorthin wollte, um mir auch ein Auto zu kaufen.“
Das war aber nicht so einfach. Zunächst musste er nachweisen, dass er in Deutschland arbeitete. „Eigentlich wollte ich gar nicht herkommen. Ein fremdes Land, eine andere Sprache, mir machte das Angst. Ich war auch bereits viermal vom türkischen Arbeitsamt angeschrieben worden, die mir Arbeitsstellen bei deutschen Firmen anboten, aber ich lehnte jedesmal ab. Die fünfte Stelle nahm ich dann doch an, schließlich wollte ich das Auto.“ Nuri Dervisoglu lacht.
Er fing in Wanne-Eickel bei der Firma Heitkamp an und baute Holzbaracken. Der damals 25jährige Türke bekam 40 Mark Vorschuss und einen Schlafplatz in einem Zimmer mit fünf weiteren Arbeitern.
Deutsch lernte er durch ständige Gespräche mit den deutschen Kollegen. Die Firma vertraute ihm.
„Nach vier Monaten hieß es dort, ich solle die türkischen Arbeiter zum Arzt begleiten. Aber das gefiel mir nicht“, erzählt der Bau- und Möbelschreiner, der selbst noch nicht so viel deutsch sprach. „Ich konnte mich doch auch noch nicht so gut ausdrücken. Hatte jemand im Bauchbereich Schmerzen, konnte ich nur ‚Bauchschmerzen‘ sagen, selbst wenn es der Magen war.“ Also hörte er bei Heitkamp auf und nahm einen Job auf einer Baustelle an.
1963 kaufte er sich sein Wunschauto, einen Chevrolet, mit dem er in die Türkei fuhr und auch, wie geplant, blieb.
Bis ein türkischer Freund ihn aus Deutschland anrief, er solle doch wiederkommen und ihm bei der Arbeitssuche helfen. Während Nuri Dervisoglu inzwischen etwas deutsch sprach, hatten seine Landsleute damit noch Schwierigkeiten.
„Anfang 1964 kam ich wieder nach Deutschland. Ich wollte zwei Freunden helfen, Arbeit in Wuppertal zu finden.“ Aber da gab es keine Jobs.
Dann fielen ihm die Schornsteine der Siemens-Martin-Öfen in Hattingen ein, an denen er vorbeigekommen war, und sie fuhren hin, um sich vorzustellen. „Der Vorarbeiter dort sagte, er würde meine Freunde nur unter der Bedingung einstellen, wenn ich auch anfing. Aber ich wollte nicht in Deutschland bleiben.“
Seine Landsleute haben ihn dann doch überredet. Der aus Istanbul stammende Türke säuberte am Hochofen die Transportbänder für die Schlacke, arbeitete als Kranführer sowie Bagger- und Lkw-Fahrer.
„Schnell wurde ich Vertrauensmann im Betrieb und war für die Verständigung zwischen den Türken und Deutschen zuständig.“ Aber als Türke durfte er nicht in den Betriebsrat gewählt werden.
Das änderte sich 1972. „Ab da war es erlaubt, dass auch Türken in den Betriebsrat durften und ich wurde sofort gewählt.“
Als erster Ausländer wurde er dort Mitglied und auch zum Sachbearbeiter in die Personalabteilung berufen.
1966 kamen seine Frau und seine Tochter nach. In Deutschland bekamen sie zwei weitere Kinder, die die deutsche Staatsbürgerschaft haben. Nach ihrer Ausbildung zur Bankkauffrau ging Nuri Dervisoglus Tochter allerdings zurück in die Türkei und gründete ihre Familie dort. Die zweite Tochter und sein Sohn leben und arbeiten in Deutschland.
Ausländerfeindlichkeit habe er persönlich nicht erlebt, kann aber von einer Sache aus den 70er Jahren berichten. „Früher gab es auf der Heggerstraße, gegenüber von Woolworth, das ‚Café Paschen‘. Dort wurden die Türken nicht bedient. Aber es hing dort kein Schild, dass Türken draußen bleiben sollen und ein Hausverbot gab es auch nicht. Die konnten reinkommen, aber wurden einfach ignoriert.“ Diese Ungerechtigkeit wollte der sozial engagierte Moslem nicht hinnehmen. „Ich fragte beim Chef nach. Der sagte nur, dass sie sich von einem Tisch quer durch den Raum zum anderen Tisch unterhielten und sich nicht einfach zusammen setzten.“ Die Männer kamen aus Anatolien und da sei das halt so, sagt der kultivierte Großstädter. „Die wissen das nicht anders. Ich habe gesagt, wenn dort keine Türken rein dürfen, dann sollen sie halt ein Verbotsschild für Türken aufhängen, damit diese das auch wissen, aber einfach nicht bedienen und ignorieren geht doch nicht.“ So viel Unfreundlichkeit hat seinen Preis und das Café wurde fortan gemieden.
Ein Treffpunkt musste her. Nuri Dervisoglu sprach beim damaligen Stadtdirektor Augstein vor. „Der sagte, wir hätten doch einen Aufenthaltsraum im Betrieb. Doch wir wollten eine Begegnungsstätte außerhalb des Betriebs, wo sich auch Ausländer aus anderen Firmen treffen und unterhalten können.“ Dafür wurde ihnen dann das Haus Burgeck auf der Bahnhofstraße zur Verfügung gestellt.
Der 74jährige hat sich immer sozial engagiert und war auch in den Bereichen der Integrationsarbeit tätig. Er nahm an Ausländerkonferenzen teil und baute mit dem ehemaligen Geschäftsführer des VFA, Klaus Sager, den ausländischen Koordinierungskreis auf. Ferner leitete er den türkischen Arbeiter- und Freundschaftsverein und den Verein zur Förderung der Ausländerarbeit (VFA).
Freunde fragen ihn, warum er denn jetzt nicht zurück in die Türkei gehe, wo er doch erst gar nicht herkommen wollte. „Dieses Jahr bin ich 50 Jahre in Deutschland. Habe hier gearbeitet, was aufgebaut, Freunde, Kinder und Enkelkinder hier. Was soll ich jetzt zurück in die Türkei gehen? Ja, ich habe auch eine Tochter dort, aber trotzdem, ich fühle mich sehr wohl in Deutschland.“ Außerdem teile er sich das auf. Fünf bis sechs Monate im Sommer lebe er in der Türkei. „Dort habe ich ein schönes Ferienhaus mit Garten, den ich selbst bepflanzt habe. Die Gartenarbeit macht mir Spaß und die Gegend ist sehr schön.“ Die Wintermonate lebe er in Deutschland.
Er fühle sich weder als Deutscher, noch als Türke. „Ich bin ein Weltbürger“, sagt Nuri Dervisoglu, der eigentlich gar nicht in Deutschland leben, sondern hier nur ein Auto kaufen wollte...
Autor:Roland Römer aus Hattingen |
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